ADN-ZB/Brüggmann- 21.4.1986 - Hermann Kant, Schriftsteller, Mitglied des ZK der SED, Präsident des Schriftstellerverbandes der DDR, Abgeordneter der Volkskammer der DDR. Aufn. 5.10.1982

Vom Risiko des Seiltänzers

Vielleicht war etwas durcheinander geraten, vielleicht hatten die Pläne der obersten Schöpfungsbehörde Hermann Kant zum Gaukler bestimmt

Einer von der Art, der, hoch auf dem Seil die Welt bedenkend, noch immer Lust und Chuzpe findet für eine anmutige Pirourette, ein flinkes Blinzeln: Zwar, wir meinen das sehr ernst hier oben mit der Welt und ihren Fugen, indessen verabsäumen Sie nicht, die Eleganz unserer Darbietung zu würdigen. Aber es gab keine Bühne für dieses singuläre Talent und keine Rollen, so schuf er sich die eine aus Papier, später kamen Kanzel wie Tribüne hinzu, so sehr brauchte er die Bühne und die Anderen aus seinem Leben und seinen Vorstellungen davon. So kommt es, dass Kants Kerle immer Kants Konturen haben, Robert Iswall und Mark Niebuhr, Der Aufenthalt hätte eine Wende in seinem Schreiben werden können, aber wurde es nicht. Und so kam es, dass Leben und Schreiben des exorbitanten Gauklers ein Balancieren war auf hohem Seil, das verlief über seinem Land DDR und dessen verschiedenen Land- und Mannschaften. Der Ehrgeiz des Seiltänzers: Hoch oben mit souveräner Eleganz zu zeigen, dass einer ein ganzer Kommunist sein konnte, ein DDR-Kommunist, und ein ganzer, redlicher Kerl dazu, ein Schreib- und Menschenkerl. Doch als Präsident des Verbandes sorgte er nicht nur für öffnende Pässe und glänzende Reden, er besorgte es auch grundlegend aufmüpfigen Kollegen wie es die Disziplin befahl, und an dieses erinnert man sich, mit Recht, stärker als an jenes. Es gab einen Punkt, da half alle Gaukelei nicht mehr, da war eine Brutalität und es galt nur ein Ja oder ein Nein, ohne Nebensätze. Am Ende ist er abgestürzt, so tief wohl wie kaum einer aus Seiltänzer-Land. Und umtreiben wird ihn die Frage, wie viel von sich und seinem Nach-Leben er vergaukelt hat dort oben und wie viel davon ihn einmal die historische Retrospektive zurückgeben wird. Die Menschen, die ihn jetzt noch ungebrochen, unreflektiert zujubeln sind im Grunde das falsche Publikum für diesen glänzenden Intellektuellen.

Und jeder wusste auch, dass seine heutige Haltung nicht ganz der von damals entsprach. Nicht mit Vorsatz belog man einander oder sich selbst, sondern aus Scham, aus Wut, aus Feigheit auch und ebenso aus beginnender Verzweiflung. Nicht, dass er früher mit Vorsatz gelogen hätte, aber erstmals war seine Rolle in dem Stück Welt jetzt so verfasst, dass er nicht den Helden gab hoch oben. Da bestimmt die Fallhöhe den Aufschlag und das Wissen die Verzweiflung, wenn einer merkt, was er jetzt spielt, ohne Applaus, ist schon der Epilog, und wovon er handelt, ist gescheitertes Leben.

Hermann Kant, über den, das einmal unverdreht zu sagen, nicht hechelnd rechten mag, wer ahnt, dass sein Vorzug sich im minderen Talent erschöpft, Hermann Kant ist so etwas wie das Paradigma der DDR: Wer hier nicht lebte, kann ihn nur aus einer Perspektive sehen, die einen ziemlich großen toten Winkel hat. Und wer hier war, hat wiederum nur jene Perspektive zur Verfügung, die sich aus dem jeweiligen Stand-Punkt in der DDR ergab. Es gibt ein Erleben neben den Geschichts-Büchern, das hat auch zu tun mit Geschichten-Büchern und Lebens-Geschichten.

Das Talent, wenn die Macht es zu richten weiss, unterliegt der Gefährdung durch Anerkennung, durch das Sonderangebot vor allem, die eigene Leistung so im Weltenganzen zu platzieren, dass sie neben dem eigenen Lebens-Horizont einem fernen Menschheits-Horizont dienstbar scheint. Das war das Prinzip DDR, für jene, die sie ernst genommen haben, und es war unter allen Verführungen die verführerischste. Und Kant war der Verführbarste von allen, weil er unter den Spielern der Talentierteste war.

Kant, betroffen nun, weil er jetzt ein Alter ist, verzweifelt, weil ein mit Gründen Gescheiterter, steht ziemlich oben in der Pyramide der Verfemten. Gewiss, da gehört er hin, gewiss, das ist politisch korrekt, gewiss, das muss wohl so sein, aber, hol’s der Teufel, gegönnt hätt‘ ich dem Mann, der mir diesen Iswall an die Seite gab und mit ihm die Illusionen, gewiss doch, gegönnt hätt‘ ich ihm die späten Jahre anders. Und insistieren möcht‘ ich, sonst nicht so allergisch, dass mir Unterweisung, betreffend die Frage, welchen Platz in meinem Leben der Schriftsteller Hermann Kant einzunehmen habe, nicht aus Hamburg kommt, und erlauben will ich mir, an diesem Tag den Hut zu lüften vor Robert Kant.

Gegönnt hätt‘ ich ihm bessere Bücher zum langen Abschied, nicht diese langen Larmoyanzen, diese Schnurren, die sich nicht mehr fügen. Die Sprache hat er noch, doch der Stoff und die Substanz sind aufgebraucht. Und die Leiche fleddern mag er nicht, obgleich er das, aus Kenntnis und mit Witz, könnte wie kein Zweiter. Gewiss, ich kenne beinahe jeden Satz, der sich reden ließe gegen ihn und viele sind wahr. Gewiss, Die Aula ist ein ferner Ort. Doch Orte des Aufbruchs stiften Erinnerung, selbst, wenn die Wege sich wenden.


Autor: Henryk Goldberg

„Hermann Kant, der die DDR er- und verklärte, wird heute 80 Jahre und ist
sehr melancholisch“, erschienen anlässlich des 80. Geburtstages von Herrmann Kant in Thüringer Allgemeine, 14. Juni 2006

Bild: Bundesarchiv, Bild 183-1982-1005-307 / Brüggmann, Eva / CC-BY-SA

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