Der perfekte Amerikaner
Schwarzenegger – die monumentale Verkörperung des Selfmade Man und Erfolgsimmigranten
Im US-amerikanischen Bundesstaat Kalifornien wurde nach einem gar nicht mal so dummen Gesetz ein Gouverneur durch die registrierten Wähler abberufen, zugleich wurde ein anderer gewählt, und weil man schon mal dabei war, wurden auch noch ein paar Dinge dem Volksentscheid vorgelegt, wie etwa die Frage, ob es legitim sei, bei lokalen Bevölkerungs-Umfragen nach Hautfarbe und »ethnischer Herkunft« zu fragen.
Gewählt wurde, mit einer nur einerseits überraschenden Mehrheit, ein Bodybuilder und in die berühmten Jahre gekommener Hollywood-Star namens Arnold Schwarzenegger, der aus Österreich stammt und immer noch eine österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Seit seiner Erklärung, sich zur Wahl zu stellen, dient Schwarzenegger als feuilletonistischer Diskurs-Schwamm: Ein schlechter Witz für die einen (wie Susan Sontag), ein Katastrophen-Szenario für die anderen, ein »typischer Fall« für dritte. Er ist nicht nur Symptom, sondern Symptom der Symptome. Ein Sieg der symbolischen Politik über die Rationalität, die endliche Ersetzung der Entscheidung durch das Bild, die Ersetzung von Programm durch Image – und was für ein Image: barbarischer Haudrauf, Macho-Proll, Produkt der Unterhaltungsindustrie und cleverer Nutznießer: wahrscheinlich nicht blöd, wie die gewieften Pessimisten raunen, und vielleicht das Schlimmste: eigentlich ein ganz netter Kerl.
Die angebliche Verschwörung von Politik und Showbusiness
War es nicht schon in den siebziger Jahren Mode, den Politiker als Maske und Marionette zu bezeichnen? Dahinter lauerte die Verschwörung der wirklichen Macht. Es ist offensichtlich nicht nur so gekommen, es ist so offensichtlich gekommen: Politik und Showbusiness haben sich auf eine Weise durchdrungen, dass sich Kulturpessimisten und Kapitalismuskritiker, linke und rechte Anti-Demokraten die Hände reichen konnten. Allerdings: Wir wissen es mittlerweile ein wenig besser, jedenfalls was die Theorie anbelangt. Die Maske und das Dahinterliegende haben eine offensichtlich dialektische Beziehung zueinander. Die Maske ist am besten, die von ihrer Maskenhaftigkeit nichts weiß. Und die Macht dahinter? Alte Männer in Hinterzimmern oder die Geschwindigkeit des Kapitals bei erdumrundender Virtualisierung? Oder am Ende doch nur wieder eine Maske der Gier aller kleinen und größeren Gierigen. Die Maske ist nicht zu denken ohne das Subjekt, und das Subjekt hinter der Maske ist kein Subjekt. Deshalb ist das Modell der Politiker-Maske nur sehr bedingt nützlich, den Zustand zu beschreiben, in dem wir uns auf dem Weg von der parlamentarischen Demokratie zum Medienpopulismus befinden.
Wenn Demokratie eine Bewegung ist (vielleicht gibt es ja keine Demokratie ohne einen fortwährenden Prozess der Demokratisierung), dann ist sie vor Jahren zum Stillstand gekommen, und wenn Demokratie ein System ist, dann hat es sich innerlich gewandelt (oder ist, wie man es nimmt, zu sich selbst gekommen). Wenn also die parlamentarische Demokratie als Projekt des Humanismus, der Gerechtigkeit, der Freiheit, zu verteidigen war, dann jetzt mit keinem anderen Argument als diesem: Weil alles andere schlimmer wäre. Jenseits dieses Systems kann nur rechts gedacht werden; wenn es versagt, und wir sehen ihm beim Versagen zu, dann stehen wir mit leeren Händen und mit genau so leeren Köpfen da. Auch deshalb hat man nur die Wahl zwischen Apokalypse und Anpassung. Die Verteidigung der Demokratie als eine schöne Hoffnung hat die Verteidiger blind gemacht dafür, wie sie sich in sich verwandelt. Längst haben wir eine populistische Mediokratie um die Konzern- und Lobbymächte als Gesellschaftssystem, und wir haben eine Art von Faschismus light als Staatssystem. Aber wir wissen, dass man das nicht laut sagen darf, weil man so den Feinden der Demokratie in die Hände arbeitet. So werden wir, das macht Magenweh und blind, zu Verteidigern von ein bisschen Korruption, ein bisschen Unfähigkeit und sogar ein bisschen Diktatur. Man will das kaum sagen (sind es nicht immer die falschen, die sich solcher Sätze bemächtigen?) und hören will man es schon gar nicht.
Wenn es ein Projekt »Demokratie gegen Populismus« gäbe, wäre die Wahl wohl leicht. Die Fieberanfälle des Rechtspopulismus im alten Europa haben uns müde und sarkastisch gemacht. Das, was es gegen den Populismus zu verteidigen gälte, verschwimmt, je näher man es ansieht. Aber dieses Projekt gibt es gar nicht. Was es gibt, ist ein Durcheinander verschiedener Strategien des Populismus. Arnold also als Symptom. Nicht nur der politischen Geschmacklosigkeit seiner Wählerinnen und Wähler, sondern vor allem der Krankheit des Systems.
Schwarzenegger ist mit der Hilfe jener zur Macht gekommen, die traditionell Demokraten wählen, gewiss nicht ganz zu Unrecht: die weniger glücklichen Einwanderer, hier besonders die aus Mexiko stammenden, und die Arbeiter, vor allem die Gewerkschaftsmitglieder, aber auch Frauen, liberaler Mittelstand, Intellektuelle – um die bemerkenswerte Nomenklatur der Wahlforscher zu zitieren. Und er errichtet, so viel scheint jetzt schon sicher, keine Herrschaft im Sinne »seiner« Partei, der Republikaner und ihrer Klientel.
Der Traum: Arnie for President
Der wirkliche Populist – unterstellen wir Arnie nach dem ersten Gesetz der Hermeneutik, dass er ein richtiger Populist ist, keiner, der nur auf die niederen Instinkte der Wähler setzt, um sich nach Art von Roland Schill betragen zu können (wir kennen nur schlechte Populisten, und umgekehrt servieren wir gerne jemanden ab, indem wir ihn zum Populisten stempeln, denn in Europa gibt es keine positive Bestimmung des Populismus) – glaubt an das Volk, und das Volk glaubt an ihn. Das Gesetz und das Programm werden dabei zunächst zweitrangig: Wissen und Können kann man kaufen, nur das Wollen ist unbezahlbar.
Wichtige Voraussetzung: Kalifornien. Ein mythischer, gesegneter Staat, der Endpunkt der amerikanischen moving frontier, das Land am Meer. Und ein Umkipp-Punkt. Hier gibt es die Hippies und die Surf-Nazis. Die größte Spannung zwischen der amerikanischen Art des Progressismus und der Liberalität und der amerikanischen Art des Konservatismus und der Reaktion. Nicht nur die Dead Kennedys erschraken darüber, dass gerade hier der faschistische Hass und die It-Never-Rains-Trägheit zusammenbrechen. Und noch einmal regional ist der mächtige, bevölkerungsreiche und wirtschaftsmächtige Staat geteilt in den progressiven Norden und den reaktionären Süden. Was dieses Land in die Krise getrieben hat, bleibt in Wahrheit unklar. Die Wirtschaft ist keineswegs in der Krise, die Produktion steigt weiter, das Geld kommt herein, nur weiß niemand, wohin es geht. Insofern ist Kalifornien ein heftiges Modell für einen kapitalistischen Wirtschaftsraum zu Beginn des Jahrtausends: Die Korruption von Gray Davis mag sich dabei sogar noch in den Grenzen der Legalität halten, und trotzdem genügt sie, das fragile System zum Einsturz zu bringen.
Was also bedeutet Arnold Schwarzenegger in der Politik? Merkwürdigweise wissen wir ja schon lange, dass er früher oder später »in die Politik gehen« wird, und dass das nicht so regional und menschenfreundlich wie bei Clint Eastwood ablaufen wird. Im Grunde träumt die popular culture schon seit mindestens fünfzehn Jahren von einem Präsidenten Arnold Schwarzenegger; man wusste nur nie so genau, wie »ernst« dieser Traum war. Wahrscheinlich wird es so, aufgrund gewisser Beharrungskräfte und Interessen nicht kommen, aber immerhin wird Schwarzenegger nicht bloß Gouverneur von Kalifornien (wer hier im alten Europa könnte einen Gouverneur nennen, der nicht durch Skandale oder als Schauspieler berühmt wäre?), er ist die Vorahnung einer neuen Immigrationskultur, die ihren politischen Ausdruck findet – eine Veränderung von Machtstruktur und Selbstidentifikation des amerikanischen Imperiums. Ein Kapitel in der Geschichte, die mit den Gangs of New York begann. Wenn wir in der Tat an die Demokratie glauben würden, wäre die Wahl von Arnold Schwarzenegger ein trivialer Vorgang, nicht mehr als eine Fünfzeilen-Nachricht wert. Aber paradoxerweise wurde sie gerade von seinen Gegnern in den Rang einer welthistorischen Wende erhoben. Und jetzt gibt es da nicht einfach ein Zurück.
Fünf Typen sind ein Mann
Diese Wahl ist ein Welt-Bild. Es setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen:
Der Steirerbua: Arnold Schwarzenegger ist nicht nur ein Immigrant, der eine amerikanische Bilderbuchkarriere hingelegt hat. Das haben andere auch. Er kommt aus etwas, das mythologisch noch tiefer liegt als das alte Europa, aus der reinen Natur (die aus dem amerikanischen Blickwinkel vor allem reine Bedeutung von Natur ist). Der Barbar aus ferner Vergangenheit und genauso ferner Zukunft, der den Zustand Amerika monomythisch mit beinahe allen anderen Zuständen der Welt verknüpft.
Der Grapscher: Arnold Schwarzenegger hat es längst in sein Selbstbildnis eingebaut, was er in einem Spiegel-Interview, gleichsam als ironisches Echo seiner Kritiker, zum Besten gab, nämlich dass ein nicht unerheblicher Teil seiner Karriere sich dem Umstand verdankt, dass er mit seinem »gestählten« Körper die Leinwand zu einer Zeit betrat, in der der amerikanische Mann von einer furchtbaren Angst vor der neuen Stärke der Frau ergriffen ward. Es gibt kaum einen Film, jedenfalls keinen erfolgreichen, von Arnold Schwarzenegger, in dem er nicht Gewalt gegen eine Frau anwendet. Und je älter dieser Männerkörper wird, desto heftiger wird dieser Kampf, der aber immer wieder auch ein beiderseitiges unterdrücktes Begehren ausdrückt. Deswegen ist er auch »nur« ein Grapscher, ein Kerl der seine Hände nicht bei sich behalten kann, einer, der diese Frauen-Angst, die Frauen-Gier und -Verachtung in kleiner Münze (deswegen nicht weniger unangenehm) verbreitet.
Der mythische Proletarier: Es ist ja nicht zuletzt ein Körperbild, was da gewählt wird, eine Konstruktion sowohl der sexuellen als auch der sozialen Männlichkeit. Bedroht wurde der männliche Körper seit den siebziger Jahren nicht allein durch die Kraft des Feminismus, sondern auch durch den Verlust der Arbeit. Der untauglich gewordene Männerkörper, mittlerweile durch den einen oder anderen Krieg restauriert, ja sogar in eine weibliche Form übertragen (später Sieg, und nicht zuletzt Voraussetzung dafür, dass Arnold die politische und Gender-Mitte besetzen kann), wurde im pumping iron gleichsam narzisstisch wiedergeboren, und hier in Kalifornien setzte sich das Neue zusammen: Der post-proletarische Körperstolz und der mittelständische Gesundheits- und Fitness-Wahn. Arnie also war schon früh die kürzeste Verbindung zweier einander entgegengesetzter Klassen und Lager.
Dieser Körper stand immer in Gefahr, auf drei unerwünschte (aber doch auch nicht vollkommen unerwünschte) Weisen falsch verstanden zu werden: als Maschine. Als Kind (Riesenbaby). Und als homosexuelles Objekt. Und richtig verstanden wurde er, verbunden mit dem allen, als eine Kampfansage an eine besondere Form der Konturenlosigkeit. Wie ein paar Generationen zuvor John Wayne wurde Arnold Schwarzenegger zum Ideal (zum merkwürdigen Ersatzvater) auch für jugendliche Fans, die im Denken, in den Codes und im Körperbild sein genaues Gegenteil waren. Was bei Wayne eine mehr oder weniger liebenswürdige Gestrigkeit ausmachte, das verrichtete bei Schwarzenegger eine wohldosierte Ironie. So wie er Komödien zwischen seine Haudrauf- und Schießdrein-Filme schob, die sein Image als Meta-Pointe benutzten, so waren auch seine Aussagen immer wieder von einem Könnte-auch-Spaß-sein begleitet.
Der Aufsteiger: »Ich kam hierher mit absolut nichts«, behauptet er, was zumindest ein wenig untertrieben ist, »und Kalifornien hat mir alles gegeben.« In einem Stadium, an dem man schon kaum noch daran glauben konnte, hat Schwarzenegger die Phantasie vom Selfmade Man noch einmal sozusagen wörtlich erfüllt. Ein Mensch, der dadurch zum perfekten Amerikaner wird, dass er sich gleichsam noch einmal erschafft. Was einer wie er erreicht, das kann potenziell jeder erreichen. Steirerbua, geprügelter Polizistensohn, Einwanderer, Mister Universum, Filmstar; Einheirat in die Familie der mächtigen Dynastie, Politiker. Selbst in der amerikanischen Mythologie ist dieser Weg mit Schuld belastet (und nimmt selten ein glückliches Ende); Schwarzenegger, als nähme er listig da eine Unterstellung seiner Kritiker auf, hat diesen Weg scheinbar mit nicht allzu viel moralischer Belastung bewerkstelligt, es steckt eine Prise Forrest Gump in ihm, als könnte er auch diesen anderen amerikanischen Traum erfüllen. Nie wirklich ganz »erwachsen« zu werden. Tom Sawyer gegen Citizen Kane.
Der Tribun: Mit Arnold Schwarzenegger ist kein Outlaw und kein Befreier versprochen; er ist kontrollierte Diktatur. In dem Film, der nicht die Fiktionalisierung, sondern das Modell selber vorstellt, »Pumping Iron«, hat Schwarzenegger (ganz am Beginn seines Aufstiegs) erklärt: »Ich habe immer geträumt von mächtigen Menschen, Diktatoren und so …« Vielleicht ist, anders herum, die Macht wieder das einzige, was diesen Körper und sein Konzept noch einmal retten könnte. Tom Sawyer muss Diktator werden, um nicht in Melancholie zu verfallen. Nun also kommt, nach dem Vorwurf der Grapscherei auch der von merkwürdigen Nazi-Sprüchen herum (sehr viel präziser wird das nicht), und natürlich steigt der Vater, SA-Mann und Parteimitglied, noch einmal aus dem Grab. Selbst bei seinen Gegnern vermischen sich da gelegentlich Rollen und Wesen, Mythos und Anschauung.
Aber auch hier wieder ist der Diskurs austariert: Schwarzenegger hat selbst eine Nachforschung über die Nazi-Vergangenheit seines Vaters in Auftrag gegeben. Und wir kennen auch diesen dunklen, ödipalen Fleck in der Traumgeschichte vom Steirerbua: die Geschichte vom brutalen und verständnislosen Vater, dem SA-Mann, der den Sohn mit seinem Uniform-Gürtel züchtigte. »Pumping Iron« – das war zugleich Internalisierung und Abwehr der väterlichen Gewalt. Aber Gewalt war auch eine mütterliche, die Watschn seiner Mutter bedenkt Arnold noch heute mit Dankbarkeit. Der Barbar hat eine matriarchale Seite, und seine Frau Maria Shriver ist nicht nur Teil der Domestikation (im doppelten Sinne: Zivilisierung und Vereinheimischung); sie hat ihn »politisiert« und »sozialisiert«; er wurde nicht nur Sport- und Fitness-Berater für Bushs Vater im Weißen Haus, er ist auch bekannt für ein Engagement für die Straßenkinder.
Aus alledem wird Schwarzenegger der perfekte Populist, der anders als unsere dumpfen Rechtspopulisten in die Mitte hinein wirkt. Er besucht die GIs im Irak, und zugleich macht er durchaus beleidigend Witze darüber, dass Bush seinen »Terminator« ansehen solle, damit er endlich mal ein paar Massenvernichtungswaffen fände. Der Diskurs hat primär keinen Inhalt, sondern eine Richtung: Das Volk gegen die Herrscher, das Unten gegen das Oben, der einzelne gegen eine Klasse, Caesar gegen den korrupten Senat im Empire. Zu seinem Populismus gehört es, dass er freimütig über das Geld spricht, das er verdient. Er setzt es ganz bewusst ein: Er kann nicht korrupt sein, da er genug Geld hat. Wäre das nicht bestechend einfach? Arnold Schwarzenegger verspricht zugleich Absolution und Begrenzung der Gier des Neoliberalismus. Er verspricht, die böse Hysterie zum Ende zu bringen und sie zu sanktionieren.
Populismus versus Popularität
Narrative und ikonografische Strategien also standen im Dienst doppelter Absichten: Erstens die Erfüllung der darein gesetzten Erwartungen. Und zweitens die Domestikation solcher barbarischer (und spaltender) Tendenzen. Letztendlich wurde der Körper Arnold Schwarzeneggers immer wieder verbürgerlicht und rebarbarisiert. So wie er, das ist schwere Arbeit, auch altert und sich wieder verjüngt. Schwarzenegger schwört, dass er niemals die Hilfe eines plastischen Chirurgen in Anspruch nehmen würde: Dieser Körper ist eine autonome Angelegenheit, keine »Erfindung« wie bei Michael Jackson, sondern ein bearbeitetes Stück Natur. Das umfasst auch das Leiden, auch Arnold gesteht, dass er Angst vor dem Alter hat (und er begrenzt damit den Diskurs der ewigen Jugendlichkeit). Und dass Terminator seine Paraderolle wurde, liegt auch an einem permanenten Wechsel der Sphären, die er in diesen Filmen vornimmt, Mann, Maschine, Kind, Mensch. Auch sein öffentliches Image verbürgerlicht sich; es ist wichtig, wie er sich als Familienmensch inszeniert, wie er ausgerechnet in der Präsidentenfamilie die Frau fürs Leben findet, die den Demokraten verbunden ist, und trotzdem Republikaner wird (schlag nach bei Shakespeare oder bei Brecht). Und entscheidend schließlich ist seine Identifikation als »gemäßigter Republikaner«. Die perfekte Verbindung von Barbar und Bürger: der eine immer imstande, den anderen zu bändigen.
Von dieser Basis aus kann Schwarzenegger gleich gegen die drei Komplexe der demokratischen Kontrolle, die immer zugleich Komplexe der Korruption sind, antreten, symbolisch und real: die Partei, die Medien, die Strukturen der Familien, und selbst die Traumfabrik ist gegen ihn. Er ist auch hier »Sse Män ho Wörks Älloon«. Er war von seiner Partei und seinen Kollegen im Stich gelassen, während es ein so offensichtlich taktisches Bündnis um den unfähigen und korrupten Gray, eine Allianz jener Menschen gab, die wir in der Regel als die sympathischeren, linkeren oder wenigstens liberaleren ansehen mochten. Sie wollten, ich glaube, das muss man sich klar machen, den korrupten und unfähigen – aber »ungefährlichen« – Mittelständler gegen den proletarischen, barbarischen, symbolischen, rechten Populisten verteidigen. Man mag sich fragen, ob es in der Gemengelage eine Chance für die Rückkehr von Klassenbewusstsein gibt, und ob es nicht an sehr, sehr überraschender Stelle wieder auftaucht. Übrigens mag es kein Zufall sein, dass von den Hollywood-Größen nur Woody Allen Sympathie für Arnie äußerte.
36 Millionen Einwohner, die fünftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, die Heimat einer Unterhaltungsindustrie, die sich zunehmend nach Osten öffnet (in einen Bereich der Welt, in dem man von Demokratie noch einmal ganz andere Vorstellungen und Hoffnungen hat). Und doch ist dabei wichtig, dass es sich nicht um eine »Nation« handelt, vielmehr wiederum um ein Gespaltenes: eine Fiktion und ein sehr konkreter Wirtschafts- und Lebensraum. Es ist kein nationaler und kein internationaler Mythos, sondern einer der globalisierten Welt.
Arnold Schwarzenegger hat die US-amerikanische und die österreichische Staatsbürgerschaft, spielte schon einmal öffentlich mit dem Gedanken, auch in die österreichische Politik einzusteigen, und sein Sieg wird in Österreich, wo, wie wir wissen, Fußball in einem Arnold-Schwarzenegger-Stadion gespielt wird, als ein ihriges gefeiert: Die steirische Frau Landeshauptmann bekennt: »Über Österreich geht die Sonne nun nicht mehr unter.«
Glücklicherweise wird freilich dadurch Kalifornien noch zu keinem österreichischen Bundesland, aber eine Verösterreicherung der Welt, so wie man in einer Epoche eine Verschweizerung befürchten konnte, liegt durchaus auf der Hand, und dazu passt, dass am selben Tag auf den Stimmzetteln Proposition 54 von den Wählern und Wählerinnen abgelehnt wurde: Danach wäre eine Frage nach Hautfarbe und Herkunft bei Umfragen eingeschränkt worden, und wieder waren es eher die Liberalen, die dagegen stimmten, weil man ohne diese Informationen die sozialen Brennpunkte und die Situation der Schulen nicht besser in den Griff bekäme. Eine denkwürdige Loslösung des Diskurses von Kontrolle. Das ist vermutlich eine Abart unseres Kopftuch-Diskurses. Einer, der mit hysterischen Nonsense-Argumenten von beiden Seiten geführt wird und etwas ganz anderes verrät. Macht, die sich nicht allein demokratischer Kontrolle, sondern vor allem schon der Rationalität in der Reflexion entzogen hat (sie selber ist rational genug: Die westlichen Demokratien haben vierzig Jahre lang alles getan, um ihre Selbstaufklärung zu verhindern und die Schuld dafür einer irgendwie unaufgeklärten Öffentlichkeit in die Schuhe geschoben).
Die neue Form der politischen Herrschaft wird vermutlich ein immer rascherer Kreislauf von Demokratie, Korruption (plus Unfähigkeit, denn was habe ich gegen Korruption, wenn dabei auch ich selber gut wegkomme?) und populistischer Revolte. Mehr an Hoffnung scheint es augenblicklich nicht zu geben als das Versprechen einer Differenz von Mafia und Populismus. Arnold Schwarzenegger ist also weder Lösung noch Problem, weder Symptom noch Element des Systems, aber vielleicht von alledem ein wenig.
Ob Arnie ein Erlöser ist oder ein Clown, ob er mit dem Amt wächst und dann eben doch wiederum nichts anderes wird als ein ganz normaler Politiker, oder ob das Amt über ihm wuchert und der Marionettencharakter deutlicher wird als sonst? Möglich ist das alles. Und verändern wird es nichts.
Autor: Georg Seesslen
Text veröffentlicht in jungle world nr. 42, 10/2003
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