Er war groß, einfach und stark. Er blickte immer geradeaus. Randolph Scott war THE MAN BEHIND THE GUN, der allein zu reiten hatte, ein Kerl wie in Holz geschnitten, das heißt auch, mitten im Versuch, dem natürlichen Material einen klaren Willen aufzuzwingen.
Randolph Scotts Westerner bestehen aus drei Aggregatzuständen: Ruhe, Entschlossenheit, Verzweiflung. Jede Geschichte aus dem Westen ist mit diesen drei Zuständen zu erzählen, und jede neue Reihenfolge ergibt ein anderes Drama. In der klassischen Western-Form, in der Scott Garant für die selbstverständliche Ordnung der Dinge war, geht die Entwicklung von der Ruhe über die Verzweiflung zur entschlossenen Tat und zurück in die Ruhe. In seinen späteren Western, insbesondere in den Filmen des Ranown-Zyklus unter der Regie von Budd Boetticher, steht am Anfang die Verzweiflung. Sie löst die entschlossene Tat aus. Der angestrebte Punkt der Ruhe wird verfehlt, weil die Verzweiflung zu groß ist. Denn Randolph Scott war in diesen Filmen immer die Frau genommen. Niemand konnte wie er, mit so wenigen Gesten und Worten, zeigen, wie es ist, wenn einem Mann die Frau genommen ist, so oder so, als Mensch oder als Bild. So war denn Ruhe nur in der Tat zu haben, die stets der Erfüllung eines Rituals glich.
Randolph Scott war das Gegenteil eines Abenteurers. Selbst in seinen minderen Filmen wirkte er wie einer, der in sich eine tiefere Ordnung spürt. Er weiß schon, was in der Fremde noch zu lernen wäre. So oft ist er die klare, gestrenge Männlichkeit, die der verwirrten Frau einen Halt geben könnte. So ist die „arche-typische“ Einsamkeit des Randolph-Scott-Westerners (und anderer seiner Charaktere) eben auch das Ergebnis eines Melodrams, das wir uns denken müssen, zwischen dem so offenen, freudig ruhigen Lachen und der Verschlossenheit, mit der er dann tut, was seiner Meinung nach zu tun ist.
Scott hieß eigentlich Randolph Crane und kam aus Virginia. Er war Ingenieur, und als er plötzlich krank wurde, das ist eine schöne Geschichte, riet ihm sein Arzt, des Klimas wegen nach Westen zu gehen. Dort erst wandte er sich der Schauspielerei zu, gehörte eine Zeit zum Pasadena Community Playhouse und versuchte lange ohne Erfolg, Arbeit beim Film zu finden. Während dieser Zeit, wir befinden uns immer noch in der schönen Geschichte, teilte er die Wohnung und die Lebenskosten mit einem jungen englischen Schauspieler namens Archibald Leach, den wir später als Cary Grant wiederfinden. Die Film-Welten von Grant und Scott können entfernter nicht gedacht werden.
Seinen Stil als Western-Darsteller entwickelte Scott in einer Reihe von Filmen nach Romanen von Zane Grey. Zugleich waren dies Remakes von Stummfilm-Western, und Randolph Scott führte die Tradition der „realistischen“ Cowboy-Stars wie William Surrey Hart und Jack Holt fort. Zwischen den Extremen des großen Kindes im Cowboy-Outfit wie Tom Mix und dem späteren Neurotiker mit dem Revolver verkörperte er das Paradox eines erwachsenen Mannes im Westen.
Auch in Großstadtdramen oder Komödien blieb Scott der heimliche Westerner. Aber seine besten Filme waren Western, bis hin zu seinem letzten, RIDE THE HIGH COUNTRY von Sam Peckinpah.
Randolph Scott ist die selbstverständliche, im Gegensatz zur narzißtischen Männlichkeit. Nichts an ihm war heroische Inszenierung, nichts verlangte nach Gefolgschaft, seine Taten vielmehr gelebte Moral. Das bringt die Konflikte gewissermaßen automatisch hervor, denn erstens ist das Gesetz so oft der Widerspruch zu einer Moral, und zweitens bringt jede Moral, je konsequenter angewendet, desto mehr, ihre eigene Unmoral hervor. Randolph-Scott-Western haben die unerbittliche moralische Mechanik großer Vers-Epen und elisabethanischer Dramen. Zwischen Loyalität, Ehre, Moral und Recht führt der Weg direkt in den Kampf von Männern, die einander innerlich verwandt sind und die dadurch die moralischen Grundlagen ihres eigenen Systems zerstören, oder ins Blutbad, das nicht zu verhindern ist. In dieser Welt ist kein Platz für’s Räsonnieren und für Psychologie. Die Erkenntnis eines Irrtums verhindert seine Folgen nicht; die Dinge nehmen ihren Lauf. In den fünfziger Jahren führen solche Loyalitätskonflikte den RandolphScott-Helden immer mehr ins Abseits. Die Tragödie wird bitter. Nicht er ändert sich, wohl aber die Zeit, im Kino und draußen. In RIDE THE HIGH COUNTRY versucht er es und scheitert. Er verliert seinen Freund, der um jeden Preis an der alten Moral festgehalten hat. Und weil das schlimmer ist, als wenn man selbst erschossen wird, verabschiedete sich Randolph Scott mit diesem schmerzend schönen Western im Jahr 1962 von jeder Art von Film.
Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in epd Film 4/87
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