Blaue Augen, sexuelle Ökonomie & die Kunst des Flaschenbiertrinkens
Cameron Diaz hat einen ziemlich großen Mund. Menschen mit großem Mund scheinen dazu begabt, auszusprechen, was andere nicht fertig bringen. Am einfachsten geht das natürlich in der Form der Komödie. Da macht es dann auch nichts, wenn das ganze oft einen winzigen Touch von Vulgarität hat, und gelegentlich auch ein bisschen mehr davon. Seit den Neunzigern schon gar nicht. Aber die große Enttäuschung lauert immer. Das Glück ist immer klein, wenn es überhaupt kommt, auch für blonde, blauäugige Frauen mit sehr großem Mund.
Cameron Diaz spricht nicht nur über Sex. Sie hat Sex, ein bisschen so, wie man Erdnussbuttersandwiches hat. Es gibt gute und nicht so gute Erdnussbuttersandwiches. Zur backstory des Cameron Diaz-Charakters gehört die Erfahrung dessen, was der neue Volksmund so „Schlechten Sex haben“ nennt.
Sexuelle Enthaltsamkeit ist nicht vonnöten, um die Doris Day des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu werden. Es genügt der unerschütterliche Glaube daran, irgendwann jemanden zu finden, durch den sich Begehren und Ökonomie verbinden lassen. Wo dieser Glaube verloren ist, in den tiefschwarzen Varianten der Cameron Diaz-Komödien (die, wen wundert’s, nie den kommerziellen Erfolg ihrer modernen Hochzeitsphantasien erzielen), da wird es für den Rest der Welt einigermaßen gefährlich. Im Zweifelsfall gehören auch Morde oder wenigstens Anstiftung zu solchen zur sexuellen Ökonomie des unteren und mittleren weißen Mittelstands.
Cameron Diaz ist meistens blond und hat dazu wasserblaue Augen, da scheint schon immer ein Blick zu weit ins Innenleben zu gehen: Abgründe vielleicht, nicht unbedingt aber das, was man als „Geheimnis“ bezeichnen könnte. In diesem Gesicht meint man, jedes Glas Wodka zu viel und jede Zuwendung zu wenig sehr genau zu sehen. Das Taffe ihrer Blondinen-Vorgängerinnen, wie etwa Ellen Barkin, ist aufgeweicht; wo das Zynische aufhört und das Sentimentale beginnt, ist nicht genau zu sagen. Blond und blauäugig zu sein war Cameron Diaz übrigens gar nicht immer so recht. Passt ja irgendwie auch weder zum Namen noch zur amerikanisch-kreolischen Biographie: Der Vater stammt aus Kuba, die Mutter berief sich auf deutsche, englische und native american-Vorfahren. Cameron Diaz befürchtet nicht ganz zu Unrecht, dass man ihr von diesem Melting Pot-Abenteuer zu wenig ansieht.
Cameron Diaz ist eigentlich dazu prädestiniert, eine moderne Version des „flapper“ zu sein, temperamentvoll, ehrgeizig, urban und ein bisschen durchsichtig. Etwas strahlendes, helles, das auf die Gelegenheit wartet, sich bedeutungsvoll daneben zu benehmen. Nur sind es raue Zeiten, und selbst wenn man das Zeug dazu hätte, everybody’s darling zu sein, kann man auf dem Weg, die eigenen Träume zu erfüllen, nicht immer zimperlich sein. Ganz und gar nicht.
Cameron Diaz ist ein material girl. Wenn sie in ihren leichteren Filmen davon erzählt, was sie sich wünscht, ist es immer verflucht nahe an den verschmockten Träumen aus Magazinen und der Werbung („oberflächlich“ hätte man das früher vielleicht genannt); Las Vegas scheint irgendwie ihr Paradies zu sein, weiß der Himmel warum. Psychologisch gehen die meisten ihrer Rollen ohnehin nicht recht auf; man kommt ihr selten wirklich näher als man der blauäugigen, hochgewachsenen Frau kommt, mit der man ein Wartezimmer teilt. Das ist übrigens ja so unnah auch wieder nicht.
Cameron Diaz verließ das Elternhaus mit 16 Jahren und reiste durch die Welt, natürlich auch, was dies anbelangt, zu entsprechend bedeutenden Orten in Mexiko, Marokko, Japan und Frankreich. Ihre erste Karriere als Model für Coca Cola, Calvin Klein oder die Vogue, Marke freches Streetgirl unter Eleganz-Bestien, führte schließlich zur ersten größeren Rolle in „Die Maske“ (1994) an der Seite von Jim Carrey (noch so ein Großmund). Sie war die nette Blondine in einer Slapstick-Variante, und auch in „Feeling Minnesota“ und „Die Hochzeit meines besten Freundes“ ist sie Zentrum eines reichlich grotesken Geschehens, ein Kurzschluss zwischen Romantik und Zynismus, wenn es das gibt. Da man die Geschichten nicht wirklich glauben musste, musste man auch dem Cameron Diaz-Charakter nicht wirklich glauben.
Richtig in Fahrt kam die Karriere dann mit „Verrückt nach Mary“, vielleicht der erste echte Cameron Diaz-Film. Eine weibliche Form der Transgression, ganz und gar nicht unbefleckt, und dennoch im letzten „unschuldig“. Cameron Diaz also, das ist in erster Linie die Frau, die den Geschmacks-Attacken der Farrelly-Brüder standhielt. Die im größten Trash nicht selber Trash wurde. Das ist schon etwas.
Daneben gibt es die Versuche, tiefer ins Herzland der amerikanischen Traumen zu gelangen. „Minnesota“ etwa erzählt von einer „abgebrühten“ Frau, die von einem Kriminellen gezwungen wird, einen Buchhalter zu heiraten, sich aber gleich darauf dessen Bruder schnappt und mit ihm die Flucht ergreift. Ein sehr merkwürdiger Reigen von Begehren und Mord beginnt. Sie versteht die Kunst, ein Flaschenbier zu trinken, so wie es früher nur Männer im Kino taten, nämlich zur Begleitung von rebellischen Gedanken und Fluchtplänen. Aber wie in „Kopf über Wasser“ oder in „Very Bad Things“ wird auch hier nicht wirklich ernst gemacht mit der Geschichte von der Frau mit den drastischen Mitteln im Überlebenskampf in der geschäftigen Männerwelt. Das material girl ist Beute und Besitz, und es wendet diese Reduktion als Waffe um. Bis es vom eigenen Hang zur Sentimentalität übermannt wird.
Cameron Diaz’ definitives Genre (aber auch Problem ihres type casting) ist die Neo-Screwball-Komödie. Es geht einerseits um das Biest, das sich dann doch voller Herz zeigt, oder die verwöhnte, Zicke, deren Herz erweicht werden muss. Der prekäre soziale Ort ist die Voraussetzung der Liebesgeschichte, damit hat sich’s aber meistens auch mit dem Realismus. Am meisten indes geht es in erfolgreichen Cameron Diaz-Filmen um Hochzeitsverhinderungen und schließlich um Hochzeit als Schicksal und Happy End. Diese Fixierung ist vielleicht ein bisschen sonderbar, aber Cameron Diaz-Filme sind eben in aller Regel sehr, sehr amerikanisch. Es geht darum sexuelle Befreiung, Karrieretraum und die Mittelklasse-Codes eines reichen und erfüllten Lebens unter einen Hut zu bringen. Das ist natürlich unmöglicher als es je war; Cameron Diaz hat semiotische Anleihen von Doris Day und Marilyn Monroe, aber das Heilungsversprechen ihrer Vorgängerinnen kann sie nur noch sehr gewaltsam erfüllen. Daraus entstehen, immerhin, Momente von überraschender Ehrlichkeit inmitten der dreistesten Lügen.
Um die Hochzeit geht es auch in „The Sweetest Thing“, die paradigmatische Cameron Diaz-Hochzeitskomödie: Da lernt sie in einer Diskothek Peter Donahue kennen, der sie zur Hochzeit seines Bruders Roger einlädt. Christina und ihre Freundin Courtney landen schließlich, obwohl das eine oder andere komische Abenteuer bestanden werden muss, in der Hochzeitskirche, nur um festzustellen, dass in Wahrheit Peter selber heiraten soll. Christina ergreift die Flucht und bekommt daher nicht mit, dass das Paar in letzter Minute die Hochzeit absagt. Als Peter später bei ihr auftaucht, weist Christina ihn ab, obwohl sie immer noch immer in ihn verliebt ist. Natürlich kommt alles wieder in seine Ordnung. Hochzeiten sind, den Happy Endings zum Trotz, in Cameron Diaz-Komödien, als reiner Wahnsinn kenntlich. Aber niemand scheint das zu bemerken, manchmal nicht einmal der Regisseur.
Schlechte Cameron Diaz-Filme (und davon gibt es eine ganze Menge) sind daher ziemlich leer, schlimmer: eine Mischung aus Ideologie, Salzstangenpsychologie und Plattitüden. Wenn sie funktionieren, dann offensichtlich, weil auch eine Wirklichkeit der sexuellen Ökonomie im amerikanischen Kleinbürgertum so funktioniert, als perfektes Ineinander von zynischer Desillusion und kitschiger Inszenierung des Lebensglücks. Ein perfektes Beispiel (in dem es mainstreammäßig gelingt) ist die „Hochzeit meiner besten Freundin“: Julianne, eine erfolgreiche Restaurant-Kritikerin, und ihr bester Freund Michael hatten vor Jahren gewettet, wenn sie bis zu ihrem 28. Geburtstag nicht verheiratet wären, würden sie sich gegenseitig heiraten. Kurz bevor sie nun also 28 werden, erfährt Julianne, dass Michael in wenigen Tagen die reiche Kimmy heiraten wird. Da merkt sie, dass sie Michael in Wahrheit liebt und setzt nun alles daran, die bevorstehende Hochzeit zu vereiteln, und es sind auch ziemlich fiese Tricks, die sie dabei anwendet. Nutzt alles nichts, nicht einmal das Geständnis ihrer Liebe. Am Ende muss sie nicht nur verzichten, sondern auch ihre Rivalin davon überzeugen, dass sie „den Mann unserer Träume“ doch heiraten soll. Weniger funktioniert das in „Love Vegas“, wo sie, erstmal wieder enttäuscht, nach Las Vegas fährt, um sich zu amüsieren. Am Morgen nach einer alkoholgetränkten Nacht ist sie mit irgendeinem Kerl verheiratet, Ashton Kucher, der neben ihr wirkt wie ein milchgesichtiger Pfadfinder. Das wäre kein unlösbares Problem, würde der nicht ausgerechnet drei Millionen Dollar gewinnen, von denen sie ihren Anteil nur bekommt, wenn die „Ehe“ eine gewisse Zeit nach außen funktioniert (wofür eine Eheberaterin und das Gericht sorgen). Nun ja, dass aus dem anfänglichen Krieg dann doch noch eine glückliche Beziehung wird (vor allem, weil man versteht, einander Karriere-mäßig zu unterstützen) versteht sich mehr oder weniger von selbst, aber eher im Drehbuch als vor der Kamera. Das material girl, die sexuell selbstbestimmte Frau und die Liebende, die sollen sich hier einfach addieren; das geht nicht auf.
Im Vergleich zur „echten“ Screwball-Komödie, die aus den moralischen Codes eine Befreiungsphantasie entwickelten, müssen Cameron Diaz’ Hochzeitskomödien einigermaßen regressiv erscheinen, sie binden aus der Freiheit die Geschichten (nach allem loose talk über Sex, Geschäfte und Karrieren) an die Wiederherstellung der Codes, der Ehen, der Familien, der Karrieren. Von solcher Rückbindung zur Reaktion ist immer ein kleiner Schritt. So ist Cameron Diaz erst einmal die Idealbesetzung für die leicht überdrehte, postfeministische Feelgood-Komödie für die Sex in the City-Generation. Dass dabei so gern ein paar Geschmacksgrenzen überschritten werden, dass „weibliches Begehren“, Biertrinken und Mordkomplott dabei so selbstverständlich erscheinen, ändert nichts daran, dass die Lebensziele so ganz und gar der sozialen Mitte zugehören. Es geht um der Derangierten Zähmung.
Die Provokation ist eine Finte. Den MTV-Award für „Drei Engel für Charlie“ erhielt Drew Barrymore für ihre Kampfszenen und Cameron Diaz für einen Dialogsatz, in dem sie anregt, die Post „in ihren Schlitz zu stecken“. Man muss sich wohl die sexuelle Ökonomie des US-amerikanischen Mittelstands vorstellen, und die dazugehörige Mischung aus Bigotterie und Obszönität, um so etwas besonders lustig zu finden.
In dieser sexuellen Ökonomie kommt einer Darstellerin wie Cameron Diaz gewiss eine besondere Rolle zu: Der Trick ist in der Tat, die sexuelle Befreiung mit den alten Erfolgs- und Glücksvorstellungen zu verbinden. In den erfolgreichen Cameron Diaz-Filmen, von den üblichen Blockbustern wie „Drei Engel für Charlie“ oder „Shrek“ abgesehen, wo sie für die Sprech-Stimme der Fiona einige Gagen-Rekorde aufstellt, gelingt diese Verbindung von Zynismus und Romantik, mal mit mehr Zynismus mal mit mehr Romantik. Flops dagegen werden in aller Regel jene Filme, in denen diese Mischung auseinandergenommen wird, mal lustvoll, mal dramatisch. Filme, wie „Minnesota“, „Kopf über Wasser“ oder „Very Bad Things“, in denen Betrug, Mord und Manipulation zu normalen Mitteln der Lebensgestaltung werden. Da versucht die Komödie schwarz zu werden, und ein material girl wie Cameron Diaz scheint ihr gerade recht, aus der moralischen Unrettbarkeit der Situation einen Spaß zu machen. Aber unter anderem scheitert das daran, dass Cameron Diaz zwar ein Typ für Verkaterungen ist, wie sie sich in schlecht sitzenden Frisuren und stieren Blicken manifestiert, nicht jedoch der Typ für Anstrengungen. In einem Film wie „Love Vegas“, in dem ohnehin nicht viel stimmt, vermittelt sie nicht einmal Kopfschmerzen als Folgen einer bis zur Besinnungslosigkeit durchzechten Nacht. In gewisser Weise ist sie immer das Model geblieben, ihr Körper ist ein Instrument, ihre Mimik kontrolliert.
Eine dritte Variante des Cameron Diaz-Films dreht sich, wie der Episodenfilm „Things You Can Tell Just by Looking at Her“ von Rodrigo Garcia, um das, was ein amerikanischer Kollege die „female sadness“ nannte, eine sehr eigene Art von Ernüchterung und Melancholie. Wir wollen es nicht verhehlen: In Filmen wie diesen gerät Cameron Diaz an den Rand ihrer Schauspielkunst (möglicherweise hat sie auch einfach noch nicht den Regisseur gefunden, der ihr hilft, ihre offenkundig ikonische Figur jenseits dieses durchaus wirkungsvollen Zusammentreffens von Zynismus und Sentimentalität zu explorieren). Cameron Diaz ist glaubwürdig in einer Welt, in der ohnehin niemand an die „Ehrlichkeit“ von Gefühlen glaubt. Cameron Diaz kann nur jemanden spielen, der spielt. Aber das kann sie gut.
So einfach wie sie sich in Mordkomplotte verwickeln lässt, so wird sie auch selbst Opfer von männlichen Mordphantasien. In „Minnesota“ halten die beiden Brüder sich gegenseitig für ihre Mörder, in „Vanilla Sky“ wird sie Opfer eines Angriffs in einer Welt der „Life Extension“, wo Realität und Fiktion nicht mehr auseinander zu halten sind. In „Invisible Circus“ (2001) ist sie die junge Frau, deren Selbstmord zu Beginn der siebziger Jahre dekonstruiert werden muss: Faith’ junge Schwester reist nach Europa, um die Umstände dieses Selbstmordes aufzuklären und den Zusammenhang mit dem politischen Engagement zu ergründen, das sie nach Portugal führte. Das material girl als Überzeugungstäterin zieht die Mordphantasie ebenso an wie die berechnende Sexbombe.
Es waren wohl auch die nicht gerade schmeichelhaften Kritiken, die Cameron Diaz’ ernsthafte Filme einbrachte, was sie immer wieder zur Rückkehr zum bewährten Komödienstoff brachte: „The Holiday“ (2006) erzählt von der Besitzerin einer Produktionsfirma für Kinotrailer. Gerade hat sie sich von ihrem untreuen Freund getrennt, ihr Leben wird, wie in anderen Filmen von einem female sidekick diesmal von einer Stimme aus dem Kinotrailer begleitet und kommentiert. Eine Schlüsselszene zeigt ihren Exfreund, der ihr vorwirft, sie sei die einzige Frau, die mit ihrem Geliebten Schluss machen könne, ohne dabei Tränen zu vergießen. Zuerst versucht sie es vergeblich (sie hat damals, als sie fünfzehn Jahre alt war, bei der Trennung ihrer Eltern geweint, danach nicht wieder). Nun, sie findet einen Mann, der sich freimütig zu seinen Tränen bekennt, und mit den Tränen kommt die Liebe.
„Screwball“ in Cameron Diaz-Komödien meint die emotionale Errettung der selbstsüchtigen, verhärteten und unehrlichen Frau des Neoliberalismus, die ihren Objekt-Status in eigenem Interesse zu verwalten sucht, während sie den Verlust der familiären Wärme bearbeitet. Merkwürdigerweise ähneln diese Filme auch darin den berühmt-berüchtigten Doris Day-Komödien, dass in ihnen dauernd von Sex die Rede ist (und, natürlich, wir sind ein halbes Jahrhundert weiter, auch sexuelle Praxis in Wort und Bild nicht verschmäht wird) und dass sie dennoch am ehesten in den Flaschenbier-Sequenzen sexy sind. Die Verrücktheiten, um die es unentwegt geht, scheinen stets eher sozialer als leidenschaftlicher Art. Dass alle verrückt nach Cameron sind, glaubt man am Ende gar nicht mehr wirklich. Der komische Sidekick tritt mit Cameron Diaz ins Zentrum, das ist, dramaturgisch und mythopoetisch gesehen, ein gewagtes Unterfangen, da die Komponenten „Kitsch“ und „Schlechter Geschmack“ (Nihilismus oder Wahrheit, wie man es nimmt) sich jederzeit wieder spalten können. Wenn in „Love Vegas“ dann eine andere sehr schematisch die Rolle des komischen Sidekick übernimmt um die Hauptfigur zu re-romantisieren, erhöht das eher die Unglaubwürdigkeit. Anders gesagt: Es gibt bis jetzt noch keinen Cameron Diaz-Film, in der wir der Heldin rückhaltlos vertrauen könnten.
Durchaus gelungen aber waren die Versuche, in anspruchsvolleren Produktionen die Figur eher von der Peripherie her zu entwickeln, wie etwa in „Being John Malkovich“ oder in Oliver Stones „An jedem verdammten Sonntag“, wo sie die beinahe schon wieder klassisch-böse Managerfrau ist, drauf und dran, das Erbe des Vaters (einen männerbündischen Sportverein, der nicht zufällig „Sharks“ heißt) zu verscherbeln. Als Taschendiebin Jeanny in Martin Scorseses „Gangs of New York“ variiert sie in historischem Gewand die Geschichte von sozialem Aufstieg, Gewalt und Selbstfindung. Und „In den Schuhen meiner Schwester“ erzählt eine mehrfache Erziehungsgeschichte der selbstsüchtigen, unsteten Frau zum verantwortungsvollen Menschen und endet, wir haben es geahnt, mit einer Hochzeit, diesmal ist es die der Schwester.
Cameron Diaz ist eine fast schon feste Figur in einer (kinematografischen) Neuordnung der Geschlechterrollen in und nach der Krise; die Frage, wer der eigentliche screwball in den entsprechenden Komödien ist, findet hier die Beantwortung: Die (post)moderne Frau in der Screwball-Welt von Gier und Unordnung, die ein perfekt-chaotisches Gefühlsmanagement betreibt wird zur liebenden Vorstadt-Frau umgebaut. In ihr wird das Ende der Neo-Flapper zelebriert, und dafür muss auch, wie „Beim Leben meiner Schwester“ kräftig gelitten werden. Im klassischen Hollywood-Film folgten auf das Flapper-Ideal die Varianten der „Sex-Bomben“ und der „guten Kameradinnen“. Diese Rollenmodelle stecken als Möglichkeiten auch im Cameron Diaz-Charakter. Wir werden ihr nun, so oder so, als Mutter begegnen.
Text: Georg Seeßlen
- MISCHPOKE II - 4. März 2024
- Bruno Jasieński: Die Nase - 27. Juli 2021
- Manifest für ein Kino nach Corona | Brauchen wir andere Filme? - 27. Juli 2021
Schreibe einen Kommentar