Ihr neuer Film „Das rote Zimmer“ hat ein grünes Filmplakat.
Ja wir hatten zuerst ein Rotes, aber das ging dann nicht, und „das rote Zimmer“ auf einem grünen Plakat ist doch eigentlich pfiffiger.
Ja schon, aber das rote Plakat war so malerisch, fast wie ein Bild von von Gerhard Richter….
Nur die Schauspielerin wollte nicht nackt abgebildet sein.
Bleiben wir beim Thema „Bild“. Die männliche Hauptfigur lässt sich in Ihrem Film über ein Bild verführen. Ein Bild ist es etwas, was ihn von seiner Wissenschaft abbringt. Diese Miniatur auf der eine Insel abgebildet ist bringt ihn zum träumen, es funktioniert wie eine Eintrittspforte ins Paradies….
Das Bild als Eintrittspforte, das gefällt mir als Formulierung! Was dem Schauspieler da passiert das ist übrigens vor der Berlinale beim Drehbuch schreiben auch mir passiert. Man schöpft ja aus allen Quellen und Vieles hat auch mit mir zu tun. Ich habe zu meinen Hauptdarstellern immer wieder gesagt: Ihr spielt auch mich…
Woher kommt Ihr Interesse am Küssen, und wie wurde es zu einem Filmthema?
Das Küssen hat für mich schon immer eine besondere Bedeutung gehabt und als ich dann das Drehbuch für „das rote Zimmer“ schreiben wollte – das war nach der Berlinale 2009 – hatte ich in einer Zeitung einen Bericht über eine amerikanische Kussforscherin gelesen. Da dachte ich, dass wäre doch ein lustiges Thema… Das kann man übrigens noch heute im Internet nachlesen.
Sie schreiben ja Ihre Drehbücher immer in 28 Tagen live im Internet.
Ja, und wenn ich anfange weiß ich noch gar nicht, was ich machen will. Es beginnt mit handschriftlichen Notizen 10 Tage lang, und am 11. Tag fange ich dann richtig an.
Das klingt ja fast alttestamentarisch… Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Das erste wonach ich suche ist ein Titel, der mich reizt, der mir gefällt. Wenn ich den habe kommen immer mehr Sachen dazu, und wenn ich Glück habe ist der Film am 10. Tag im Prinzip im Kopf.
Es gibt dann Leute, die diesen Prozess im Netz verfolgen?
Ja, auf meiner website „moana-film“ gucken ungefähr 300 Leute täglich rein, und manche schreiben mir dann e-mails.
Kann es vorkommen, dass Sie etwas aufgreifen was Ihnen geschrieben wird?
Uff, wenn es mir gefällt – es gab auch schon Proteste…
Bezogen auf was? Dass Frauen sich im „Roten Zimmer“ so leidenschaftlich küssen?
Dass das so werden würde war mir selbst vorher nicht klar! Beim Casting habe ich zu den Schauspielern gesagt, ich habe keine Ahnung, wie ich diesen Filme drehen soll, dass es nicht unangenehm wirkt… In meinen Filmen früher habe ich immer gesagt „bitte die Lippen nur ganz leicht berühren, das sieht viel schöner aus, viel ästhetischer.“ Und dann war ich platt, wie unkompliziert das hier ging…
Diese Nähe, die Sie mit den Schauspielern hergestellt haben, scheint sich auch auf die Zuschauer zu übertragen, man schwimmt im Erzählfluss so mit…
Ja genau so soll sein! Gestern hab ich einen Film von Jean-Luc Godard gesehen „Une Femme Mariée“, mein Gott das ist Kino! Godart hat eine Art zu erzählen, die gegen alles ist, die total revolutionär ist… die liebevoll mit den Personen, mit den Figuren, umgeht, die er zeigt. – Max Zihlmann, Klaus Lemke und ich, wir haben früher immer gesagt, Film ist eine Sache der Einstellung. Damit meinten wir natürlich nicht die Kameraeinstellung, sondern die innere Haltung, und das ist letztendlich auch eine Sache der Moral. Dass ein wirklich guter Film eigentlich zutiefst moralisch sein muss.
Sie haben einmal gesagt 99 Prozent aller Filme hätten nichts mit Kino zu tun, das ist starker Tobak.
Ja, da steh ich zu!
Was ist dann Kino nach Thomé?
Von Beginn der Filmgeschichte an gibt es Kino im thoméschen Sinne, z.B. die Filme von Griffith. Ich würde sogar soweit gehen: auch Eisenstein ist Kino. Obwohl der eine Botschaft rüberbringen wollte – und wenn die Botschaft das Primäre wird, gefällt mir das überhaupt nicht!
Das würde jetzt aber bedeuten, dass ihrer Meinung nach 99 Prozent der Filme eine Botschaft haben?
Ja, denn das ist es was das Publikum will, was die Festival-Chefs wollen, und was die Kinobesitzer wünschen – und die verstehen ja vom Film gar nichts, nicht wirklich… Es gibt von Samuel Goldwyn den bekannten Spruch aus den 1930er Jahren „if you have a message send me a telegram“. Mein Filmverständnis ist geprägt durch die nouvelle vague, durch deren Filme und Texte – denn die meisten Regisseure haben ja auch geschrieben – habe ich Kino kennen gelernt. Auch das amerikanische Kino. Für die deutsche Kritik war damals ein Film von beispielsweise Howard Hawks unannehmbar. Das war ja Kommerz! Und in den 1950er Jahren wollten sie historische Themen. Das waren dann Filme, in die ganze Schulklassen reingehen mussten, um hinterher Aufsätze zu schreiben, Filme über Gustav Stresemann oder so was… Und als dann die Oberhausner kamen mit ihrem Manifest hat sich zwar ein bisschen was verändert, aber die sind total auf die Forderungen der damaligen Filmkritik eingegangen. Filme mussten gesellschaftskritisch sein. An vorderster Front war das Alexander Kluge, aber schauen sie sich heute mal einen Kluge-Film an…. Für mich ist es so: man muss aus dem Kino kommen und sich wohl fühlen. Und das betrifft nicht nur Filme, auch Romane. Wenn ich ein Buch lese, merke ich schon auf den ersten 20 Seiten, ob ich dabei bin oder nicht. Da springt etwas über, was mich fasziniert oder nicht, womit ich mich wohl fühle oder nicht.
Dann kommen am Ende ja nur Wohlfühlfilme raus…
Was heißt das denn schon! Es will doch niemand einen schlechten Film machen oder sehen. Dazu ist das Ganze auch zu mühsam und zu teuer. Aber jetzt hier bei „das rote Zimmer“ gibt es durchaus Leute, denen der Film ÜBERHAUPT nicht gefällt! Einer hat gesagt, der Film beginnt mit einer Prostitutierten und endet mit Prostitution. Ein Mann, der mit zwei Frauen zusammenlebt und die einen Vertrag machen, dass er das bezahlt, das sei doch letztendlich Prostitution. Ich habe gesagt: im kommunistischen Manifest bei Karl Marx heißt es, die Ehe IST Prostitution.
Ein Vertrag zur gegenseitigen Benutzung der Geschlechtsorgane schreibt Kant…
Und im Christentum heißt es, die Ehe ist ein Sakrament. In meinen Filmen wird ja relativ häufig geheiratet und ich habe schon erlebt, dass ein katholischer Pfarrer das ablehnt zu spielen – weil die echten Pfarrer sind einfach besser als Schauspieler – weil es ein Sakrament ist.
Es gibt absolute Thomé-Fans und absolute Thomé-Hasser. Sie sind so eine Art Scheidewasser, wie erklären Sie sich das? Nur wenige Filmemacher rufen so eine Spaltung hervor, oder?
Also auf Dauer wahrscheinlich nicht…
Das ist doch eine echte Leistung über all die vielen Jahre….
Sie sehen das positiv? Aber ich muss damit leben! Mir wäre natürlich lieber, wenn es das nicht gäbe, denn ich möchte von allen Leuten geliebt werden.
Nee, ehrlich?
Ja, doch!
Ist „das Rote Zimmer“ digital gedreht?
Ja, dieser Film ist der erste Film von mir, der digital gedreht ist. Obwohl ich ein totaler Computer-Freak bin stand das bisher nicht zur Debatte…
Wie kam es dazu? Und wie würden Sie das rückblickend beurteilen?
Ich habe einfach nicht mehr Geld bekommen… Und die Umwandlung von anlog, also von 35-mm Negativabtastung in HD hätte um die 25.ooo Euro gekostet, und dieses Geld hätte mir gefehlt. Das war ein langer Prozess des Umdenkens. Dann kam mir die Idee: ich drehe den Film gleich digital und zwar mit der Red One.
Warum stand das denn bisher nicht zur Debatte, wo doch so viele über das digitale Drehen schwärmen?
Ich hab ja auch erst 2005 zum ersten Mal die digitale Postproduktion machen MÜSSEN. Bis dahin stand hier ein klassischer Schneidetisch, stellen Sie sich das mal vor, und das ging einfach nicht mehr! Es gab kein Material mehr!
Was?
Ja! Es gab kein Perfoband mehr, es gab kein Blauband mehr, im Mischstudio standen die 12 Mischmaschinen, die 12 Perfospieler nicht mehr… Dann habe ich versucht diesen Schneidetisch zu verkaufen, der war perfekt. NIEMAND wollte ihn haben, ich wollte ihn verschenken, auch das hat 2 Monate gedauert. Daran sehen Sie wie viel sich verändert hat… Also ich bin durch die technische Entwicklung gezwungen worden digitale Postproduktion zu machen.
Ohne diesen Zwang hätten Sie genau so weiter gemacht?
Ja hätte ich weitergemacht
Aus Gewohnheit?
Nein man hat mir natürlich schon in den 90er Jahren gezeigt wie digitale Schnittsysteme aussehen. Aber ich wollte diesen Materialwiderstand und eine Cutterin, die sich dreimal überlegt, ob sie einen Schnitt setzt, weil wenn er falsch ist, muss sie ihn neu zusammenkleben. Also der Materialwiderstand, der ist schon produktiv, und wenn der wegfällt dann fehlt etwas….
Und jetzt?
Jetzt habe ich das erste mal mit einer Cutterin zusammengearbeitet, die das Programm, den digitalen Schnitt, den final cut an der dffb unterrichtet. Das war ein wunderbares Erlebnis! Es ging unendlich schnell. Wir hatten nach 5 Tagen bereits den Rohschnitt, und nach 14 Tagen war der Schnitt ganz fertig. So konnte der Film bereits auf der VIENNALE gezeigt werden.
Rückblickend würden Sie also sagen es ist ein tolle Sache?
Ja. Aber das hat ja nichts mit dem digitalen Drehen zu tun. Das digitale Drehen ist nochmal eine ganz, ganz neue Erfahrung gewesen. Denn ich sehe sofort, was ich gedreht habe. Ich bin ja immer neben den Schauspielern, ich arbeite nie mit Monitor. So spüren die Schauspieler meinen Blick, nach ein oder zwei Drehtagen spüren sie meinen Enthusiasmus, und das hilft ihnen wirklich gut zu sein… Der ganz große Vorteil ist aber, dass ich nicht mehr daran denken muss was es kostet, wenn die Kamera läuft. Ich habe früher immer gesagt, Ihr müsst solange spielen bis ich cut sage… Ihr müsst weiter spielen… bei 16 mm konnte man sich das leisten, aber bei 35 mm, wo einfach jede Sekunde, die die Kamera läuft um die 4 Euro kostet, jede Sekunde, nur das Bild…Negativmaterial, Entwicklung, Kopierwerk, Muster….stellen Sie sich das vor!
Nun gibt es ja prominente Stimmen, Sophie Coppola oder Woody Allen, die sagen sie würden nie digital drehen! Weil es diesen Touch nicht mehr hat…
Aber den können sie doch künstlich herstellen.
Kommen wir noch auf das Thema „Kino“. Denken Sie, dass das Kino als Abspielstätte eine Zukunft hat, wo man sich jetzt doch fast alles aus dem Netz holen kann?
Ich denke das Kino der Zukunft wird digital sein im Bezug auf die Produktion. Und ich bin sicher die Kinoorte werden so flexibel sein, dass sie sich verändern. Denn sie müssen sich verändern! Ich kenne ja noch die wunderbaren Filmpaläste am Kudamm, von denen ja bis auf wenige Ausnahmen nichts übrig geblieben ist. Vielleicht noch die Astor-Lounge, okay, aber ansonsten ist nichts übrig geblieben. Die Astor Longe soll ja vom technischen und vom Komfort her absolute Spitze sein. Und genau so muss das sein!
Also wenn die Technik stimmt und das Ambiente, dann würden Sie sagen, dass das Kino also Ort überlebt?
Ja.
Trotz all der Konkurrenz der anderen Medien, der anderen Abspielmöglichkeiten?
Ja gut, ich habe da auch einen Plasmafernseher, 42 Inch. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich nicht oft ins Kino gehe. Ich habe zum Beispiel jetzt alle Hong Sang-hoo Filme gesehen, dat geht ja nur so…
Deshalb frage ich ja…
Wenn ich also sage, ich habe gerade „Une Femme Mariée“ von Godard gesehen, so geht das ja auch nur so! So ein Film läuft ja nicht im Kino. Und das Internet macht das möglich. Wenn man unbedingt will kriegt man da fast alles. Das ist natürlich eine Konkurrenz für das Kino. Aber natürlich müssen sich nicht nur die Kinos verändern, sondern auch das Publikum… das, was in den 50er Jahren in Frankreich passiert ist und was in den 60er Jahren in New York passierte, das kann wieder passieren, aber jetzt halt leider nicht. Diese totale Filmverrücktheit ist einfach vorbei, wobei im Internet da etabliert sich was. Es gibt da Foren, Websites, da tut sich schon einiges.
Zum Schluss: Wovon wird Ihr nächster Film handeln?
Mein nächster Film wird die Geschichte über einen alten Regisseur erzählen, der als Produzent und Schauspieler den ersten Spielfilm seiner Tochter begleitet. Es wird ein Road Movie werden, quer durch Italien. Und die Tochter dreht digital, träumt aber vom analogen…
Herr Thome, vielen Dank für dieses Gespräch.
Interview und Foto: Daniela Kloock
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