Hinrichtung der posierten Moralität und Fülle
Vor 125 Jahren wurde der Dadaist Hugo Ball geboren
Hugo Ball prägte sich als Erfinder des Lautgedichts und Begründer der Dada-Bewegung ins kollektive Bewusstsein ein. Er inszenierte jedoch auch Theaterstücke, schrieb burleske Romane, verfasste politische Schriften und widmete sich theologischen Problemen.
Hugo Ball wurde bekannt als Erfinder des Lautgedichts. Die „Totenklage“ entstand 1916 während des Ersten Weltkrieges. Damals hatte Ball in Zürich das „Cabaret Voltaire“ und damit die gegen die Herrschaft der Rationalität gerichtete Dada-Bewegung gegründet, zusammen mit Emmy Hennings, Tristan Tzara, Hans Arp, Marcel Janco, und Richard Hülsenbeck. Letzterer präzisiert:
„Aber niemand hat wirklich den Dadaismus gegründet. Denn er war nur ein Zeitelement, ein Teil des allgemeinen Nihilismus unserer Zeit. Und hier spielt eben Ball die große Rolle. Ball, meines Erachtens, war der wirkliche geistige Vater unserer ganzen Bewegung.“
Schon vor „Dada“ war Hugo Ball Teil der Avantgarde. Der am 22. Februar 1886 in Pirmasens geborene Sohn eines Lederwaren-Vertreters hatte gegen den Willen seiner Eltern in München und Heidelberg Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert. Seine Dissertation über Friedrich Nietzsche brach er zugunsten einer Regieausbildung am Deutschen Theater in Berlin ab. Wenig später inszenierte er an den Münchener Kammerspielen Wedekind. Er publizierte tabuverletzende Gedichte in der „Aktion“, besuchte die bahnbrechende Ausstellung der Futuristen 1914 in Dresden. Im folgenden Jahr veranstaltete er mit Hülsenbeck eine „Gedächtnisfeier für gefallene Dichter“ in Berlin. In ihrem dort vorgetragenen „Literarischen Manifest“ heißt es:
„Wir wollen aufreizen, umwerfen, bluffen, triezen, zu Tode kitzeln, wirr, ohne Zusammenhang, Draufgänger und Negationisten sein. Wir werden immer ‚dagegen‘ sein.“
Dieser expressionistische Protest gewinnt 1916 in Zürich mit der Dada-Bewegung an Tiefgang. Ball notiert in seinem Tagebuch:
„Was wir Dada nennen, ist ein Narrenspiel aus dem Nichts, in das alle höheren Fragen verwickelt sind, eine Gladiatorengeste, ein Spiel mit schäbigen Überbleibseln, eine Hinrichtung der posierten Moralität und Fülle.“
Berühmt wurde Balls Auftritt als kubistischer Bischof im Cabaret Voltaire. Es existiert ein Foto, das Hugo Ball in seinem Kostüm zeigt. Es war aus Pappe gefertigt und auf geometrische Formen reduziert. In dieser starren Hülle rezitierte Ball sein Lautgedicht „gadji beri bimba“.
„Die schweren Vokalreihen und der schleppende Rhythmus der Elefanten hatten eben noch eine letzte Steigerung erlaubt. Wie sollte ich’s zu Ende führen? Da bemerkte ich, dass meine Stimme jenen Stil des Meßgesangs annahm, wie er durch die katholischen Kirchen des Morgen- und Abendlandes wehklagt.“
Emmy Hennings: „War der Dadaismus ein Zelt für Hugo, dann brach er es nicht eigentlich ab, sondern ließ es stehen, wo es stand, und fuhr eines schönen Tages nach Magadino ins Tessin. Da ich noch mit Aufräumarbeiten beschäftigt war, folgte ich ihm einige Wochen später.“
Emmy Hennings, die große Liebe von Hugo Ball, sang Chansons in Cabarets und schrieb Lyrik und Romane – wie er. Zusammen führten sie ein Leben am Rande des Existenzminimums.
Hugo Ball: „Emmy hat mir vier neue Gedichte geschenkt. Als ob das nun kein Besitz oder Vermögen wäre.“
1918/19 arbeitete Ball als Redakteur der linksgerichteten „Freien Zeitung“ in Bern, eine Tätigkeit, die sich schon in seiner Beschäftigung mit dem russischen Anarchisten Bakunin angebahnt hatte. Aus jener Zeit stammt auch Balls vielbeachtete Schrift „Zur Kritik der deutschen Intelligenz“, in der er die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges analysierte. In seinen letzten Lebensjahren widmete sich der Autor vor allem religiösen Themen, publizierte in der katholischen Zeitschrift „Hochland“. Im Alter von nur 40 Jahren starb Hugo Ball 1927 im Tessin an Speiseröhrenkrebs. Richard Hülsenbeck über seinen Abschied von seinem Freund und Mentor:
„Als die Nachricht von seinem Tode kam, bin ich dann mit meiner ganzen Familie nach Montagnola hinuntergegangen. Und da sah ich ihn zum letzten Mal im Sarg so, wie er immer im Leben gewesen war. Mit seinem jugendlichen Gesicht, das von einer intensiven Geistigkeit durchstrahlt war.“
Hugo Ball gehört zu den großen bekannten Unbekannten der Kulturgeschichte. In seinem phantastischen Roman „Tenderenda der Phantast“ lädt er das Publikum ein in das „Grand Hotel der Metaphysik“. Anders war der Wahnsinn des Weltkriegs nicht zu beschreiben. Ein letztes Mal feuerte er mit Worten:
„Über keine Rede der Herren Clemenceau und Lloyd George, über keinen Büchsenschuss Ludendorffs regte man sich so sehr auf wie über das schwankende Häuflein dadaistischer Wanderpoeten, die die Kindlichkeit auf ihre Weise verkündeten.“
Text: Carmela Thiele
Deutschlandfunk, 22.02.2011
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