Warum liegen dem Konsumkapitalismus die Geschlechter so am Herzen? Weil man dann alles doppelt verhökern kann.
Rosa und weiß leuchtet es, auf der Kärntner Straße strahlt der Laden sogar nach außen und gibt sich in der Geschäftezeile als eine illuminierte Plastikbox. Ein Wunderkästchen. Drinnen ist es clean, der helle Fliesenboden glänzt, als hätten die Putzmittel, die man hier auch kaufen kann, sich zur grundierenden Kategorie aufgeschwungen. Die Einkaufswagen, wie üblich in Drogeriemärkten, sind kleiner als die der Supermärkte und rundlich geformt – fast wie Kinderwagen – damit die Waren, auch die kleinen Schächtelchen und Döschen, leicht hinab gleiten und sich nicht in Ecken verhaken können.
Mit 147 Filialen vertreten, ist Bipa in Wien eine omipräsente Drogeriemarktkette. Je nach dem, wo die Filialen liegen, sind nur sie schwach besucht und dümpeln, in der Taborstraße zum Beispiel, trist hinter der mit halbtransparenter Folie beklebten Schaufenstermembran. Von der Decke herab hängen Schilder mit dem Logo BC und dem Spruch Schön, dass es dich gibt, der offen lässt, ob er sich auf die Bipa Vorteilscard (BC) bezieht oder auf die Kundin.
Nichts gibt es hier, was nicht irgendeinem, wenn auch nicht zwingender Weise notwendigen Zweck diente. Und nichts ist unverpackt. Durch die Regalreihen gesehen ergibt sich der Eindruck einer aus unzählig pastellbunten Boxen zusammengesetzten, sanften aber widerständigen, zumindest robusten Oberfläche, die zur Not auch noch einmal nass abgewischt werden könnte. Zwei junge türkische Mütter gehen herum, nehmen bedächtig Dinge in die Hand, betrachten und stellen wieder zurück ins Regal. Eine alte Dame steht hilflos vor den für sie zu schweren Waschmittelflaschen. Man könnte an Abschaffel denken, jenen Helden aus Wilhelm Genazinos gleichnamiger Romantrilogie, der durch Frankfurter Kaufhäuser streift und Socken anfasst, damit er mal was Weiches spürt. Hier aber ist nichts wirklich weich, alles glatt. Nichts knistert, allenfalls raschelt Pulver in dieser Atmosphäre plüschiger Sterilität. Wir müssen uns den Drogeriemarkt als einen grausamen Ort vorstellen.
Light oder Zero
Die moderne und postmoderne Lebenswelt wird von Soziologen oft mit den Schlagworten „Enttraditionalisierung“ und „Individualisierung“ beschrieben, meist ist auch davon die Rede, dass sich die herkömmlichen Geschlechterarrangements immer weiter auflösen. Frauen sind berufstätig und tragen zu einem großen Teil des Familieneinkommens bei, Männer fühlen sich – zumindest ist das erwünscht – zunehmend mehr für Erziehungs- und Reproduktionsarbeit verantwortlich. Insgesamt sind die Rollenerwartungen flexibler und das bürgerliche Modell Familie brüchiger geworden. Daneben kursiert noch ein anderes Label, nämlich das von einer zunehmenden „Feminisierung“ der westlichen Kultur. Unter diese sehr schwammige Formel kann vieles fallen, etwa, dass die nicht von ungefähr als soft bezeichneten skills, also Kommunikations-, Kompromiss- und Sozialkompetenzen, heute als wesentliche Stärken im Berufsleben gelten; dass Mädchen im Durchschnitt besser in der Schule sind als Jungs; oder dass Frauen – angeblich – mehr und mehr das Ruder übernehmen und Machtpositionen besetzen.
Sieht man sich allerdings in den Konsumwelten des real existierenden Kapitalismus um, kann man vielleicht eine teilweise „Enttraditionalisierung“ der Geschlechterrollen finden, keinesfalls aber eine Auflösung der Geschlechtsstereotypien. Im Gegenteil, wenn es einen gesellschaftlichen Bereich gibt, der explizit vorführt, wie Geschlecht imaginär hergestellt wird, ist es die Konsumwelt und die Werbung, die fast jedes Produkt als „männlich“ (das heißt: für Männer) oder „weiblich“ (also: für Frauen, zu Frauen passend) oder „unisex“ qualifiziert. Ein schönes Beispiel für die Vergeschlechtlichung von Objekten sind Getränke wie Coke light. Die Cola mit dem weichen schwarzen Schriftzug light auf silbernem Etikett wendet sich an Frauen, Coke zero in schnörkelloser weißer Schrift auf schwarzem Grund ist, klar, für Männer.
Dass solche geschlechtlichen Markierungen von Produkten nur willkürliche Zeichen sind, wie Etiketten auf Flaschen, weiß jedes Kind. Es gibt keinen notwendigen Grund, weshalb silber „weiblich“ und schwarz „männlich“ sein sollte. Wenn aber die Geschlechtszuschreibungen beliebig sind und zugegebenermaßen oft lächerlich naiv daherkommen, bleibt die Frage, warum das Prinzip eigentlich funktioniert? Warum, so soll hier die Frage sein, können Gegenstände eigentlich zu Symbolen für Geschlechtlichkeit werden, und warum ist Bipa vornehmlich für Frauen? Es wird wohl an der Farbe liegen. Denn Männer kaufen woanders.
Er funkt, sie putzt
Bei Elektro Conrad in Berlin läuft leise Popmusik. Auf zwei riesigen Etagen gibt es hier alles, was das Bastler-Herz begehrt. „Komm Großer!“ ruft ein Vater, dessen Sprössling sich bei den Retro-Radio-Sets festgesetzt hat, ein unrasierter Cowboy in Stiefeln, Hut und zugehöriger Lederfransenweste streift suchend und mit viel Zeit durch die Regalreihen, ein kleines Einkaufskörbchen im Armwinkel.
Das meiste hier dreht sich ums Steuern, Optimieren, Funken, Sichern, Verteidigen: Rauch- und Wassermelder sind im Angebot, digitale Codeschlösser, Funk-Türen und Funk-Fenstermelder, Alarmsirenen, oder, der Hit, ein handtellergroßer Staubsauger mit USB-Anschluss für die Computertastatur. Alles liegt in Stahlregalen und die Farbanmutung ist grau mit bunten Einsprengseln. Es herrschen hier nur klare Farben, kein Pastell – als Mischung ist allenfalls schimmerndes Metallic erlaubt. Kräftiges Blau und Gelb sind die Farben des Corporate Design, und in blaugelb verkünden überall Plakate: Mann war ich brav. Technik, die ich haben will.
Konsumprodukte sind nicht nur Spiegel von Bedürfnissen, sie geben auch gesellschaftliche Sinnsysteme wieder. Und eines ist klar: wenn Bipa für Frauen ist, ist Elektro Conrad für Männer. Allein die Schilder Schön dass es dich gibt versus Mann, war ich brav sprechen Bände. Das Weibliche ist dialogisch, die Frau lässt sich vom Plakat als „du“ ansprechen, und zwar schmeichelnd und in ihrem „Sein“. Der männliche Part dagegen ist egozentrisch inszeniert. „Mann, war ich brav“, spricht den Mann als Kind an, das verspielt oder Arbeit spielend, im Traumland Elektro Conrad etwas „haben will“. Auch die Farbgebung – er klar, sie pastell – und die ästhetische Präsentation der Produkte – er sachlich, sie freundlich – sind an Geschlechterklischees orientiert: Männer wollen Kontrolle, Frauen Sauberkeit: was ihm das Funken und Basteln ist, ist ihr das Schminken, Dekorieren, Putzen.
Klischee und Wirklichkeit
Der amerikanische Soziologe Erving Goffman hat die Aussagekraft der Werbung mit der von Zeremonien verglichen. In der Reklame werde, wie im Ritual, gesellschaftliche Realität dramatisiert und vereinfacht, um das, was wir sonst nur flüchtig wahrnehmen, verständlich zu machen. Von daher sind Drogerie- und Elektromärkte zwar künstliche Inszenierungen von Geschlechterräumen, sie sagen aber durchaus etwas über reale Geschlechter- und Machtverhältnisse aus, und, wichtiger noch: sie (re-)produzieren sie.
Denn das Verhältnis von Angebot und Nachfrage funktioniert ja wie ein unendlicher Zirkelschluss. In permanentem Hin- und Herlauf versucht das Marketing herauszufinden, was Frauen/Männer wollen, und die Kunden lesen an den Angeboten ab, was offenbar Frauen/Männer wünschen. Und sie können, indem sie Wünsche imitieren, für die sie selbst die Vorlage lieferten, sich wiederum als Frauen/Männer definieren.
Wie bekommen die Dinge nun ihr „Geschlecht“? Es nicht ganz so beliebig, wie das Cola-light Beispiel erscheinen lässt. Waren sind geschlechtlich, weil sie sich auf Arbeits- oder Tätigkeitsbereiche beziehen, die klassischerweise dem einen oder anderen Geschlecht zugesprochen sind und in ihnen auch funktionieren. Windeln für das Kind, Scheuermittel für den Boden, Rasierschaum gegen die Bartstoppeln. Zu Symbolen für Geschlecht werden Waren aber auch, weil sie mit einer bestimmten Ästhetik verbunden sind. Es bräuchte lange, um zu erörtern, warum welche Designs eher Männer oder eher Frauen ansprechen. Sicher ist aber, dass hierbei eine Art metaphorischer Übertragung eine Rolle spielt. Es gefallen Qualitäten, in denen sich die jeweiligen Geschlechtszuschreibungen ausdrücken können und so Identifikation ermöglichen. Die Waren haben aber auch die Funktion, sich des eigenen Geschlechts zu versichern oder durch Kombination von „männlichen“ und „weiblichen“ Attributen eine eigene Gender-Note aufzubauen. Das deutsche „Frauenbier“ Beck’s Gold zum Beispiel funktioniert nach diesem Prinzip: Traditionellerweise trinken Frauen, wenn überhaupt, Bier aus dem Glas. Beck’s Gold ist in eine durchsichtige Flasche gefüllt, imitiert also die Qualität des Glases, gibt dann noch ein goldenes Etikett hinzu und erlaubt so, durch Hinzufügen genügend beruhigender weiblicher Merkmale, dass Frauen auch Bier aus der Flasche trinken können, ohne etwas von ihrer Weiblichkeit einzubüßen.
Zum Kaufen verdammt
Die Frauen im Drogeriemarkt, die Männer im Technikhandel – das wären die klassischen Geschlechterverhältnisse, doch natürlich geht alles auch anders. Natürlich kaufen Frauen bei Conrad und Männer bei Bipa, und gerade in den vergangenen zwei Jahrzehnten haben sich Konsumartikel und Einkaufsgewohnheiten sehr in Richtung einer Durchmischung traditioneller Geschlechterräume entwickelt. Im Wellnessboom verbinden sich sanfte, weiche Formen auch mit Virilität; Körperpflege und modebewusste Kleidung sind mittlerweile auch für Männer ein Muss. Umgekehrt haben sich vormals männlich dominierte Segmente für Frauen geöffnet, wie beispielsweise der gesamte Sportgeräte- und Sportbekleidungsmarkt. Doch auch diese Medaille hat zwei Seiten: Einerseits erhöhen sich die Möglichkeiten für beide Geschlechter, und es ist erfreulich, dass mittlerweile auch auf weibliche Proportionen zugeschnittene Radtrikots existieren. Andererseits wirkt der Geschlechtsbezug von Produkten mittlerweile so natürlich und unhinterfragt, dass wir fest daran glauben, die Feuchtigkeitscreme Florena-Men würde tatsächlich nur auf Männerhaut wirken.
Neuere Analysen der Konsumkultur betonen immer wieder, dass sich im so genannten „Kulturkapitalismus“ nicht mehr das Produkt selbst verkauft, sondern die Marke und das mit ihr verbundene Gefühl, das eben auch ein Geschlechtserlebnis sein kann. Sex sells im wahrsten Sinne des Wortes. Hier wird in aller Banalität klar, warum dem Konsumkapitalismus die beiden Geschlechter so sehr am Herzen liegen: Man kann fast alles doppelt verhökern, indem man es geschlechtlich, wie sexy markiert.
Es scheint nun, dass diese Vergeschlechtlichung der Produkte von den Kunden und Kundinnen nicht wirklich als negativ oder unangenehm erfahren wird. Müssen wir uns den Drogeriemarkt dennoch als einen grausamen Ort vorstellen? Ich glaube schon.
„Shopping is female“, schrieb Ende der 1990er Jahre Paco Underhill in seinem Klassiker Why we buy. Schon historisch ist Konsum ein vornehmlich weibliches Phänomen, die frühen Kaufhäuser waren eine Befreiung für bürgerliche Frauen, ihre zunächst einzige Möglichkeit, sich im öffentlichen Raum aktiv zu bewegen. In dem berühmten Roman Paradies der Damen beschreibt Emile Zola, wie Kaufhäuser die Rolle einnehmen, die vormals die Kirche im Leben der Frauen hatte, und natürlich wurde Konsum auch zur Entschädigung für die Langeweile einer Existenzform, in der Selbstverwirklichung nicht vorgesehen war. Manche Frau hat sich auch durch Überschuldung am dominanten Gatten gerächt, und sprichwörtlich gelten Kleptomanie und Kaufsucht als vornehmlich weibliche Pathologien. Studien, die sich mit Kaufsucht beschäftigen, sprechen vom Konsum als einer Depressions- und Angstabwehr, das erstandene Objekt gilt als „symbolische Selbstergänzung“, es wird angeeignet, um den Selbstwert kurzfristig zu erhöhen. Vermutlich ist in jedem Kaufakt ein Rest dieser ohnmächtigen Gier enthalten.
Oft wird ein Sachverhalt nur klar, wenn man auch sein Gegenteil hinzu denkt. Man muss daher Konsum nicht nur als Handlung, sondern als kompensierte Handlungshemmung verstehen, eine Ablenkung, die weit entfernt ist von den hohen Glücksvorstellungen einer vita activa. – Und man muss auch im angestrengten „sich etwas Gutes tun“ die andere Seite sehen: Konsum ist selbstverletzendes Verhalten. Es sind die kleinen oder größeren Schnitte ins Portemonnaie, die durch ablenkende Erregung und nachfolgenden Spannungsabbau kurzfristig Erleichterung schaffen, bis hin zur Suizidprophylaxe. Nicht umsonst wird Kaufsucht mit Bulimie verglichen – die Mechanismen sind dieselben.
Der Trick an den Waren ist, dass sie nichts befriedigen und ihr Reiz daher endlos aufs Neue funktioniert. Sie sind das Gegenteil von Genuss, so hat Baudrillard vor 40 Jahren in seinem wütenden Verriss der Société de consommation und Theodor W. Adorno in der Dialektik der Aufklärung vor ihm noch viel früher festgestellt. Irgendwie ist diese Wahrheit heute in Vergessenheit geraten. Konsumkritik gilt derzeit für miesepetrig, old fashioned und naiv, weil sie offensichtlich nicht begriffen hat, um was es in jüngeren, ironischeren Formen des Kulturkapitalismus wirklich geht. Die Kritik jedoch ganz über Bord zu werfen, ist ein Zeichen von Gehirnwäsche und angesichts der Rolle, die Frauen in diesem Spiel zukommt, geradezu fahrlässig. Heute, so wird immer wieder betont, liegen 75 bis 80 Prozent der Kaufentscheidungen in weiblicher Hand. Angesichts der Vorgeschichte des Konsums sollte man sich fragen, ob das wirklich als Machtbeweis zu deuten ist oder als Fluch. Zum Kaufen verdammt in alle Ewigkeit.
Burgit Fußbadesalz, plüschbezogene Handschellen fürs Liebesspiel, Lippenstifthalter. Ihre Traurigkeit enthüllen Drogerie- und auch Elektromärkte, wenn man langsam durch sie hindurchgeht. Es sind untote Orte der Langeweile. Grausam sind sie, weil selbst der schiere Wahnsinn der Masse – 300 Haartönungen, 53 verschiedene Duftspender und 30 Sorten Lippenbalsam – nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass es hier keine wirklich luxuriöse Verschwendung gibt. Gerade die kleinen Dinge, die nicht notwenig, aber doch so praktisch sind, spiegeln Geschlechtlichkeit in ihrer zur Alltäglichkeit verkümmerten Rumpfform, und sie sprechen in ihrer Masse auch vom Wahnsinn einer ungeheuren Trostbedürftigkeit. Kajalstift und Elektroschrauber – das ist es, was übrig bleibt, wenn die Sehnsüchte sich ins Minimale verlieren. Der Drogeriemarkt verbirgt den alltäglichen Dreck nicht wirklich, er zeigt ihn nur abwaschbar und ins hygienische Farbenfroh mutiert. Vielleicht wird er gar zur ästhetischen Leitkategorie für alle möglichen Geschäfte und einen ganzen Lebensstil. Jedenfalls, so bemerkte neulich Ralf Wiegand in der Süddeutschen Zeitung, sieht es jetzt auch bei Beate Uhse schon so aus, als hätten „H&M und dm fusioniert“. Sofern Drogeriemärkte „weiblich“ sind, könnte man dann tatsächlich von einer generellen Feminisierung der Kultur reden. Utopien für das 21. Jahrhundert sehen allerdings anders aus.
Text: Andrea Roedig
Text zuerst erschienen in: Der Standard, in längerer Version auch im Buch Kapitalistischer Realismus.Von der Kunstaktion zur Gesellschaftskritik, herausgegeben von Sighard Neckel, Campus Verlag, Sommer 2010.
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