Adel der Unbestechlichkeit
Der englische Thrillerautor Robert Wilson
Nein, nicht der Bühnenregisseur, und nicht der von den „Illuminati“. Robert Wilson, jener 1957 in England geborene Autor und Oxford-Abso
lvent, ist einer der besten lebenden Kriminalautoren der Welt. Punkt. Sein Blick auf die Welt hat den Adel der Unbestechlichkeit.
Robert Wilson ist auf der Welt herumgekommen. Er hat lange von sehr wenig Geld gelebt, hat in Westafrika gearbeitet. Seine ersten vier Romane spielten dort, ihre Titel schon machten klar, was Sache war: „Instruments of Darkness“, „The Big Killing“, „Blood is Dirt“ und „A Darkening Stain“. Afrika, ein großer dreckiger Blutfleck, von uns allen ignoriert jenseits der machbaren Geschäfte. Wilson ist ein unerschrocken realitätstüchtiger, politischer Autor. Dieser Haltung hat auch sein allmählich zunehmender Bekanntheitsgrad keinen Abbruch getan.
Sein jüngstes Buch, „Andalusisches Requiem“ („The Ignorance of Blood“), beginnt nach einem blutigen Terroranschlag im spanischen Sevilla und unternimmt nichts weniger, als auf eine sehr erwachsene Weise dem Terrorismus und seinen menschlichen Kosten ins Auge zu sehen. Wilsons große Kunst als Autor ist es, uns zusammen mit absolut glaubhaften, nachvollziehbaren Romanfiguren auf eine Reise in das Herz der Finsternis unserer Tage zu bringen. Lesen müssen, weil man nicht aufhören mag, was immer auch noch komme. Und dies, weil man als Leserin und Leser fast eine reale Person im Stich lassen würde, stiege man aus.
Spannung bei Robert Wilson geht weit über die Mechanismen des Thrillers und des einfachen Suspense hinaus. Augenschein und tiefere Wirklichkeit im Sinne Shakespeares sind sein Leitmotiv. Wie alle großen Romanciers der Weltliteratur ist Wilson ein Personen- und Schicksals-Erzähler, seinen Figuren will und wird man in die schlimmsten Konflikte und Situationen folgen. Wilsons Romane vermitteln das tiefe Gefühl: Es sind wahre Menschen, über die wir lesen.
Für den ersten Roman des nun mit „Andalusisches Requiem“ abgeschlossenen Quartetts mit dem Kriminalinspektor Javier Falcón in Sevilla schrieb er drei Monate lang an einem Tagebuch des Polizisten, das er aber dann letztlich gar nicht ins Buch integrierte. Mit Javier Falcón hat Wilson eine überaus komplexe Figur erschaffen, bei (oder besser in) der im Laufe des Roman-Quartetts fast kein Stein auf dem anderen bleibt. Das Vergnügen konventioneller Krimireihen, auf stets verlässliches Personal zu treffen, man denke zum Beispiel an Maigret, kontrastiert Wilson mit ambitionierter Psychologie. Bei ihm wachsen, retardieren, korrumpieren, verzweifeln, resignieren oder reifen die Charaktere. Und das nicht zu wenig. „Verlust“, heißt es im preisgekrönten Roman „Tod in Lissabon“, „ist wie eine Granatsplitterwunde, wo das Werden an einem bestimmten Tag/in einer Metallstück an einem Platz steckt, an den die Chirurgen lieber nicht vordringen und sich deshalb entscheiden, den Splitter drin zu lassen. Das ist schmerzhaft am Anfang, grausam schmerzhaft, so dass du dir nicht vorstellen kannst, damit zu leben. Aber dann wächst der Körper über die Wunde, bis es nicht mehr weh tut. Nicht mehr so, wie es einmal wehgetan hat. Aber dann und wann, wenn du nicht bereit dafür bist, dann beisst es dich wieder, und du realisierst, es ist immer noch da und es wird immer da bleiben. Ein fester, harter Punkt in dir.“
Robert Wilson weiß um Verletzungen, die seelischen wie körperlichen. Er hat im Sport hart gerempelt, hatte einen schweren Autounfall und auch schon eine Pistole am Kopf. Er weiß um die dünne Haut der Zivilisation. Er weiß um die Zerbrechlichkeit unserer moralischen Regeln, er kennt die dunklen Grenzbezirke unserer Gegenwart. In „Die Toten von Santa Clara sagt ein Polizist: „Mein Beruf hat mich eine Sache gelehrt, nämlich dass der Mensch drei Stimmen hat: die öffentliche, um die Welt anzusprechen, die private für Familie und Freunde, und die verstörendste von allen – die Stimme im Kopf. Die, mit der man zu sich selber spricht.“
In „Andalusisches Requiem“, wo der islamische Terror und der Gegenterror in die Familie kommen, heißt es: „Wie beschreibt man das Empfinden, wenn einem der Verdacht kommt, vom eigenen Bruder ausgenutzt zu werden? Es gibt
kein Wort dafür in unserer Sprache, dabei kommt es doch wirklich oft genug vor, dass es die Mühe wert wäre, ein Wort dafür zu erfinden. Menschen werden ständig von ihren Nächsten ausgenutzt und verraten. Im Amerikanischen gibt es dafür das Wort „suckered“, ausgesaugt worden zu sein, das Mark herausgesaugt zu bekommen.“
Meine Bücher, scherzt Wilson, sind die grünsten in der Branche. Sie entstehen in der Einsamkeit, in einem kleinen, selbst renovierten und energiesparenden Haus im Alentjo, im portugiesischen Hinterland nahe der spanischen Grenze. Dort steht Wilson täglich um 5 Uhr auf, schreibt mit der Hand. „Der Stift ist das schwerste Werkzeug der Welt“, sagt er. Sechs Monate braucht die erste Version. Die schreibt er dann selbst für den Computer ab, weitere sechs Monate. Dann liest seine Frau. Bis zum fertigen Buch braucht es sechs bis sieben Versionen. Das ist langsam, aber Wilsons Bücher werden lange bleiben.
Robert Wilsons Romane:
Instruments of Darkness – 1995
The Big Killing – 1996
Blood Is Dirt – 1997
A Darkening Stain – 1998
Tod in Lissabon (A Small Death in Lisbon – 1999), Deutscher Krimipreis 2003
The Company of Strangers – 2001
Der Blinde von Sevilla (The Blind Man of Seville – 2003)
Die Toten von Santa Clara (The Silent and the Damned/USA: The Vanished Hands – 2004)
Die Maske des Bösen (The Hidden Assassins – 2006)
Andalusisches Requiem (The Ignorance of Blood – 2009)
Autor: Alf Mayer
Krimi-Kolumne: Blutige Ernte
Text geschrieben August 2009
Text: veröffentlicht in www.strandgut.de und www.glanzundelend.de
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