Parkers letzter Gang
Ein Farewell für Donald E. Westlake und Richard Stark
Sie begraben ihn anständig, geben ihm ehrenvolles Geleit. Wer sehen will, wie das Internet den Nachruhm zu sichern vermag, der gebe dieser Tage »Donald Westlake« oder »Richard Stark« in die Suchmaschine ein. Die Bloggerin Sarah Weinman führt eine verlinkte Liste aller Nachrufe, die aus der ganzen Welt im Web-Walhall eingehen. Am 31. Dezember 2008 ist der amerikanische Autor Donald E. Westlake an einem Herzinfarkt gestorben. Er war mit seiner Frau im Urlaub in Mexiko, war auf dem Weg zum Silvester-Dinner. Er wurde 75 Jahre alt. Westlake schrieb seit 1960. Sieben Tage in der Woche. Über 100 Bücher wurden es, mehr als eine Handvoll Pseudonyme, fast ein Dutzend Drehbücher, darunter eine Oscar-Nominierung für die Jim Thompson-Adaption »The Grifters« und drei Anläufe mit Hammetts »Blutige Ernte« für Volker Schlöndorff. Seinen Computer benutzte Westlake für Emails, seine Romane und Scripts entstanden alle auf einer Schreibmaschine. Die Smith Corona war sein bevorzugtes Tasteninstrument. Immer war er auf der Jagd nach gebrauchten Maschinen, um an Ersatzteile zu kommen. 1995 war die Produktion nach Mexiko verlagert und noch im gleichen Jahr für immer eingestellt worden. Ich stelle mir vor, dass er auch in seinem letzten Urlaub nach alten Coronas gefahndet hat.
In seiner Arbeitsdisziplin berief Westlake sich auf den Violinisten Yehudi Menuhin, den er einmal fragte, ob er denn jeden Tag übe. Ja, antwortete Menuhin, wenn ich einen Tag aussetze, merke ich es sofort. Wenn ich zwei Tage Pause mache, merkt es der Dirigent, und wenn es drei Tage sind, dann merkt es das Publikum. Hätte Westlake nur seine ersten fünf hartgesottenen Romane geschrieben, wäre ihm eine Fangemeinde sicher, auch für die fast 20 Bücher mit dem schussligen Dieb John Dortmunder. Mit seinem Gesamtwerk aber gilt er als Großmeister, gewann drei Mal den »Edgar«. Der irische
Booker-Preisträger John Banville hält ihn für »einen der größten Autoren des 20. Jahrhunderts«. Niemals ein schlechter Satz, kein Firlefanz, trockener Witz, emotionale Distanz, unprätentiöse Recherche, Realismus und ein scharfes Auge für Details, das kennzeichnet den Autor Westlake. Im Jahr 1962, in einem Pulp-Taschenbuch zum Preis von 25 Cent, hatte Westlakes berühmteste Gestalt den ersten Auftritt.
Der wortkarge Profiverbrecher Parker erschien nach »The Hunter« (1968 bei Ullstein deutsch als »Jetzt sind wir quitt«) in bis heute insgesamt 28 Romanen, alle unter dem Autorenpseudonym Richard Stark. Westlake: »Richard für Richard Widmark und Stark für das englische Wort für rein sachlich, damit ich diese Schreibhaltung nicht vergesse.« Die Parker-Romane sind staubtrocken und knallhart. Kein Wort zu viel. »Wer auf schöne Adjektive wartet, wird hier verhungern«, sagt ihr Autor. Im Internet kursiert eine Prolog-Version von Dan Browns »DaVinci Code«, im Original braucht sie 921 Worte, in der Parker-Fassung 439. Alle frühen Parker-Romane beginnen mit dem Wort »Als«. So zum Beispiel »The Man With the Getaway Face« (1963, deutsch als Parkers Rache): Als die Bandagen abkamen, sah Parker im Spiegel einen Fremden…
In meinem Lieblings-Parker (Butcher’s Moon/Blutiger Mond, 1974) jammert ein Ganove: »Aber ich bringe doch nur eine Nachricht.« Parker antwortet: »Jetzt bist du sie«, und erschiesst ihn. Nur in einem einzigen Buch, im toughsten von allen, 1966 am Ende von »The Seventh«, lacht Parker. Sonst ist der Mann ohne Vornamen knochenernst, immer auf der Hut. Er ist ein Räuber und Dieb, der sich auch von der Mafia nicht organisieren läßt und keine Prozente abdrückt. In einer Welt der Angestellten ist er der ultimative Freiberufler, ein Handwerker des Verbrechens, ein Pirat, eine Provokation. Auch Godard versuchte sich mit »Made in U.S.A.« an einer filmischen Adaption, am bekanntesten ist John Boormans Verfilmung von »The Hunter« als »Point Blank« mit Lee Marvin von 1967. Den besten Parker gab Robert Duvall in John Flynns »The Outfit« (1973), den mickrigsten Mel Gibson in »Payback« (1999). Westlake selbst hätte Jack Palance als Parker besetzt, »weil der niemals Faxen macht«.
In USA werden die ersten sechs Parker-Romane gerade von der University of Chicago neu aufgelegt. Sie gelten als Klassiker. Von 1974 bis 1997 war Parker verschollen, Westlake gab seiner coolsten Figur eine lange Pause. In Deutschland erschien 2008 »Fragen Sie den Papagei« (von 2006) als Hardcover im Zsolnay-Verlag und jetzt im Februar 2009 der Vorgänger »Keiner rennt für immer« (von 2004).
Westlake wollte im Herbst 2009 zur Buchmesse nach Frankfurt kommen. Jetzt kann man nur hoffen, daß der Zsolnay-Verlag die Wiederentdeckung nicht still beerdigt. Zunächst warten da noch einige Parker-Romane, vor allem in der zeitlich richtigen Reihenfolge (!), verehrter Verlag.
Dürfte ich wählen unter den 100 Romanen, nähme ich für eine Prunkedition den Kapitalismus-Thriller »Kahawa« von 1982. Westlake selbst sah diese unglaubliche Schwarte als sein bestes Werk, »weil es meine lustigen und meinen harten Seiten zusammenbringt«. Idi Amins Kühlschrank, Grausamkeiten und Ironie, Spaß und Entsetzen, brutale Lektionen und große Gefühle, witzige Dialoge und akribische Recherche, ausgetüftelte Feinmechanik und jede Menge Realismus machen diesen viel zu kurzen Wälzer zu einem der besten und intelligentesten Abenteuerromane, den ich je gelesen habe. Eine bunte Bande von Freiberuflern läßt im Reich des blutrünstigen Diktators Idi Amin einen Riesen-Güterzug verschwinden, Ugandas komplette Kaffee-Ernte. An den (Kaffee-)Börsen ist der Teufel los…
Tja, und Donald Westlake wird in New York nun einigen Leuten beim Pokern fehlen, nie wieder für eine Buchhandlung wie Otto Penzlers »Mysterious Bookshop« die Regale bauen oder einfach einen Totgesagten anrufen. »Ich habe gehört, du bist gestorben«, meldete er sich vor ein paar Jahren bei Ed Gorman. »Nein, das stimmt nicht«, antwortete der. »Dann ist es ja gut«, meinte Westlake. Und legte auf.
Autor: Alf Mayer
Krimi-Kolumne: Blutige Ernte
Text geschrieben Februar 2009
Text: veröffentlicht unter www.strandgut.de
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