Die im Bereich des Films eher selten geführte Diskussion um Meister-Schüler-Verhältnisse ist vor einigen Jahren lebhaft geworden anhand von zwei asiatischen Filmen. Der eine ist Crouching Tiger – Hidden Dragon des chinesisch-amerikanischen Regisseurs Ang Lee, der seine Filme für den Weltmarkt unter Hollywood-Bedingungen macht, was die Sprache, die Opulenz und das Budget angehen. Auch der andere Film ist über die Vielzahl von Festivals, auf denen er gezeigt wurde, weltweit bekannt geworden, aber nur im internationalen Zirkel der Kritiker und Liebhaber von Kunstfilmen. Es ist „Frühling, Sommer, Herbst, Winter und wieder Frühling….“ des koreanischen Filmemachers Kim Ki-Duk. Beide Filme erzählen von einer Meister-Schüler-Beziehung. In Crouching Tiger – Hidden Dragon geht es um eine junge Frau, die heimlich die Kampfkunst erlernt hat von ihrer Dienerin, die dadurch ihre Lehrmeisterin geworden ist. Aber diese zwielichtige Meisterin beherrscht die Kampfkunst nur unvollkommen, denn es war ihr, weil sie eine Frau war, untersagt worden, von einem wirklichen Meister unterrichtet zu werden. Aus Rache hatte sie dann das Buch mit den Regeln gestohlen, war aber als Analphabetin nicht in der Lage, es zu lesen. Das, was sie ihrer Schülerin heimlich vermitteln konnte, war nicht nur eine unvollkommene und verwilderte Version der Kampfkunst, sondern auch eine, die den Grundsatz wahrer Meisterschaft vermissen ließ: die Charakterbildung, ohne die die Beherrschung der Handgriffe nichts ist. Der wahre Meister ist der, der auch den Charakter des Schülers formt. Und um Charakterbildung geht es jetzt in diesem Film. Der im Kampf äußerst geschickten, aber widerspenstigen und jähzornigen jungen Frau muss die richtige Haltung vermittelt werden, die Weisheit, ihre Kampfkunst im richtigen Moment gegen die richtigen Gegner einzusetzen. Der Film erzählt das so, dass die Schülerin ihre unvollkommene Meisterin verlässt, um dem wahren und richtigen Meister, den sie bis dahin als ihren Feind bekämpft hat, zu folgen. Bei ihm ist die Kampfkunst in ein moralisches und philosophisches System einbettet und in die Verehrung für seinen eigenen toten Meister. Zugespitzt könnte man sagen, die unvollkommene, weil auf Hass und Rachsucht basierende Meisterschaft einer Frau wird durch die wahre, auf der melancholischen Einsicht in das zerstörerische Wesen des Kampfes basierende Meisterschaft des Mannes ersetzt. Crouching Tiger – Hidden Dragon ist sehr explizit darin, als Motiv für den Hass der kampfeslustigen Dienerin ihre Kränkung und Zurücksetzung als Frau zu erzählen. Er wurde für den internationalen, vor allem den amerikanischen Markt gemacht, der sensibel auf Genderthemen reagiert.
Auch der koreanische Filmemacher Kim Ki-Duk zeigt in seinem Film „Frühling, Sommer, Herbst, Winter und wieder Frühling“ eine Beziehung zwischen einem Meister und seinem Schüler. Es geht darin um einen Mönch der mit seinem kindlichen Schüler auf einer Tempelplattform mitten in einem See lebt. Der Film erzählt von den vier Jahreszeiten als biografischen Stationen des Lebens. Im Frühling lernt der Schüler am eigenen Leib, wie schmerzlich seine aus kindlichem Mutwillen begangenen kleinen Tierquälereien sind, denn der Meister macht dasselbe mit ihm: er bindet ihm einen Stein auf den Rücken und trägt ihm auf, die Tiere, die der Schüler mit Steinen beschwert hatte, zu suchen und zu befreien. Im Sommer wird das mönchische Einsiedlerdasein der beiden von einer jungen Frau gestört, die hier von ihrer Krankheit geheilt werden will. Der Schüler verliebt sich in die Frau, verlässt den Meister und folgt ihr in die Welt. Im Herbst erfährt der Meister durch einen Zeitungsbericht, dass sein Schüler zum Mörder aus Eifersucht geworden ist und sehr bald steht dieser auch vor der Tür. Er ist in einem schrecklichen Zustand und der Meister, der die inneren Dämonen des Schülers bändigen und seine Seele heilen will, befiehlt ihm, Zitate aus dem Diamant-Sutra in den Holzboden des Tempels schnitzen. Diese Lehrschrift behandelt die Weisheit des Diamanten, der Unwissenheit und Illusionen durchschneidet, um den Weg zur vollkommenen Weisheit und zum alles übersteigenden Verstehen zu eröffnen. Dann erst dürfen die Polizisten, die gekommen sind, ihn zu verhaften, ihn mitnehmen. Im Winter sucht der Meister seinen eigenen Tod in einer rituellen Verbrennungszeremonie. Wieder im Frühling taucht der ehemalige Schüler auf dem inzwischen verwaisten Tempelpodest auf und wird selbst zum Meister, dem eine verhüllte Frau, deren Gesicht nicht ein einziges Mal zu sehen ist, ein Kind bringt, einen Jungen. Dann verschwindet sie, anonym. Der Zyklus, in dem die Frauen das zerstörerische Element sind, weil sie weltliche Begierden entfachen und das reproduktive Element, das nichts ist als das und deshalb anonym bleiben kann, beginnt von neuem. Denn dieser Junge wiederholt in kindlicher und naiver Grausamkeit die Quälereien an Tieren, die der jetzige Meister als Kind selbst gemacht hatte und zweifellos wird er auf ähnliche Weise Moral und Weisheit lernen müssen, wie es der Meister selbst musste.
Warum habe ich mit diesen beiden Filme begonnen?
Beide Filme haben einen Nerv berührt, denn keine Kunst ist so eng mit einem kollektiven, inzwischen auch globalisierten Unbewussten kurzgeschlossen wie der Film. Beide zeigen die Beziehung von Meister und Schüler und beide behandeln die Frage, was die Frau darin zu suchen hat. Die klassische Welt der koreanischen Mönche ist bestimmt von der Suche nach Harmonie und Erleuchtung, Weiterentwicklung und Wiederkehr. Das ist für alle westlichen Nicht-Buddhisten ein starkes und fernes Sehnsuchtsbild, denn nichts könnte unserer Kultur fremder sein. Beide zeigen aber auch die Erschütterung dieses schönen Verhältnisses durch den Eintritt der Frau in eine solche Meister-Schüler-Beziehung. Die Frau hat eine Doppelnatur: einmal ist sie die Gefahr in Gestalt der unvollkommenen und gefährlichen Meisterin, die zum Schluss ihren gerechten Tod findet. Zum anderen ist sie aber auch die Verführung und die Zukunft, denn als Schülerin lernt sie, ihre exzellenten Kampfkünste, wenn sie durch einen wirklichen männlichen Meister in die richtigen Bahnen gelenkt werden, gleichzeitig handwerklich perfekt und charakterlich einwandfrei einzusetzen.
In beiden Filmen zeigt sich ein tiefes Bedürfnis nach Werten, die Bestand haben und nach Meistern, die sie vermitteln können. Und nicht zufällig spielen beide Filme in einer Zeitlosigkeit, in der man am besten eine traditionelle, hierarchische Gesellschaft mit einer zyklischen Zeitauffassung ansiedeln kann. In unserer modernen Welt muss sich der Einzelne aber ständig neu erfinden. Auf dem Weg zu seiner ersehnten Identität befolgt er lebenslang das Gebot der Selbstoptimierung und trifft neben der Chance und dem Zwang zur Individualisierung auch auf die Gleichberechtigung der Geschlechter. Das erzeugt einen hohen psychischen Druck und der Erfolg solcher Geschichten über traditionelle Meister/Schüler Beziehungen zeugt davon. Aber die Frage drängt sich doch auf, was Meisterschaft in einer solchen modernen Gesellschaft noch sein kann? Und wie sie aussieht in den Künsten, die ja keinen hegemonialen Ästhetiken mehr verpflichtet sind, keinem Kanon, der verbindlich gelehrt werden kann? Und was sich wirklich ändert, jenseits einer auf die Hollywood-Schemata reduzierten Geschichte, wenn die Frauen ins Spiel kommen?
Das alles kann sehr gut untersucht werden am Film, denn er ist eine Industriekunst, die in sich Extreme vereint: den teuren, für den internationalen Markt gemachten, auch im Kommerz erfolgreichen Film der immer noch Traumfabrik Hollywood einerseits, und den kleinen Autorenfilm, der sich auf eine bestimmte Kultur einlässt und gerade auf diese Weise auch seinen internationalen Erfolg erzielt auf Festivals und in den Zirkeln der Cinephilen. Beide Filme, die ich genannt habe, sind direkte Beispiele für den Spagat zwischen denen sich die Filmkunst bewegt als Kunst des Dazwischen: zwischen Kunst und Kommerz, zwischen Kunst und Handwerk, zwischen Kunst und Entertainment. Der Film hat nie eine Figur der Meisterschaft ausgebildet, denn er entstand mit dem Industriezeitalter, als auch die alten Handwerke mit ihrem verpflichtenden Meisterethos schon in der Krise waren. Als junge, nicht reglementierte Kunst zog er Autodidakten und Quereinsteiger an, die wild und regellos neue Möglichkeiten des Ausdrucks erfanden. Film war Entertainment und Geldmaschine, zog Glücksritter an, Egomanen, Schaumschläger und wenn es denn Künstler waren, die sich dafür erwärmen konnten, dann übertrugen sie die Gesetze anderer Künste auf das Material und kratzen abstrakte Muster oder rhythmisch angeordnete Flächen und Punkte auf das Zelluloid. Erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde Film als Kunst ganz eigener Art wirklich entdeckt, ernst genommen und kanonisiert. Und damit begannen auch schon die Diskussionen, ob Film Kunst oder Handwerk ist, Kunst oder Entertainment, Kunst oder Kommerz. Film hat wie die Frau eine Doppelnatur, er ist eine Kunst des Dazwischen.
Allein in den reproduzierenden Künsten hat der Meister heute noch eine wichtige Funktion, weil er das Handwerk, den Gebrauch der Werkzeuge lehrt – und das können die Beherrschung von Stimme oder Instrument sein oder der Körpereinsatz im Tanz oder Schauspiel. Auch Film hat einen handwerklichen Boden, der für eine gewisse Anzahl verlässlicher Regeln sorgt, aber der hat sich im Laufe der Zeit vielmals geändert im Takt der inzwischen explosionsartig auftretenden technischen Innovationen. Und Technik ist bei den bewegten Bildern immer auch die Bedingung ihrer Ästhetiken. Die Maschinen tragen mögliche Ästhetiken als Funktionen in sich, deshalb sind mit neuen technischen Schüben auch neue ästhetische verbunden und die bisherigen Sichtweisen und die Geschichten, die Filmemacher erzählt haben, haben erst einmal ausgedient. Alle technischen Neuerungen zwingen die ausübenden Filmkünstler, ihre Erzählweisen neu zu überdenken. Damit hat der Zwang zur Innovation ein ungleich schwereres Gewicht beim Filmemachen als bei jeder anderen Kunst. Wir erleben das gerade wieder mit der Einführung des 3D Verfahrens. Bestimmte Geschichten, die von der Durchlässigkeit der Realität für andere Welten handeln, ihrem Trügerischen und ihrer Unzuverlässigkeit, drängen sich auf, weil man sie mit den neuen Möglichkeiten der digitalen Technik gut erzählen kann. Die ersten Filme, die dies tun, „Avatar“ und „Alice in Wonderland“ tasten sich vor in die dreidimensionalen Räume und versuchen, dafür eine Narration zu entwickeln. Und man soll nicht glauben, dass das eine abgehobene Sache ist, da oben auf der Leinwand, eben nur eine Geschichte, und für uns Zuschauer folgenlos. Denn der eigene Lebensfilm des Menschen entwickelt und verändert sich heute unter dem Einfluss der bewegten Bilder.
Alle Kunst, auch wenn sie nicht so eng mit der Technik verknüpft ist, ist heute Innovation, freie Form, individualisierter künstlerischer Zugriff auf ein Material. Die Wahrheit, die damit ans Licht treten soll, ist keine abgesicherte, sondern eine neue, die uns über den Wandel der Zeiten aufklären soll. Die Kunst rivalisiert als eigenständige Trägerin von künstlerischen Erkenntnissen mit der Wissenschaft und es gibt nicht wenige, die ihr da mehr zutrauen, zumindest solange es um den Menschen geht. Das Kino ist darüber hinaus eine Bildermaschine, und jede Maschine will technisch, ökonomisch und politisch verändert werden, weil sie unter dem Diktat der Innovationszyklen, des Wachstumsgebots und des tendenziellen Falls der Profitrate steht. Dieser Innovationszyklus bedeutet: Jugend an die Macht. Technik ist ein Versprechen auf Jugendlichkeit, denn Jugendliche wachsen auf mit neuen Techniken, vor denen Ältere kapitulieren. Deswegen ist der Generationswechsel, der in unserer auf Jugendlichkeit fixierten Gesellschaft ohnehin sehr rasch vonstatten geht, bei den bewegten Bildern besonders schnell. Tendenziell kehrt sich damit das Verhältnis von Meister und Schüler um. Der Meister lernt vom Schüler, notgedrungen. Ich habe diese Erfahrung selbst bei zwei Filmen gemacht, deren Erzählweise, was den filmischen Raum und die menschliche Erinnerung anging, ich erst durch die Möglichkeiten der neuen digitalen Technik vollenden konnte. In beiden Fällen habe ich eng mit zwei Studentinnen zusammengearbeitet, die dem digitalen Schnittsystem die Bildbearbeitungen entlockten, die ich brauchte. Aus dem Verhältnis von Meister/Schüler wurde das von Schüler/Meister.
So etwas ist beim Film leicht möglich, weil sein Arbeitsprinzip ohnehin immer das Teamwork ist und ein Team ist ein temporärer Zusammenhalt. Es gibt im Film viele fruchtbare Arbeitsbeziehungen zwischen Gleichwertigen, dem Regisseur und dem Kameramann, dem Drehbuchautor, dem Musiker. Es gibt sehr wenige Meister-Schüler-Beziehungen. Über die unmittelbare Drehzeit hinaus gibt es keine andauernden künstlerischen Zusammenhänge wie in Malerateliers, Theatern oder Konzerthäusern, wo durch die Kontinuität der Arbeitszusammenhänge Beziehungen aufgebaut werden können. Die Assistenten und Spezialisten an der Seite des Regisseurs machen ihren Job in der sehr begrenzten Zeit eines Drehs und jeder liefert seinen spezialisierten Part ab. Dann, nach dem Ende der Dreharbeiten strömen alle wieder auseinander, aber die Arbeit am Film geht ja weiter. Denn die Arbeitsschritte bis zum fertigen Film entsprechen der modernen, taylorisierten Produktionsweise. Das Ganze, der Film, ist erst vorhanden, wenn der Regisseur alles zusammengesetzt hat und oft ist es so, dass viele Teammitglieder, wenn sie zur Premiere zusammenkommen, überrascht sind. Denn was der Regisseur mit der Hilfe vieler anderer, von denen sie gar nichts wissen, aus den Teilen, an denen sie beteiligt waren, gemacht hat, hatten sie sich ganz anders vorgestellt.
Ein Regisseur, den man vielleicht einen Meister der Filmkunst nennt und den man bittet, eine Master Class abzuhalten, spricht deshalb nicht über Regeln, denn solche gibt es nur für den sehr engen technischen Bereich und da ist der Kameramann zuständig. Er spricht über die Erfahrungen, die er im Verlauf seiner Arbeit gemacht hat. Diese Erfahrungen sind sehr subjektiv und sehr andere, je nachdem ob er ein Team von 100 Leuten dirigiert, ein Budget von 50 Millionen verwaltet und sich dann auch am internationalen Markt bewähren muss, wie Ang Lee, oder ob er wie Kim Ki-Duk mit bescheidenen Mitteln einen Autorenfilm macht. Sie reichen von der fast familiären, handwerklichen Arbeit in kleinen Teams bis zur semi-industriellen Beherrschung aufwendiger Technik in großen Teamzusammenhängen, wo Abläufe geplant werden müssen, die über viele Monate reichen und deren Komplexität an Industrieprodukte heranreicht. Denn große Filme werden gemacht wie solche Industrieprodukte, was Finanzierung, Kooperationen, Marktanalysen Vertriebskonzepte und Werbung angeht. Diese vielen Aspekte können gar nicht von einem allein vermittelt werden, sei es auch der denkbar fähigste Generalist. Hier gibt es Spezialisten auf allen Ebenen, von der Produktion bis in den engeren Bereich der Filmkunst, Meister des Lichts, des Schnitts, der Mischung. Sie sind Meister in ihrem Fach und sie wissen, was sie ihren Schülern vermitteln können.
Was aber vermittelt der Generalist, der Regisseur, der Meister der Filmkunst, in der Master Class?
Er, der mit dem partikularen Wissen der vielen meisterhaften Spezialisten seinen Film gemacht hat, erzählt die Produktionsgeschichte als eine abenteuerliche Erzählung von gloriosen Momenten und ihren Widrigkeiten, in Anekdoten von List und Tücke und Heldenmut. Er beschreibt, welche Tricks man anwenden muss, um Produzenten, Kommissionen, Redakteure zu überzeugen und wie man die Ästhetik dem Geld anpasst, sprich: die Nordseeküste in NRW dreht, denn da gibt es eine Förderung mit relativ viel Geld, die aber darauf besteht, dass aus Standortüberlegungen in diesem Bundesland auch gedreht wird. Diese Erzählungen des Meisters ähneln Abenteuergeschichten, sie sind selbst Filme, wie man am Making Off, das den DVDs beigelegt wird, sehen kann. Der, der sie erzählt, hat alles heil überstanden, das filmische Kunstwerk, das unseren Traum und Alptraum von uns selbst zeigt, ist einer harten Realität und einem Markt abgerungen, denn ästhetische Kriterien sind ihrer Natur nach nicht marktkonform. Solche Erzählungen haben ihren großen Reiz und sind nicht unwichtig für Schüler, denn jeder Film, der gemacht worden ist, ist ein Beispiel dafür, dass es möglich ist. Diese Erzählungen machen Mut. Denn Film ist eine so schwierige Kunst, weil er extrem an das Geld gebunden ist. Er ist durch und durch ein Medium des kapitalistischen Zeitalters. Noch vor fünf Jahren war das Budget eines deutschen Autorenfilms um die 1,5 Millionen, jetzt werden es schon sehr schnell 2 bis 4 Millionen. Man kann zwar für die Schublade komponieren und schreiben und malen, wenn das Existenzminimum abgedeckt ist, aber im Unterschied zu den anderen Künsten kann der Filmemacher auch heute, in Zeiten der billigen Technik, seinen Beruf nicht ausüben, wenn er das viele Geld für sein Kunstwerk nicht auftreiben kann. Erfolglosigkeit in allen Künsten ist unschön, aber beim Film bedeutet das, dass die Existenz als Künstler vernichtet wird.
Hier, über diese Abenteuergeschichten, wird die personalisierte Erfahrung, die in dem hochkomplexen Produktionsablauf mit seinen vielen Stationen und vielen Meistern verloren gegangen ist, aber mit Meisterschaft verbunden sein muss, wieder hergestellt. Denn ein Meister ist einer, der Wissen, Können und Erfahrung in seiner Person vereint. Der Schüler lernt hier, dass er über vieles verfügen muss, um sich in dem Spannungsfeld zwischen dem persönlichen Talent, dem ästhetischen Ziel und den Zwängen der kapitalistischen Realität zu behaupten: ungeheure Beharrlichkeit, Luzidität, Flexibilität und Geschmeidigkeit, die Fähigkeit, enormen Druck auszuhalten, eine Art Masochismus bei der Verfolgung seiner Ziele, einen großen Trotz, der ihn alle Rückschläge, an denen es nicht fehlen wird, aushalten lässt und eine Fähigkeit, andere von sich selbst zu überzeugen. Es gibt darin Züge, die der asiatischen Kampfkunst ähnlich sind.
Er lernt, dass er sich auf den schwierigen Weg begeben muss, die spezialisierten Meister und Coaches selbst zu suchen, die ihm helfen, mit seinem Projekt den Weg durch das Nadelöhr zu finden. Und indem er das tut, wird er den langen Weg, den er gehen muss, nicht finden, er wird ihn erfinden müssen. Denn jeder Film ist ein Unikat, so industrialisiert seine Produktionsweise auch sein mag. Und er wird dann wissen, dass man beim Film immer so gut ist, wie es die Umstände sind, dass das aber für nichts eine Entschuldigung ist. Wenn er über die oben aufgezählten Eigenschaften nicht verfügt, werden alle seine künstlerischen Potentiale verkümmern. Aber wenn da nicht mehr ist als diese Eigenschaften, entsteht eine gefesselte, weil angepasste Ästhetik. Denn bei der Filmkunst ging es immer um Kunst und Markt, aber seit der Markt die Künste fest im Griff hat, ist dieser Balanceakt zwischen diesen beiden Polen zum Hochseilakt geworden.
Der Schüler wird nicht eine Beziehung zu einem Meister haben, aber er kann über das Wahrnehmen von vielen Meistern, den toten an Hand ihrer Filme, den lebenden im Gespräch, seine ästhetische Sensibilität entwickeln und zu einer eigenen Wahrheit und einer eigenen Ästhetik kommen. Begegnungen mit vielen Meistern können Wegmarkierungen sein in einem künstlerischen Reifeprozess, aber man muss sie sehen wie die Begriffe, von denen Ernst Bloch gesagt hat, es sind Griffe, an denen man sich weiterhangeln kann. Dieser Reifeprozess gehorcht keinen festen moralischen oder ästhetischen Kategorien, sondern hat zum Ziel die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit als Filmemacher. Und er ist erst gelungen, wenn die Signatur eines Meisters durch die Werke des Schülers nicht mehr hindurchschimmert, denn ein Schüler, der sich in seinem Werk vom Meister nicht emanzipiert, ist ein schlechter. Der Schüler steuert diesen Prozess selbst, indem er sich ihm aussetzt, was auch bedeutet: er setzt sich dem Leben aus. Denn das hat er hoffentlich von dem Meister als Generalisten gelernt: Weil Film die engste Verbindung hat zu einem inzwischen auch globalisierten Unbewussten, ist in ihm immer ungeheuer viel Gesellschaft, deren unbegriffene Wünsche und Ängste.
Jetzt aber müssen die Frauen ins Spiel kommen. Die Filmemacherinnen der 1970er und 1980er Jahre waren die ersten, die als Generation zum Film drängten und zwar hinter die Kamera, wo bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich Männer standen. Die Frauen standen immer davor: als Darstellerinnen, Diven, Idole, Traumgeschöpfe, Stars. Gemachte, keine Macher. Diese erste Generation von Regisseurinnen hat bewegte Bilder über ihr Leben, ihre Wünsche und Vorstellungen gemacht und zum ersten Mal gezeigt, dass die Weltsicht von Männern und Frauen nicht deckungsgleich ist. Wie auch immer unterschiedlich diese Filme waren, sie richteten sich gegen das Kino als Gefühlsdiktator. Die Filme sind, von heute aus gesehen, individuell, ungewöhnlich und verstoßen gegen die Gesetze einer normierten Dramaturgie. Es war ein Prozess der Selbstvergewisserung als Filmemacherin, der gleichzeitig ein Versuch der Selbstschöpfung war, denn diese Frauen hatten keine Vorbilder in Gestalt von Meisterinnen. Meisterinnen gab es nur im Bereich des Nähens, Stickens, Strickens, der Geburtshilfe und der Haushaltsführung. Die zwei oder drei Filmemacherinnen, die es in der Geschichte schon vor ihnen gegeben hatte, waren in keiner Geschichtsschreibung erwähnt und mussten erst mühsam ausgegraben werden. In diesem Aufbruch, begünstigt von der Zeit, war eine Stunde Null. Aber das Zeitfenster war kurz, der Innovationszyklus des Filmgeschäfts holte auch diese Bewegung ein und Berufsausübung als Filmemacherin wurde schwierig bis unmöglich. Einige dieser Frauen sind dann an die Kunsthochschulen oder die neu gegründeten Medien- und Filmhochschulen gegangen und damit in den Status der Professorin gerückt, der modernen Form von Meisterschaft, die unter den Zwängen der Universität und des Ordinariensystems ausgeübt wird. Die aber auch eine Personalisierung erlaubt, die sonst im Filmgeschäft nicht möglich ist.
Und da sind sie nun, diese Frauen, oder sie waren es, denn viele sind inzwischen auch schon emeritiert. Man hatte sie berufen auf Grund ihrer Filme, die keine „Meisterwerke“ waren, in dem Sinn, den man gewöhnlich mit diesem Wort verbindet. Keine Filme der „Reife“ als Summe von Erfahrungen und Erkenntnis zusammen mit der Beherrschung der künstlerischen Mittel. Die Filme erzählten von versuchten Aufbrüchen und dem Wunsch, vieles, wenn nicht alles neu und anders zu machen, sie waren Lebensäußerungen einer Generation, existentiell, direkt, privat, oft autobiografisch. Und so zeigte sich hier das Paradox, dass Frauen zu „Meisterinnen“ wurden, gerade weil sie keine „Meisterwerke“ im klassischen Sinn gemacht hatten. Meisterschaft war nicht mehr an die Vollendung gebunden, sondern an den Aufbruch, die Entdeckung des Neuen und Anderen.
An solchen Aufbrüchen fehlt es ja nicht in allen Künsten. Aber jetzt, zur Zeit des third-wave-feminism ist es an der Zeit, sich zu fragen, was daran die Erfahrung einer bestimmten Generation war und was darüber hinausreicht. Denn auch wenn der Innovationszyklus nicht so heftig ist, wie er es nun mal im Filmgewerbe ist, wird eine Generationserfahrung schnell historisch. Alte Filme berühren uns immer, denn sie berühren unser Verhältnis zum Tod. Aber gibt es an diesen filmischen Zeitzeugnissen etwas, was uns mit dem Begriff der „Meisterschaft“ versöhnt, die ja, wenn man sie auf Kunstwerke anwendet, immer etwas Beispielhaftes meint?
Nach meinen Erfahrungen wollen auch heute viele Studierende autobiographisch erzählen, denn Familie in ihrer erträumten Gestalt, in ihrer Unvollkommenheit und in ihrer geschichtlichen Belastung ist für Deutschland ein wichtiges Thema. Für viele junge Frauen aber sind solche Filme das Nadelöhr, durch das sie sich zwängen müssen, um frei zu werden, nicht nur für andere Themen, sondern auch frei für den Mut zur eigenen Kreativität. Viele Studentinnen haben wenig Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten und zerbrechlichen Mut. Sie haben ein großes Bedürfnis, herauszufinden, was sie denn im Tiefsten sagen wollen, und das hat fast immer etwas mit ihrem Platz in einer Familiensituation zu tun, aber eine große Angst, dass das doch banal und nur privat ist. Eine Generation des weiblichen Aufbruchs in den 1970er und 1980er Jahren hat nicht ausgereicht, um weibliche Kreativität zu etwas Selbstverständlichem zu machen, sie ist noch immer eine eher bedrohte Sache, aus äußeren Gründen, aber auch aus Gründen der weiblichen Selbstzweifel.
Denn auf der einen Seite ist in unserer Zeit der ästhetischen Selbststilisierung und des Lookism ungeschützte Privatheit wieder verbunden mit Scham und Scheu. Und auf der anderen Seite ist der Kampf der Frauen, in der kulturellen Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, noch keineswegs zu Ende und im Kino, immer auf die Zusammenarbeit von vielen angewiesen, ist heute wieder die andere Weltsicht, die weibliche, selten. Die Bedingungen für filmende Frauen scheinen heute im allgemeinen Gender-Mainstreaming günstig zu sein und tatsächlich gibt es mehr Frauen, die Filme machen, als es je vorher gegeben hat. Aber die Parameter haben sich verändert. Der Rahmen ist nicht mehr national, er ist im günstigsten Fall europäisch, eigentlich global. Und zum globalen Kino sagt Jodie Foster: „Es gibt so wenig Regisseurinnen, weil es ein wichtiger Job ist, für den es keine offensichtliche Qualifikation gibt – wenn du eine junge Regisseurin bist, sitzt dir ein Produzent gegenüber, der dich nicht kennt, und soll sagen: Ich gebe dir fünf Millionen Dollar, möge die Kraft mit dir sein. Und die Männer, die da sitzen, wollen das einfach nicht mit jemandem machen, der nicht aussieht wie sie. Ich denke nicht, dass sie das bewusst tun. Die Regie ist nicht offen für Leute, die nicht zur Bruderschaft der Hollywoodianer gehören – worin auch immer die bestehen mag.“ Die Produzentin Lindsay Doran sagt: „Wir kämpfen gegen das tief verwurzelte Gefühl, dass die Dinge, die Frauen tun, weniger interessant und filmtauglich sind als das, was Männer tun“. Und Martha Coolidge, ehemalige Vorsitzende der amerikanischen Regiegilde, beklagt offenen Sexismus – bis hin zu dem Satz eines Studio-Managers, keine Frau über vierzig könne überhaupt einen Film stemmen. Frauen sollen in Hollywood jene Funktionen innehalten, die sie immer schon mühelos bekommen konnten: Schauspielerinnen – die nicht trotz, sondern mit ihrer Weiblichkeit Karriere machen, was heute wie damals bedeutet: mit ihrem Sex-Appeal.
In vielen Fällen stehen Frauen, die heute bewegte Bilder machen wollen, wieder quer zu dem, was eine Gesellschaft erwartet. Geschlecht hat sich als eine Kategorie der Wissenschaft etabliert, aber die Logik des Alltags ist nach wie vor geprägt von sehr traditionellen Mann/Frau Erwartungen, besonders stark in Deutschland. Und der Lookism ist im Unterschied zu Rassismus, Sexismus oder Homophobie kulturelle Alltagspraxis, man betrachte einen großen Teil des Fernsehprogramms.
Hier aber, in diesem weiten Bereich der inneren und äußeren Schwierigkeiten, kennen die Meisterinnen sich bestens aus. Sie kennen die stillen Selbstzweifel der Schülerinnen, denn es waren auch ihre, sie kennen die Ohnmacht gegenüber Stereotypen, es war auch ihre. Sie kennen die Anpassungsleistungen und den Widerstand dagegen, es war auch ihr eigener. Und sie haben das alles ausgedrückt in ihren Filmen. Hier liegt für mich der Kern der Beziehung heute zwischen einer Filmemacherin als Meisterin und einer Schülerin: der Schülerin zu helfen, sich selbst zu sehen als gefangen in diesem Widerstreit. Das geschieht manchmal gegen deren eigenen Wunsch, denn jede möchte lieber glauben, dass die Zeit der Kämpfe vorbei ist und es ist nicht lustvoll zu sehen, dass das nicht der Fall ist und auch morgen nicht sein wird, denn jede Frage, die mit gender verbunden ist, greift tief ins Unbewusste. In diesem Prozess werden, da es um die Bemühung geht, sehr private Erfahrungen, fast immer Familienerfahrungen, auszudrücken, in der Meisterin-Schülerin-Beziehung auch Kämpfe ausgefochten, die eher in den Rahmen der wirklichen Familie und deren Ablösungskämpfe gehören. Von einer Meisterin erwartet man viel stärker die Übernahme der Mutterrolle, aber genau das fürchtet man auch. Auch die Meisterin ist nicht davor gefeit, hier falsch zu reagieren, denn sie wird in die Interaktion gezwungen und aus ihrer Rolle als Instanz herausgeholt. Hier wird der Rand dessen gestreift, was in einer therapeutischen Situation passiert. Nur dass die Meisterin nicht wie die Analytikerin eine Kontrollanalytikerin hat, die ihr ihre eigenen Grenzen klarmachen würde.
Natürlich ist das alles auch eine Ähnlichkeit in der Differenz. Meine Studentinnen hatten andere Fragen als ich sie gehabt habe und ich habe auf einige ihrer Fragen keine Antwort oder allenfalls eine sehr persönliche. Der Schüler löst sich vom Meister, indem er andere Dinge und diese Dinge anders macht.
Was hat der Meister dem Schüler denn wirklich voraus? Die Erfahrung des Scheiterns. Und des Überlebens.
© Jutta Brückner
Bildquellen: Arthaus / Pandora
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