Tristesse Oder: Ein trauriges Bild, © getidan 2012

Wenn die Bild-Zeitung morgen flächendeckend in 41 Millionen Briefkästen von sämtlichen 41 Millionen Haushalten dieses Landes landet, ist der Rubikon endgültig überschritten. Die imperiale Botschaft, die damit verbreitet wird, ist ja klar: Wir sind Deutschland. Bundesrepublik ist Bild-Republik. Bild quillt durch jede Ritze, denn siehe, die fetteste Schlagzeile passt auch in den schmalsten Briefkastenschlitz. Zur Not wird sie da eben reingedübelt; mach dein Ding und bild dir meine Meinung. Nach der erfolgreichen Hatz auf den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff und der anschließend erfolgten Heiligsprechung des Firmengründers Axel Cäsar Springer zu dessen hundertstem Geburtstag wird das Land jetzt zur Gänze genommen. Bild ist überall. So etwas nennt man Hegemonialmacht.

60 Jahre Bildzeitung – das sind, die Sonntagsausgaben nicht mitgerechnet, grob geschätzte 18.000 Ausgaben, mal derzeit knapp 2,7 Millionen Auflage, macht rund 50 Milliarden Exemplare der Bildzeitung: also seit 60 Jahren ein fünfzigmilliardenfaches, großkalibriges Dauerfeuer auf Herz und Hirn zu Gunsten der niederen Instinkte. Politik aus Hüfte und Hose. Man sind die Dieckmann. Dass man das überleben kann, ist ein Wunder, aber die Deutschen haben ja auch schon ganz andere Sachen überlebt. Und immer noch regt sich Widerstand im Land. Die Zeiten des Springer-Boykotts sind zwar vorbei, leider, denn eigentlich gab es keinen sachlichen Grund für die Intellektuellen der Republik, den guten Brauch aufzugeben, nicht für Springer-Blätter zu schreiben. Der morgige Bild-Großangriff wäre ein guter Anlass, damit endlich wieder anzufangen. Denn Bild ist ja nicht besser geworden, bloß weil die nackten Brüste junger Mädchen nicht mehr auf Seite 1, sondern im Blattinneren präsentiert werden.

Widerstand regt sich stattdessen in der demokratischen Volksfront der Internetforen. Mehrere hunderttausend Bürger haben sich bereits registrieren lassen, die Bild nicht einmal geschenkt haben wollen. Der Protest ist zunächst symbolisch: Bild gelangt eben doch nicht überall hin. Aber das ist noch nicht alles. Denn schließlich geht es für die Bildzeitung um mehr als bloß um Penetranz und Präsenz. Es geht, wie immer, ums Geld. Eine Anzeigenseite in der Geburtstagsausgabe soll vier Millionen Euro kosten, oder, wie man bei Bild sagt, vier Mios. Könnte sein, dass umfangreicher Protest die Preise ein wenig drückt.

Also: Widerstand lohnt sich. Wer nicht auf den Internetboykott setzt, der muss sich morgen eben vor seinen Briefkasten stellen, um dessen moralische Integrität und Pressefreiheit zu verteidigen. Auch die Briefträger haben Widerstand angekündigt. Sie sind es schließlich, die das ganze Papier ausliefern müssen. Sie haben schon gedroht, es mit dem Hinweis „unbekannt verzogen“ zurückzuschicken. Das wäre schön: Dann würde endlich einmal der Springer-Verlag selbst an seinem Produkt ersticken und nicht die, die es fressen sollen.

Jörg Magenau, rbb Kulturradio, 22.06.2012

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