DIE MELDUNG: Der Online-Einzelhändler Amazon wird zum Verlag. Laut einem Bericht der New York Times will das US-Unternehmen noch in diesem Jahr 122 Bücher verlegen und zwar nicht nur als E-Books für den Kindle-Reader, sondern auch in herkömmlicher gedruckter Form. Bei den Verlagen sorgt dies für keine Freude.
Dazu ein Kommentar von Jörg Magenau:
Für Autoren klingt das wie die Prophezeiung einer paradiesischen Welt: Mehr Geld, mehr Mitsprache, mehr Freiheit, keine Wartezeiten. Zwischen Manuskriptabgabe und Publikation soll nicht mehr als ein Monat liegen, und dann darf der Autor stündlich die Verkaufsstatistik betrachten, anstatt vom Verlag nur einmal im Jahr mit einer dubios unüberprüfbaren Abrechnung abgespeist zu werden. „Die Einzigen, die im Buchhandel noch nötig sind, sind der Autor und der Leser“, behauptete unlängst ein Amazon-Chef. Mit diesem schlichten Satz hat er unter der amerikanischen Verlegerschaft große Aufregung hervorgerufen. Denn was zwischen Autor und Leser verloren ginge, sind die Verlage, ohne die es doch keine Bücher gäbe.
Tatsächlich ist der schöne Satz des Amazon-Repräsentanten eine schöne Lüge. Was da so klingt, als würden Autoren ihre Bücher mit freundlicher Amazon-Unterstützung dann alle selbst vermarkten oder direkt aufs iPad ihrer Leser schreiben, ist nichts als eine gezielte Kampfansage an die Verlagsbranche. Denn zwischen Autor und Leser wird sehr wohl etwas sein, etwas sehr großes sogar: Amazon nämlich. Amazon als Vertrieb, als Onlinebuchhandlung und Plattform zum Download von E-Books. Aber Amazon dann eben auch als neuer, marktbeherrschender Verlag, der Bücher, statt sie von anderen einzukaufen, der Einfachheit halber und zur Gewinnmaximierung gleich selbst herstellt, ganz egal ob auf Papier oder elektronisch.
Früher hätte man so etwas „Monopolist“ genannt. Wenn dieser Monopolist nun so tut, als wäre das Plattmachen der Konkurrenz schon gleichbedeutend mit Freiheit, sollten die Autoren dieser Propaganda auf klassische, analoge, vernunftbegabte Weise möglichst gründlich misstrauen. Es wäre das erste Mal in der Geschichte des Kapitalismus, dass die Abhängigkeit der Produzenten dadurch geringer wird, dass sie einem Großkonzern vertrauen und sich von ihm abhängig machen. Im Einzelfall mag es so sein, dass vor allem Bestsellerautoren mehr erwirtschaften, wenn sie sich außerhalb der klassischen Produktions- und Vertriebswege bewegen. Die Masse der Autoren kann aber kein Interesse daran haben, mit Hilfe von Amazon die eigene Branche einzuebnen. Denn Literatur lebt nicht nur von der Vielfalt der Ausdrucksformen, Erfahrungen und Sichtweisen auf die Welt, sondern auch von der Vielfalt unterschiedlichster Verlage, die für Qualität und sorgfältige Herstellung bürgen.
Mit dem Schlachtruf „Leser brauchen keine Läden“ hat Amazon vor allem die großen Buchhandelsketten unter Druck gesetzt – und sich selbst als Großmarkt etabliert. Der Schlachtruf „Autoren brauchen keine Verlage“ ist die logische Fortsetzung, doch bestimmt noch nicht das Ende. Als nächstes wird Amazon irgendwann auch die Autoren für verzichtbar erklären. Bücher, jedenfalls solche, die als Konzernware taugen, lassen sich mit klug programmierten Computern auch automatisch generieren. Vielleicht erklären dann aber auch die Leser ihren Verzicht und verzichten auf Amazon?
Jörg Magenau
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