„Ich habe Zivildienst gemacht.“ Das war in Zeiten, in denen man noch gefragt wurde: „Haben Sie gedient?!“ ein Bekenntnis, dessen provokativer Puls nicht viel geringer war als der des weiblichen „Ich habe abgetrieben“ auf dem Cover des „Stern“. Ich bekenne also, ich habe Zivildienst gemacht – inklusive dieser strunzdummen Gewissensprüfung mit der obligaten Frage, was ich tun würde, wenn ich beim Waldspaziergang mit meiner Freundin von vergewaltigungsgeilen Russen überfallen werden würde und zufällig eine Pistole dabei hätte. Die möglichen Antworten von „Ich gehe mit meiner Freundin nie in den Wald“ über „Ich habe keine Freundin“ bis zu „Ich würde niemals eine Pistole anfassen“ konnte man in käuflich zu erwerbenden Gewissensprüfungsratgebern studieren. Und da ich mich stur an diese Empfehlungen hielt und ansonsten eine an Schwachsinn grenzende Phantasielosigkeit zur Schau stellte, hatte ich gewissensmäßig bestanden. So verlogen, so verkommen war die moralische Welt.
Heute muss ich gestehen: Niemals hätte ich Zivildienst gemacht, wenn ich nicht dazu gezwungen worden wäre. Freiwillig, wie es ab heute sein soll, hätte ich kein Lebensjahr geopfert. Und doch war das ein gutes, ein sehr gutes Jahr in einem Heim für schwer erziehbare Kinder, das, im Unterschied zu vielen anderen Jahren, in meiner Erinnerung deutliche Spuren hinterlassen hat. Ich habe Butterbrote im Akkord gestrichen, Reiten gelernt, Dächer gedeckt, einen Bootssteg an einem oberschwäbischen See gebaut, mich in die Tochter des Heimleiters verliebt, und alles im Dienste des Vaterlandes. Was will man mehr.
Ab heute gehöre ich zu den Alten aus einer anderen Epoche, die auf dem Ofenbänkchen sitzen und davon schwärmen, wie schön es damals doch gewesen ist, als man noch so viel Zeit hatte wie bei Jack Daniels in Lynchburg, Tennessee und anschließend 28 Semester studierte. Die Jungen, falls sie mir überhaupt zuhören, tippen sich dann an die Stirn. Ihre Mütter haben ihnen von Klein auf eingehämmert, dass ihr heiliges Ich die Sonne ist, um die sich alles dreht – dass also ihnen zu dienen ist und nicht umgekehrt. In der Schule haben sie gelernt, stets schneller zu sein als die Konkurrenz und sparen mittlerweile schon ein ganzes Schuljahr ein. Was sie tun, dient stets einem Zweck und ihrer Karriere. Sind die jungen Menschen so? Keine Ahnung. Die Vorstellung, ein ganzes Jahr für Zivildienst zu opfern, hat in ihrer Lebensplanung jedenfalls keinen Platz. Nur ein paar Tausend haben sich bisher gemeldet. Aber ich hätte das freiwillig ja auch nicht getan.
Das ist, sage ich jetzt als weiser älterer Herr, bedauerlich und wiege dazu bedenklich mein ergrauendes Haupt. Was soll aus einer Gesellschaft noch werden, die gesellschaftliches Engagement unmodern findet und die das soziale Lernen als Verpflichtung abschafft? Ich frage ab sofort alle Jüngeren: Haben Sie zivil gedient? Nur wer darauf mit Ja antwortet, zackiger als es zu meiner Zeit üblich war, darf neben mir auf dem Ofenbänkchen sitzen.
Jörg Magenau
Bild: © getidan
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