Kleine Lücken klafften in der Berliner S-Bahn schon seit den 20er Jahren: Lücken zwischen Bahn und Bahnsteigkante, vor denen auf alten, charmanten Schildern zum Beispiel am Ostkreuz gewarnt wurde. Zu diesen überschaubaren Lücken aus der – man muss schon sagen – : guten, alten S-Bahn-Zeit ist nun eine wesentlich unschönere Lücke hinzugekommen, ja eigentlich schon eher ein Loch: Die „13 Minuten-Lücke“. So wird im S-Bahn-Amtsdeutsch die derzeit planmäßige Wartezeit auf den innerstädtischen S-Bahn-Strecken bezeichnet, die aber, weil 13 Minuten ziemlich viel sind, zu einem außerplanmäßigen Fahrgaststau führt, was weitere Verspätungen zeitigt, so dass die 13-Minuten-Lücke in Wirklichkeit wesentlich länger dauert. Wir bitten um Entschuldigung.
Für die Tatsache, dass nach Strausberg-Nord, Spandau, Wartenberg und Hennigsdorf ab sofort gar keine Züge mehr fahren, bietet die Bahn die Formulierung an, dass der zuvor schon „eingeschränkte“ Verkehr „weiter ausgedünnt“ werden musste. „Eingestellt“ wäre das richtigere Worte für die auf bahndeutsch „nicht befriedigende Situation“. Doch wie soll man es nennen, wenn statt der vertraglich festgelegten 560 Viertelzüge nur noch 200 im Einsatz sind? „Viertelzug“ klingt ja ganz regulär schon so, als wären da nur noch ein paar Reste unterwegs. Vielleicht sollte man das, was von der Berliner S-Bahn übrig ist, gleich bei Rudis Reste-Rampe verscheuern. Dort gäbe es die 13-Minuten-Lücke dann für einen Euro, anstatt sie nun auch noch mit einer Fahrpreiserhöhung zum neuen Jahr zu garnieren. Bitte haben Sie dafür Verständnis.
Lücken und Löcher, einmal aufgetreten, neigen dazu, immer größer zu werden. Wer glaubte, die S-Bahn würde ihre Probleme nach zwei Jahren Dauerdesaster irgendwann einmal lösen, muss zur Kenntnis nehmen: Besserung ist nicht in Sicht. Von einem der großartigsten Nahverkehrssysteme der Welt, das Berlin vor 80 Jahren gewesen ist, bleibt – was die S-Bahn betrifft – nicht viel übrig. Was für ein Irrsinn: Da gibt die Bahn in Stuttgart und Umgebung Milliarden aus, für ein paar Minuten Zeitgewinn im Dienste des Fortschritts oder vielmehr des angestrebten Börsengangs. Dort aber, wo Menschenmassen Tag für Tag unterwegs sind, wo es Kunden und einen öffentlichen Auftrag gibt, wurde so lange an Wartung und an Personal gespart, dass jeder Fahrgast täglich mehr als nur die 13 Minuten-Lücke verliert. Ob die Deutsche Bahn dadurch flott für die Börse zu werden glaubt, dass sie den S-Bahn-Betrieb so unflott wie nur möglich gestaltet? Wie wäre es denn, wenn statt der Stuttgarter Milliarden eine Flotte neuer Viertel-, Halb- oder Ganzzüge für Berlin angeschafft würden? Oder ist das zu egoistisch berlinerisch gedacht? Es klemmt ja nicht nur hier. Auch andere Strecken bedürfen dringend der Sanierung, bevor die Lücken auf maroden Gleisen, an Oberleitungen und Weichen unüberbrückbar geworden sind.
Für diesen Kommentar bitten wir die Deutsche Bahn um ihr Verständnis.
Text: Jörg Magenau
zuerst erschienen auf rbb-kulturradio am 04.01.2011
- Sibylle Lewitscharoff: Das Pfingstwunder - 6. September 2016
- Elias Canetti: Das Buch gegen den Tod - 25. Dezember 2014
- Ernst Jünger: Feldpostbriefe an die Familie 1915-1918 - 9. November 2014
12. Januar 2011 um 04:05 Uhr
War von Ende 1970 bis Anfang 1984 bei der Berliner S-Bahn beschäftigt als Bahnsteigaufsicht / Fahrdienstleiter (überwiegend auf dem „Vorortbahnsteig“/Stellwerk Gsv im Bahnhof Berlin-Gesundbrunnen. Wenn ich heute lesen muss, was mit diesem Nahverkehrssystem geschieht, da können mir schon die Tränen kommen. Zu Reichsbahnzeiten wurde ja auch so manches Mal „auf Verschleiß“ gefahren, mit zum Teil 50 Jahre alten und wenig energieeffizienten Fahrzeugen, aber es wurde gefahren, und wir S-Bahner waren stolz auf unsere Leistungen, besonders auf unsere oftmals notwendigen Improvisationskünste und dann auch auf unseren Betrieb, sogar, wenn wir über Unzulänglichkeiten lästerten. Das alles ist nun Nostalgie, und für die Kinder im Haus, weit weg von Berlin: Uropas Märchenstunde.