Das war kein Tor, nie und nimmer!“ Auch 50 Jahre später isses evident, was wann wo gemeint ist: Wembley Stadion, London, WM-Finale am 30. Juli 1966, England wird mit 4:2 Fußballweltmeister gegen Deutschland. Ja, ‚ich war auch dabei’. Saß mit knapp 9 auf den Schultern meines Papas im Strandcaffè Baia Domizia vor Neapel. Unvergeßlich, im Fernsehen der Mythos ganz, unerreichbar, nah. Und alles analog: ein Lederball klatscht von der hölzernen Querlatte staubend auf die weiß gekalkte Torlinie. Wolfgang Weber köpft den Ball ins Toraus. Doch der Schweizer Schiri Gottfried Dienst (allein der Name!) und sein russischer Linienrichter Tofik Bachramow aus Aserbeidschan entscheiden auf Tor zum 3:2 durch Geoff Hurst, der den Ball von Alan Ball von rechts geflankt bekam, der den Ball vom Rauhbein Noby Stiles per Steilpaß bekam, der den Ball … – es war die 101. Minute …- den Ball nahm übrigens der Augsburger und Italien-Profi Helmut Haller unter seinem Trikot mit und gab ihn erst kurz vor seinem Tod an die Engländer zurück.

Drin oder nicht drin, lieber Hans Tilkowski? Schwarz weiß wie die Fernsehübertragung gibt es kein Drittes. Nur noch das Sportfoto des Jahrhunderts, wie Uwe Seeler gesenkten Hauptes den heiligen Rasen zu Wembley verlässt – ein vorbildlicher Verlierer.

Sind die offiziellen institutionalisierten Daten wirklich die symbolischen (bedeutungsschwangeren) Rites de Passage? Oder sind nicht solche Erlebnisse die Schlüssel zum Ar-chiv der seelischen Festplatte, wo die singulären Momente runtergeladen abgespeichert sind, auf ewig im inneren youtube in Endlosschleife relive? Es begannen die swinging mit Beatles, Minirock und Blow-Up. Wie auch wir mal swingend begannen:
Gehen lernen, der erste Fußball, die Geburtstage, die Schultüte am 1. Schultag, der erste Karl May Band bzw. Film, die Mandel-OP, der erste Ferienjob, Stehblues, mein Rennrad, erster Korb, Rumbussieren, Moped frisieren, verschossener Elfmeter, Eishockey & Einbrechen im Eis, lange Haare, Woodstock, erste E-Gitarre & kleine Band, Pelé &  beim Glubb im Stadion, Interrail, Führerschein, Giacomo ‚Ago nazionale’ Agostini am Norisring, Wählen gehen, Moto Guzzi Le Mans, Jazz-Ost-West, Philosophie in Tübingen, Jobben beim Daimler, mein GTi, Praktikum auf der Krebsstation, Italia, New York, London, Paris, Benjamin, das ertrunkene Mädchen in Sardinien, Giacometti-Ausstellung,  Achillessehnenriss, immer wieder Weihnachten, Omas und Opas sterben, … dann Hochzeit und besonders: die Kinder … Und und und – viel scheint da sinnlich auf um Taufe, Konfirma-tion, Abendmahl, Ordination, Trauung, Beerdigungen, Abitur und erstem Gehalt. Wem ist da nicht vieles Profane in Echtzeit heilig.

Das war kein Tor, nie und nimmer!“ Wembley, banal? Lieber über ein Tor im Finale streiten, um Gerechtigkeit, damit das fair-play weiter geht, die Passion, als Krieg führen.

Jochen Wagner 01-08-2016

http://web.ev-akademie-tutzing.de/rotunde/

Animation: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gol_nhein.gif CC BY-SA 2.5