„Ein Auftragsfoul war das!“, wetterten wir vor Wochenfrist beim Pariser EM-Finale, als Portugals Ronaldo gleich anfangs von einem Franzosen rustikal niedergestreckt wurde. „Aber den Ball hat er auch gespielt“, suchten selbst TV-Experten die ‚Aggression Inkognito’ schön zu reden. Keine rote, nicht mal ’ne gelbe Karte? Fußball ist halt nicht Halma, Körperkontakt gehört dazu, das ist internationale Härte – aber so einzusteigen, eine Verletzung des Kombattanten, und sei er ein Superstar, billig, gar kalkuliert in Kauf zu nehmen, das roch nach ambitionierter Destruktivität: den Gegner gezielt schwächen. Portugal hat denn doch gewonnen, nicht ohne durch das taktische Foul von zusätzlichen Sympathien, gleichviel von einer ‚vom Fokus Ronaldo’ befreiten Inteam-Leistung zu profitieren. So weinten die Sieger vor Glück, die Verlierer aus Trauer, und doch alle eins im kanonischen Gut des Spiels.
Ganz andere „Auftragsfouls“ haben seither die (abgesehen von Hooligans) friedliche Fußball-EM vergessen gemacht. Der Terror reiht Albtraum an Albtraum. Die ‚Promenade d’Anglais’ in der „Baie des Anges“ (Bucht der Engel) an der himmlischen Côte d’Azur hat – darf, kann, muss man sagen – ein teuflischer Amokläufer in ein höllisches Massaker verwandelt. Das Motiv? Die Akkumulation von Geld, Gütern usw. könnten wir noch verstehen. Aber die ‚Anhäufung von Toten’? Der Täter sei Familienvater gewesen. Welche Deformation, Entmenschung muss so einer ‚Realabstraktion’ von minimalster Scheu vorausgehen, dass ein Mensch Seinesgleichen mit einem Containerlaster wie mit einem Fleischwolf zermatscht? Ob der Attentäter zum „Auftragsmord“ solche Befehle von Al-Quaida oder IS, mit dem Auto Menschen platt zu walzen, noch brauchte? Ob ein Märtyrer-Mythos so einen Rausch blindwütiger Zerstörung mit pathologischem Narzissmus noch irgendwie rationalisiert? La France, das verhasste Symbol der Aufklärung, einer für Amoksoldaten unerreichbar nahen emanzipatorischen Moderne? Nur Entwertete entwerten?
Experten sprechen von „Blitzradikalisierung“, als habe lang angestaute Dynamit im Kerl nur auf die Lunte gewartet. Was aber akutisiert die explosive Substanz, mit todsicherer Plötzlichkeit aus heiterem, azur-blauen Himmel zuzuschlagen? Steht Gott für die Creatio ex nihilo, für den Schöpfungsakt, dass vielmehr Etwas statt Nichts sei, so dreht der enthemmte Terrorakt dies schier um: dass vielmehr Nichts statt Etwas sei. Negative Allmacht? „Caro cardo salutis“ lernt man im Studium der Theologie: das Fleisch ist der Haken des Heils. Im Amokgemetzel sind die Leiber der Haken des Unheils. „De Corpora, de motu“/ vom Körper heißt, von der Bewegung reden (Hobbes). Ein Automobil, ein Bewegungsverstärker des Körpers, seiner vitalen Selbstbeweglichkeit, wird zur Waffe. Mitten in der digitalisierten Welt transzendiert der sog. ‚body talk’ die Agonie des Realen: hier als physische Gewalt, den leibhaften Anderen zu killen, dort als zärtliche Lust, den leibhaften Andern zu lieben. Thanatos oder Eros? Der ‚Hang zum Bösen’ oder die ‚Anlage zum Guten’ (Kant) – was bestimmt body & soul, welche seelische Software in welcher körperlichen Hardware? Soviel Hass. „Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet“, Büchners Frage in Dantons Tod bietet für die Opfer und ihre Trauernden keinen Trost. Und für die promenierenden Lebenden: keinen Schutz(engel).
Jochen Wagner
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