Frauen spielen bei der Beirut Art Fair eine große Rolle. Die Messe ist ein Indiz für den Selbstbehauptungswillen der libanesischen Zivilgesellschaft.
Links ein Muskelprotz, dessen von Steroiden geschwängerter Körper die Form einer Zypresse angenommen hat, des Wappenmotivs der libanesischen Flagge. Rechts vier schemenhafte, ausgeblasste Männergestalten, denen die Gesichter fehlen. Mit ihrem Bild „The Angels“ von 1986 hat die libanesische Malerin Seta Manoukian das Dilemma ihrer Heimat piktorial auf den Punkt gebracht.
Was hinter dem Bild steckt: 1976 gewann zwar der Beiruter Bodybuilder Samir Bannout als erster Libanese den Titel „Mister Universe“. Die Klasse derer, die das Land regieren, besteht aber meist aus farbloser Dutzendware. Wie in vielen Staaten des Nahen Ostens schwankt das nationale Psychogramm der Republik am Mittelmeer zwischen politischer Kraftmeierei und institutionellem Versagen. Seit drei Jahren können sich die Parteien nicht auf einen Präsidenten einigen – Governance ohne Government auf Levantinisch.
Der Normalfall ist eine so geharnischte Kritik des Patriarchats und der politischen Klasse im Nahen Osten nicht unbedingt, noch dazu öffentlich. Im Libanon geht es aber doch noch liberaler zu als in anderen Ländern des Raums. Wo hätte man dort erotische Zeichnungen wie die der 1934 geborenen Juliana Séraphim zeigen können? Auf einer frühen Arbeit räkelt sich ein Hermaphrodit mit ragendem Phallus. Auf der Beiruter Kunstmesse (BAF) liefen vergangene Woche keine Sittenwächter Sturm gegen derart freizügige Kunst. Wie Manoukian war Sérafim Teil einer Sonderschau „Lebanon Modern!“, die 13 frühe Kunstpionierinnen seit 1945 präsentierte.
Im Reigen der internationalen Kunstmessen spielt die kleine Messe an der Ostküste des Mittelmeers keine große Rolle. Mit rund 21.000 Besuchern und 45 Galerien liegt sie weit abgeschlagen hinter Matadoren wie Basel, London oder New York. Und der Kasten des Ausstellungszentrums mit seinen blindgestoßenen Goldblechtüren am hässlichsten Abschnitt der Beiruter Strandpromenade verströmt den Charme eines Zweckbaus der späten DDR.
Stimmungsbarometer
Trotzdem ist sie ein aufschlussreiches Stimmungsbarometer – politisch wie ästhetisch. Nicht nur, weil ausgerechnet diese kleine Schau im Kampf um die ästhetische Repräsentanz des Me.Na.Sa-Raums punkten kann. (So viele Galerien aus Jordanien, Palästina, Schanghai, Algerien oder dem Iran findet man bei anderen Kunstmessen nicht, die auch um Protagonisten der sagenumwobenen Prosperitätsregion in spe konkurrieren: Naher und Mittlerer Osten, Nordafrika und Südostasien.) Sondern auch, weil sie für eine kommerzielle Messe erstaunlich politisch daherkommt.
Natürlich ist der Krieg in dieser Weltregion zur unentrinnbaren Alltagserfahrung geworden. Eine Entdeckung waren Künstler wie der 1988 in Syrien geborene Rabi Khoria oder der 1976 geborene Pakistaner Waasem Ahmed doch. Wie in Zeiten der Gewalt die binäre Logik triumphiert, zeigt das „Black and White“ betitelte Werk des Syrers, der heute in den Niederlanden lebt: In dem Werk, das dem Signet der Londoner Metro nachempfundenen ist, rasen zwei Bomben aufeinander zu. Der Pakistaner malt die Gestalten kämpfender Krieger in der Manier der indischen Miniaturmalerei aus der Zeit der Mogul-Kaiser. In einer Ecke der Messe zeigte die nichtkommerzielle Projektraum-Initiative „Live Love Beirut“ Künstler, deren Arbeiten Krieg und Armut thematisieren.
Die Situation in der Beiruter Kunstszene erinnert an die Aufbruchsstimmung in der Türkei während der 1990er Jahre: Ein Boom privater Stiftungen und Museen kompensiert den schwachen Staat. Gegen die Millionen, die ein Mann wie der Modezar Tony Salamé in den 2015 eröffneten Neubau seiner Aïshti Foundation (eine bizarre Mischung aus Shoppingmall und einer erstklassigen Sammlung Moderner Kunst, an der Beiruter Strandpromenade) gesteckt hat oder die der Internetunternehmer Basel Dalloul im nächsten Jahr in ein Privatmuseum für seine 3.700 Werke große Sammlung panarabischer Kunst seit dem 19. Jahrhundert stecken wird, sind die 10 Millionen Euro Jahresbudget von Libanons mausearmem Kulturminister Raymond Arayghi natürlich Peanuts. Sie zeigen aber auch, wie Kunst zum Motor der Entwicklung der Zivilgesellschaft werden kann.
Spott über die falschen politischen Prioritäten
In dieser, nach den Jahren des libanesischen Bürgerkriegs langsam wieder wachsenden, Zivilgesellschaft spielen Frauen eine große Rolle. Ob man die Messedirektorin Laure d’Hauteville nimmt, eine französische Journalistin, dies es 1991 in den Libanon verschlug, wo sie 2010 die BAF gründete; oder Naila Kettaneh Kunigk, die 71-jährige Gründerin der Galerie Tanit; oder die legendäre, 1953 in Beirut geborene Galeristin Andrée Sfeir-Semler, die Künstler wie Walid Raad oder Akram Zataari durchsetzen half: Viele der inzwischen gut 30 Galerien in der Stadt werden von solch resoluten, kultivierten Damen geführt.
Nadine Begdache etwa hat ihre im Bürgerkrieg 1976 zerstörte Galerie nach ihrer Mutter Janine Rubeiz benannt. Die überzeugte Feministin und Sozialistin etablierte 1967 das erste Institut im Lande, zugleich der führende Intellektuellen-Diwan im Land. Wer Begdache hört, spürt etwas von dem Selbstbehauptungswillen der libanesischen Zivilgesellschaft. „Was haben wir denn anderes als die See und die Kunst?“, spottet sie über die falschen politischen Prioritäten in ihrem Land. Sie will aber nicht aufgeben, es mithilfe der Kunst einmal mehr neu aufzubauen. Und pocht auf ihre Eigenständigkeit: „Wir tun hier selbst, was wir wollen“.
Ingo Arend | taz 20-09-2016
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