Nord-Süd-Achse: Seit einem Jahr ist Annette Kulenkampff die erste Geschäftsführerin der Documenta. Jetzt bereitet sie Adam Szymczyks Doppelschau 2017 vor. Ein Besuch in Kassel.

Ein Griechisches Jahr

„Das war natürlich eine große Überraschung, als er das Konzept präsentiert hat. Und das hat natürlich zu Verwunderung geführt.“ Annette Kulenkampff erinnert sich. „Learning from Athens – Von Athen lernen“.

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Als Adam Szymczyk vergangenen Herbst seine Pläne vorstellte, die 14. Documenta 2017 nicht nur in Kassel, sondern auch in Athen stattfinden zu lassen, erntete der damalige Direktor der Kunsthalle Basel heftige Reaktionen.

Athen als Symbol der internationalen Finanzkrise und Herausforderung für die Kunst. Kulenkampff, war vor zwei Jahren Zeugin der Sitzung, in der Szymczyk sein Konzept vorstellte. Die 58-jährige, seit genau einem Jahr als Nachfolgerin von Bernd Leifeld erste Geschäftsführerin der Documenta, sitzt in ihrem kleinen, eleganten Büro im Kasseler Museum Fridericianum. An der Wand hängt ein Foto des Freischwingers, den Documenta-Gründer Arnold Bode einst entwarf.

Bei dem Gedanken, gleich bei ihrer ersten Schau zwei Standorte organisieren zu müssen, beschlichen sie im letzten Jahr, wie sie gesteht, gemischte Gefühle. Doch sie hielt Szymczyks Idee von Anfang an für stimmig. Schließlich hatten schon seine Vorgänger Okwui Enwezor und Carolyn Christov-Bakargiev Außenstationen bespielt.

Kulenkampff stammt aus einer kunstaffinen Hannoveraner Bürgerfamilie. Ihr Großvater war Kunsthistoriker, mit den Eltern besuchte sie sonntags als junges Mädchen immer die Kestner-Gesellschaft. Ihr Initialerlebnis hatte die knapp 15-Jährige auf der Documenta 5, 1972 vor den Bildern des neuen Fotorealismus. „Dass so etwas Kunst sein sollte, was mir so sehr entsprach in diesem Alter, das hat mich am meisten überrascht, auch schockiert“, erinnert sie sich. Das Aha-Erlebnis wirkt nach, sie studiert selbst Kunstgeschichte, während des Studiums gründet sie in Frankfurt sogar eine Galerie.

Später heuert Kulenkampff der Bonner Bundeskunsthalle an, führt 18 Jahre lang den renommierten Hatje-Cantz-Kunstverlag. Nun muss sie die 30-Millionen-Organisation Documenta leiten. Mit der Rolle als einsame Frau an der Spitze ist sie vertraut, ob als Verlagsgeschäftsführerin oder erste Vorsitzende des Württembergischen Kunstvereins. Heute noch fragt sie sich: „Wo sind eigentlich die Frauen im Kunstbetrieb? Immer sind diese Fotos umgeben von Männern.“ Unsicher, nervös wirkt die dunkelblonde Frau angesichts ihrer neuen Aufgabe überhaupt nicht.

Im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen der Documenta-Kurator oder die Kuratorin. Den Namen des Geschäftsführers kennen die wenigsten. Dabei trägt Kulenkampff die Verantwortung für ein perfekt organisiertes Mega-Event: Vom Personal über die Versicherung bis zum Überseetransport. Die dienende Rolle als Managerin bereitet ihr keine Schwierigkeiten: „Ich habe mich nie als Kurator gefühlt“, sagte sie seelenruhig, „meine Fähigkeit ist es, Gefäße zu schaffen, Möglichkeiten zu schaffen.“

Genau das tut sie jetzt in Kassel. Die erste Aufregung über Kurator Szymczyks Idee hat sich in der Stadt gelegt. Längst arbeitet das Documenta-Team an dem Konzept. In Athen hat es Gespräche geführt, Kooperationspartner ausfindig gemacht, mögliche Ausstellungsorte besichtigt, wie etwa die Athener Kunsthochschule. „Die Documenta ist Hoffnung“ fand kürzlich selbst der Athener Oberbürgermeister Yiorgos Kaminis bei einem Besuch in Kassel.

Was die Welt von Athen lernen kann, sollen freilich die Künstlerinnen und Künstler zeigen, die Hauptpersonen jeder Documenta. Namen lässt sich Kulenkampff natürlich noch nicht entlocken. Ende des Jahres soll eine rund 100-köpfige Liste stehen. Die Ausgewählten sollen dann Kassel und Athen besuchen: „Und aus diesem Spannungsverhältnis, was immer sie da erleben“, ist sich Kulenkampff sicher, „wird etwas entstehen.“

Keine Documenta zuvor hat je so früh ihr Konzept bekannt gegeben. Kulenkampff hält Szymczyks Vorgehen für einen Vorteil, weil sich viele Kulturinstitutionen jetzt mit dem Konzept auseinandersetzen könnten. Die Evangelische Akademie wolle in Hofgeismar 2017 ein philosophisches Seminar initiieren. Das Kasseler Theater plant mit dem Thema Griechenland. „Das ist doch ein Riesengeschenk“ findet Kulenkampff, „vielleicht wird ja 2017, was die Kultur angeht, in Deutschland ein Griechisches Jahr“.

Der kulturelle Austausch zwischen den Standorten der D 14, stellt sie klar, ist Szymczyk diesmal besonders wichtig. Ihr schwebt der Austausch von Schulklassen zwischen Kassel und Athen vor, oder der zwischen den Kunsthochschulen. Die Kasseler Universität sei interessiert. Kulenkampff kann sich aber auch vorstellen, dass deutsche und griechische Firmen Lehrlingen aus den jeweiligen Ländern Praktika anbieten.

Wer die Documenta dieser Tage in Kassel besucht, dem fällt auf, dass das kontroverse Motto „Learning from Athens“ nicht mehr ganz so häufig fällt. Schwer zu sagen, ob ihre Macher gemerkt haben, dass sie in Athen in ein politisches Wespennest greifen. Jedenfalls argumentiert Kulenkampff neuerdings mit dem allgemeineren Begriff „Nord-Süd“, wenn sie darauf hinweist, dass sich die Documenta„weit über Griechenland hinaus bewegen“ werde.

Die Formel beschränkt sich für Kulenkampff nicht auf Kassel und Athen. „Das steht ja nur als Symbol für diese Auseinandersetzung zwischen dem Süden und dem Norden der Welt“. Für sie ist der Kulturstreit um die „Effizienz des Norden gegen die Kunst zu leben des Südens“ eine „sehr, sehr spannende Diskussion. Und ich denke mal, das wird die Documenta reflektieren, Ausgangspunkt: Diese relativ nahe Nord-Süd-Achse Kassel-Athen.“

200 Biennalen gibt es inzwischen in der Welt. Einige verdanken ihre Entstehung Künstlerbewegungen, viele politisch motiviertem Stadtmarketing. Kulenkampff will die Kasseler Bürger wieder stärker in die Vorbereitung einbeziehen und die Documenta so an die Ursprungsidee zurückbinden: „Letztendlich ist die Documenta eine Bürgerinitiative, Arnold Bode hat ja gekämpft dafür mit seinen Mitstreitern und keiner wollte das eigentlich. Es ist aus der Bürgerschaft entstanden“.

Kunst hat derzeit keinen guten Ruf. Irrwitzige Rekordsummen auf Auktionen, Gerichtsverfahren wie das gegen den Kunstberater Achenbach, vielen Künstlern, aber auch der breiten Öffentlichkeit gilt Kunst inzwischen nur noch als Accessoire der Reichen und Mächtigen. Zwischen zu viel und zu teuer sieht Annette Kulenkampff die Kasseler Weltkunstschau als Garanten einer nicht korrumpierten Kunst. Zweieinhalb Jahre, nicht mehr allzu viel Zeit hat sie jetzt noch, um zu beweisen, dass sie mit ihrem Documenta-Credo richtig liegt: „Sie ist absolut glaubwürdig. Sie macht sich nicht abhängig vom Markt. Die Documenta ist etwas, an das die Menschen nach wie vor glauben können in dieser Kunstszene, die inzwischen ja auch genügend ihrer Skandale hat.“

Ingo Arend

Bild: Adam Szymczyk  CC BY-SA 3.0 Author Haemmerli

 

documenta 14

10. 6. – 17. 9. 2017