Die neue Ethik der Schlachtung
Grégoire Chamayou sieht nicht nur im militärischen Einsatz von Drohnen einen tiefgreifenden historischen Umbruch
Den Titel des berüchtigten Hollywood-Streifens »Top Gun« aus dem Jahr 1986, in dem Tom Cruise einen leichtsinnigen Piloten der US-Navy spielt, entliehen sich die Filmemacher damals von der US-Armee. So hieß nämlich ein Lehrgang, der die mangelhaften Nahkampfqualitäten ihrer Jagdflieger abstellen sollte. Seitdem fungiert »Top Gun« als Synonym für den Krieg als Kampf realer Körper und Metapher für soldatische Tapferkeit.
Folgt man dem französischen Philosophen Grégoire Chamayou, wird diese Art des Krieges gerade Geschichte. Denn durch die Drohnen, die die Armeen der Welt heute einsetzen, wandelt sich der militärische Nahkampf zum ferngesteuerten »Krieg aus der Distanz«. Während der einst notgedrungen todesmutige Soldat tendenziell zum Feigling wird. In seinem Buch »Ferngesteuerte Gewalt. Theorie der Drohne« skizziert der Wissenschaftler, wie diese scheinbare Wunderwaffe den Charakter des Krieges dramatisch zu verschärfen beginnt.
Für Chamayou, Jahrgang 1976, Philosoph am Centre d’Etudes en Rhétorique, Philosophie et Histoire des Idées in Lyon, markiert der Einsatz der »unmanned aerial vehicles« einen tiefgreifenden historischen Umbruch – weil sich in ihnen der Versuch manifestiere, »Macht zu projizieren, ohne Verwundbarkeit zu projizieren«. Und weil sich mit ihnen eine »Politik der Vertikalität« durchzusetzen beginne, die die gute alte Souveränität »aeropolitisch« begründe. Der Wissenschaftler registriert auch einen kulturgeschichtlichen Umbruch, weil sich mit Drohnen ein »synoptisches Sehen« durchsetze – eine Art technisches Pendant des »allsehenden Auge« Gottes. Den wahren Paradigmenwechsel sieht er aber im Völkerrecht und in der (militärischen) Ethik.
In ganz Europa rüsten die Regierungen ihre Armeen auf Drohnentechnik um. Für Chamayou erfüllt sich darin eine anthropologische Disposition. 2010 legte er in seinem viel beachteten Band »Les chasses à l’homme« eine Kulturgeschichte der Menschenjagd vor. Die erfolgt nun gleichsam aus der Luft, von oben. Eine Jagd mit gravierenden Kollateralschäden. Nicht nur verbietet es das Völkerrecht, außerhalb bewaffneter Konflikte mit Kriegswaffen zu töten. Überzeugend argumentiert Chamayou, wie der Einsatz bewaffneter Drohnen auch das Institut eines zeitlich und örtlich begrenzten Waffengangs in eine Art immerwährenden Krieg verwandelt – einen Zwitter aus Polizeiaktion und staatlichem Terror, bei dem man nie wisse, wer wann und wo zuschlagen werde. Eine präventive Menschenjagd, bei der sich vor allem die USA qua »gezielter Tötung« mutmaßlicher Terroristen eine fragwürdige »licence to kill« anmaßten. Für einen »gewaltsamen Putsch im Kriegsrecht« hält Chamayou den Drohneneinsatz.
Mit der permanenten Drohung aus der Luft sieht er eine Schlussfolgerung bestätigt, die antimilitaristische US-Kollegen schon 1973 aus dem Vietnam-Krieg gezogen hatten: »Jeder Unterschied zwischen Krieg und Frieden löst sich in Dunst auf. Der Krieg wird Frieden sein«, schrieb die Gruppe damals in der Zeitschrift »Science for the People«. Der Einsatz von Drohnen berge zudem die Gefahr der »Gamifizierung« und der »Playstation-Mentalität«. Den Krieg aus einem unverwundbaren Raum zu führen – was Chamayou den »Kokon der klimatisierten Safe-Zone« nennt –, befördere eine »Nekro-Ethik«, nach der sei es schlecht, zu töten und sein Leben zu exponieren, gut hingegen, dem Anderen das Leben zu nehmen, ohne sein eigenes zu riskieren. Damit degeneriert der Krieg zur »Hinrichtung« und militärisches Ethos zur »Ethik der Schlachtung«.
Generell hat der Philosoph natürlich Recht. Für Chamayou löst der Drohnenkrieg den stillschweigenden Kriegspakt auf, nach der Soldaten für eine in Raum und Zeit begrenzte Periode schuldlos töten dürften. So gesehen macht er Soldaten noch deutlicher zu dem, was Kurt Tucholsky schon 1931 Empörung eintrug, nämlich zu Mördern. Wenn Chamayou die »Ethik der Feigheit« beklagt, die sich aus der neuen, asymmetrischen Kriegssituation ergibt, gerät er andererseits in Gefahr, so verstanden zu werden, als ob er eine klassische Kriegstugend rehabilitieren wolle: den »Mut«, ein Mörder zu sein.
Eine geschlossene Theorie der Drohne liefert Chamayou noch nicht. Dazu müsste sein Buch auch die zivile, nichtmilitärische, potenziell aufklärerische Nutzung der Drohne mehr als nur kursorisch ins philosophische Kalkül einbeziehen. Zwar ist es voller spannender Ansätze. Etwa, wenn er skizziert, wie die bei Drohnenflügen aufgezeichneten Filme ein »totales Archiv« möglich machten. Oder wie sich damit der »Film einer ganzen Stadt« drehen lasse. Mit dessen Hilfe jedes Leben darin »rückwirkend durchsuchbar« würde. Im Zeitalter der »fliegenden und bewaffneten Panoptiken« läge mit den »Thanato-Techniken die Aktualisierung eines Klassikers der Kulturtheorie freilich auf der Hand. Michel Foucaults «Überwachen und Strafen» mutiert da schleichend zum Prinzip «Überwachen und Vernichten» – ein Prinzip, das irgendwann nicht mehr nur für Kriegssituationen gelten würde.
So wie Chamayou den Griff zur Drohne als politisches und psychisches Dispositiv beschreibt, das vom militärischen in den zivilen Bereich hinüber diffundiert, schreibt er gegen die Gefahr an, dass der Drohnenkrieg am Ende seine Erfüllung im Drohnenstaat findet – eine «Macht ohne Körper», die sich auf Roboter und eben auf Drohnen stützt. Dagegen würde vermutlich auch der einzige Schutz nicht helfen, der bislang gegen Drohnenangriffe entwickelt wurde: die Anti-Drohnen-Mode des US-amerikanischen Künstlers Adam Harvey, die es auch in Burka- und Hijab-Ausführungen gibt. Die Schutzkleidung aus metallisiertem Spezialstoff macht Menschen unsichtbar für die fliegenden Waffen.
Die «kritische Theorie der Waffen», die Chamayou intendiert, gelingt ihm freilich hervorragend: «Ferngesteuerte Gewalt» ist eine brillante Analyse aller Dilemmata der militärischen Anwendung der Drohne. Scharfsinnig und schonungslos entlarvt der Philosoph den Glauben, mit Hilfe von «humanitären Waffen» ließe sich der Krieg in ein klinisch reines, moralisch rückstandsfreies Computerspiel entschärfen, als mörderische Illusion. Gegen die Drehbücher dieses Krieges der Zukunft mutet das kraftstrotzende Kriegsepos «Top Gun» fast schon wie eine altmodische Moralfibel an.
von Ingo Arend (erschienen in „Neues Deutschland“, 02.01.2015)
Grégoire Chamayou: Ferngesteuerte Gewalt. Eine Theorie der Drohne.
A. d. Frnz. v. Christian Leitner.
Passagen-Verlag, Wien 2014. 288 S., geb., 29,90 €.
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