Das ZKM in Karlsruhe stellte jetzt das international so erfolgreiche Ausstellungsformat der Kunstbiennale auf den Prüfstand
Standortspektakel. Gentrifizierungsmotor. Raumschiff. Sobald die Rede auf Biennalen kommt, überwiegen Sarkasmen oder Kritik. Immer mehr Städte und Länder schmücken sich mit den wiederkehrenden Großausstellungen internationaler Kunst. Aber je mehr sie wie Pilze aus dem Boden schießen, desto stärker wachsen die Zweifel an diesem Format. Sehen die Biennalen von Singapur bis Feuerland nicht überall gleich aus? Bewirken sie nicht das Gegenteil der kritischen Reflexion, die sie anstreben? Und stehen die weltweit gut 200 Events nicht oft wie Fremdkörper vor Ort herum?
Es wäre vielleicht zu früh, von einer Identitätskrise der Biennalen zu sprechen. Auch wenn die Kunstwissenschaftlerin Ute Meta Bauer eine „Biennale-Müdigkeit“ bemerkt haben will. Das Wort kam der ehemaligen Kuratorin der Berlin-Biennale vergangene Woche auf einer Konferenz des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) und des regierungseigenen Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) zu den Perspektiven der Biennalen über die Lippen. Womit sie eine Kritik des chilenischen Künstlers Alfredo Jaar aufnahm. Auf einer ähnlichen Konferenz hatte der schon 2000 in Kassel beklagt, unter dem Druck der Globalisierung verlöre dieser Exportschlager der Moderne zunehmend seine Individualität.
Trotzdem wollte sich in Karlsruhe niemand auf die Seite Kasper Königs schlagen, der Jaars Kritik in krachenden Populismus übersetzte. Biennalen, donnerte der kürzlich pensionierte Direktor des Museums Ludwig in Köln auf einem Panel, folgten einer „Gartenschau-Logik“. Es gebe sowieso viel zu viel „stupid art“. Und die Berlin-Biennale, setzte er noch eins drauf, die Ende Mai zum achten Mal ihre Pforten öffnet, sei „so überflüssig wie ein Loch im Kopf“.
Die Mehrheit der rund 150 Biennale-Macher, die nach Karlsruhe gekommen waren, hielt es mit Bauer, die die Biennalen an einem „Kreuzweg“ angekommen sah und ihnen deswegen dringend anriet, sich dem Mainstream zu verweigern, wenn sie weiter Motoren der Demokratisierung und der Zivilgesellschaft bleiben wollten. Das Moment der „Unberechenbarkeit“, das durch viele Karlsruher Reden geisterte, ist freilich leichter beschworen als hergestellt.
Subtile Camouflage
Nach Unberechenbarkeit sieht der Balanceakt, in dem sich ausgerechnet der Biennale-Skeptiker König gerade in St. Petersburg übt, nicht aus. Bei der Manifesta, der europäischen Wanderbiennale, die er dort vorbereitet, sieht sich der 70 Jahre alte Doyen der deutschen Ausstellungsmacher mit einem Gesetz konfrontiert, das „homosexuelle Propaganda“ verbietet. Das findet er „idiotisch“, sein Vertrag schreibt ihm allerdings vor, sich an die russischen Gesetze zu halten.
Der Poltergeist schwärmte in Karlsruhe für die subtile Camouflage, mit der die vielen schwulen Künstler, deren Werke in der Eremitage hingen, ihr Thema schon vor Jahrhunderten an den Mann gebracht hätten. Fast konnte man glauben, König sähe staatliche Repression als das beste Mittel, die Kunst zu höchster Entfaltung zu treiben. Als er dann noch seinen Auftraggeber, die Manifesta, schmähte, ihre Idee der Weltverbesserung via Kunst allzu missionarisch zu verfolgen, sah man die Biennalen plötzlich an noch einem Kreuzweg – des Moralrelativismus.
Ganz anders Nicolaus Schafhausen. Der 48-jährige deutsche Kurator, seit Kurzem Direktor der Wiener Kunsthalle, zog vor wenigen Wochen in Bukarest die Konsequenzen. Weil man ihm in die Künstlerliste der nächsten Bukarest-Biennale hineinreden wollte, legte er sein Amt als Kurator nieder. Auch bei der Sydney-Biennale brodelt es gerade. Fünf der eingeladenen Künstler haben sich aus der Schau zurückgezogen, die in zwei Wochen eröffnen soll. Sie wollen nichts mit dem Sponsor Transfield zu tun haben.
Gebrochener Gründungskonsens
Der australische Mischkonzern, dessen Besitzerfamilie Belgiorno-Nettis die Biennale einst gründete, verdient sein Geld unter anderem damit, dass er im Auftrag der Regierung Asylbewerber auf eine einsame Insel deportiert. Elke aus dem Moore, im Stuttgarter ifa für die Biennalen zuständig, las den Konferenzteilnehmern die Entgegnung von Marah Braye vor, der Leiterin der Sydney-Biennale. Diskutiert wurde darüber in Karlsruhe aber nicht.
Damit hätten die Biennalisten freilich auch an den Grundfesten des Biennale-Systems gerüttelt: dem latenten Konflikt zwischen sozialer Trägerschaft und (gesellschafts-)kritischen Intentionen. Die drei großen Biennalen in São Paulo, Sydney und Istanbul, die 1951, 1973 und 1987 die Emanzipation von Venedig, der „Mutter aller Biennalen“ einleiteten, wurden von drei großbürgerlichen Industriellen gegründet, um die kulturelle Isolation ihrer Länder aufzuheben. Dass dieser Gründungskonsens aufbricht, zeigte sich schon vergangenen Sommer am Bosporus. Wo der Mischkonzern des sponsernden Koc-Klans unter Beschuss geriet, weil er auch Militärfahrzeuge herstellt.
Die absehbaren Interessenkonflikte tun der Attraktivität des Formats Biennale freilich keinen Abbruch, wie man an dem Vortrag des amerikanischen Kunsthistorikers Royce Smith sehen konnte, der gerade im bitterarmen Paraguay eine Biennale auf die Beine stellt. Und als die britische Künstlerin Leah Gordon gefragt wurde, warum sie den Workshop westlicher und indigener Künstler, der seit 2009 alle zwei Jahre auf Port-au-Prince in Haiti stattfindet, „Ghetto-Biennale“ nennt, gab die radikal antietablierte Ausstellungsmacherin die schöne Antwort: „It’s just the power of this word.“
Ingo Arend (taz 16.03.2014)
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