Die deutsch-afghanische Künstlerin Jeanno Gaussi fragt nach der kulturellen Identität und rekonstruiert eine fremd gewordene, von Krieg und Bürgerkrieg geprägte Heimat. Eine Ausstellung in der Galerie koal
„Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt.“ 2002 wurde der damalige Bundesverteidigungsminister Peter Struck mit einem markigen Spruch berühmt. Im Herbst 2001 hatten militante Islamisten der westlichen Welt den Krieg erklärt. Zwanzig Jahre zuvor hatte alles noch ganz anders ausgesehen. Damals gab Jimmy Carters Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski am Khaiberpass den Taliban Schützenhilfe gegen die Sowjets – mit einem Maschinengewehr in der Hand.
Die Erfahrung von Krieg und Bürgerkrieg, aus wechselnden politischen Richtungen, hat in dem zentralasiatischen Land tiefe Spuren hinterlassen. Und etwas von den psychosozialen Folgen dieser dreißig Jahre kann man jetzt in einer kleinen Galerie-Ausstellung erahnen. Auch wenn die farbenprächtigen Gewänder, die dort an einem silbernen Garderobenständer hängen, auf den ersten Blick nicht nach Gewalt und Krieg aussehen.
„War Rug Project“ hat die Künstlerin Jeanno Gaussi eine ihrer neuen Arbeiten genannt. Erst wer näher herantritt, bemerkt die Motive auf den seidig schimmernden Innenfuttern der Chapans und Peraans, den festlichen afghanischen Übermänteln: Handgranaten, Maschinengewehre, Drohnen – alle leicht abstrahiert. Abgeschaut hat sich Gaussi ihr Motiv bei Webern, die nach 1979 plötzlich diese Motive in ihre Teppiche integrierten. Gaussi hat diese Muster digital verfremdet und auf die Stoffe gedruckt. Waffen gehören so sehr zum afghanischen Alltag, dass sie gar nicht mehr auffallen.
Die militaristische Imprägnierung der afghanischen Psyche hatte Gaussi schon einmal thematisiert. Auf Carolyn Christov-Bakargievs Kabuler Documenta hatte sie im Sommer 2012 die Arbeit „Peraan-e-Tombaan (Hose und Hemd)“ gezeigt. Auf traditionelle afghanische Männerkleidung hatte sie Orden und militärische Abzeichen appliziert, die sie auf den Märkten Kabuls gekauft hatte.
Und sie zeigt sich auch auf den zehn Fotografien mit dem Titel „Ordinary Heroes“. Im Zoo von Kabul traf Gaussi bei ihrem letzten Besuch einen Fotografen, der Fotomontagen von Bildern der Besucher anfertigt, auf denen diese sich mit selbst gewählten Motiven ausstaffieren dürfen. Fast alle wählten Waffen: Kampfhubschrauber, Handgranaten, schwere Patronengurte. 20 Bilder kaufte sie ihm ab, kaschierte sie auf Alu-Dibond und präsentierte sie als Teil ihrer Serie „Kabul Fragments“.
Gaussi ist eine Künstlerin, die das Etikett „interkulturell“ nicht nur wie ein modisches Attribut oder eine Diskurshülse vor sich her trägt. Die Erfahrung, zwischen den Kulturen zu stehen, hat sie selbst durchlitten. 1973 in Kabul geboren, verließ sie ihre Heimat wegen des Bürgerkriegs im Alter von fünf Jahren, lebte in Indien und Pakistan, bevor sie zu ihrer Tante nach Deutschland reisen konnte. Seit zwanzig Jahren lebt sie nun in Berlin. Kein Wunder, dass sie beständig nach der kulturellen Identität fragt.
Die Methode, mit der sie das betreibt, konnte man 2012, ebenfalls auf der Documenta 12 studieren, diesmal aber in Kassel. Für ihre Arbeit „Family Stories“ hatte sie die 30 Bilder aus den Familienalben, die ihre Mutter bei der Flucht aus Afghanistan mitnahm, von einem Schildermaler ihrer Heimatstadt nachmalen lassen. Sie hatte ihn kennen gelernt, als sie 2008 zum ersten Mal nach 1978 wieder nach Kabul zurückkehrte.
Auf der einen Seite war das ein Stück Wiederannäherung an eine ferne Kindheit und die unklaren Geschichten, die sie über ihre Familie hörte. Durch den fremden Blick des Malers rückten die Bilder aber auch wieder in kritische Distanz. Gaussi treiben weder Nostalgie noch die Verlustgefühle der Diaspora. Stattdessen analysiert sie sonst meist fetischisierte Fragmente der Erinnerung oder der Kultur und rückt sie in einen neuen Kontext.
Die neuen Perspektiven, die sich dadurch öffnen, kann man an der 2013 entstandenen Arbeit „Dreams on Wheels“ studieren. Bei Recherchen in Kabul traf sie einen Handwerker, der die ganz Südostasien durchquerenden Fernlaster mit bunten Bildern lackiert. Sie bat ihn, von ihr gekaufte Skateboards mit Motiven seiner Wahl zu überziehen. Jetzt zieren diese Ikonen der westlichen Jugend- und Freizeitkultur Bilder von weißen Pferden, Blockhütten inmitten einer idyllischen Natur. Sogar eine Madonna und ein Lichtsternsymbol, das er in Pakistan fand, sind darunter: Platzhalter für die untilgbaren Träume von einem Leben jenseits von Krieg, Gewalt und Tod. Die Arbeit lässt sich aber auch als Sinnbild für die nichtmilitärische Begegnung der Kulturen lesen, die vielleicht eines Tages auch in Afghanistan wieder Realität werden wird.
Ingo Arend (erschienen in taz, 04.03.2014)
Jeanno Gaussi: „Dedicated“
Galerie koal
Brunnenstraße 25 B, 10119 Berlin
Mi.-Sa. 12-18 Uhr, bis 29. März
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