Politik der Vielstimmigkeit
Mit großer Aufmerksamkeit leitet Katharina Narbutovic das Berliner Künstlerprogramm des DAAD, das heute den 50. Jahrestag seiner Gründung feiern kann
„Sieht ein bisschen wie Alcatraz aus, nicht?“, Katharina Narbutovic lächelt mokant, als sie an das Edelstahlgeländer tritt und in die gähnende Tiefe blickt. Kulturambiente verströmt das Wissenschaftsforum am Berliner Gendarmenmarkt nicht gerade. Ein betongrauer Zweckbau mit Standardgrün in der menschenleeren Empfangshalle. Darüber erheben sich fünf Stockwerke, in denen, nach der Art amerikanischer Gefängnisse, Büros um einen Rundgang verteilt sind. In diesem gesichtslosen Bunker residiert also ein Mythos.
Zumindest im Büro der Leiterin des Berliner Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) sieht es so aus wie in einem kreativen Hotspot. Links und rechts des Schreibtischs quellen Papierberge, Bücher und Broschüren in den Raum. An der Wand dahinter hängt das Porträt eines DAAD-Säulenheiligen: Cees Noteboom.
Spätestens seit der niederländische Schriftsteller 1988/1989 Gast des Artist in Residence Program war, das jedes Jahr 20 Künstler für zwölf Monate zum Arbeiten nach Berlin einlädt, sein Buch „Berliner Notizen“ veröffentlichte, hat das 1963 gegründete Künstlerprogramm einen legendären Ruf: als Treffpunkt der globalen Kreativen und als Ort, an dem die Deutschen dadurch, dass diese Künstler ihnen den Spiegel der Fremdwahrnehmung vorhalten, mehr über sich selbst lernen.
Literatur ist das, was man heute die „Kernkompetenz“ von Narbutovic nennen würde. Nach dem Studium der Slawistik und Politologie ging die 1967 geborene Kulturvermittlerin als Programmmacherin 1994 zum Literarischen Colloquium (LCB). Nach fünfeinhalb Jahren am Wannsee arbeitete sie dann wieder als freie Kritikerin, Lektorin und Übersetzerin.
Im Fokus stand für die Literaturbegeisterte immer Mittel- und Osteuropa. Nicht nur weil die gebürtige Berlinerin inzwischen mit einem Weißrussen verheiratet war, sondern weil sie das Terrain jenseits des Eisernen Vorhangs schon immer als das „vergessene Brückenstück“ des Alten Kontinents verstand. Deshalb schrieb sie über Autoren wie Wassili Grossman, über das Leben der Roma oder übersetzte den weißrussischen Autor Valzhyna Mort.
Als sie neun Jahre später zum DAAD wechselte, fiel ihr der Abschied von der Literatur nicht schwer. „Um kulturellen Austausch ging es mir ja immer“, beschreibt Narbutovic den Wandel von der Literaturmanagerin zur Leiterin eines Programms, das auch Musik, bildende Kunst und Film umfasste. „Literatur muss ja auch über die Sprachgrenze gehoben werden.“ Am DAAD schätzt sie, dass man sich auf eine ganz andere Tiefe einlassen muss. Schließlich bleiben die Stipendiaten ein ganzes Jahr hier und nicht nur für eine abendliche Lesung.
Dass sie beim DAAD die Nachfolge legendärer Figuren wie Joachim Sartorius antrat, focht Narbutovic nicht an. Die schmale Frau mit den dunkelblonden Haaren ist ein Glücksfall im bundesdeutschen Kulturbetrieb: Sie ist extrem uneitel und extrem belesen, extrem effizient und extreme innovativ. Sie kennt sich in organisatorischen Spitzfindigkeiten genauso aus wie in intellektuellen Diskursen. Ihrem Gegenüber schenkt sie größtmögliche Aufmerksamkeit – ohne sich je anzubiedern oder aufzutrumpfen.
Das hat mit einer ihrer wichtigsten Eigenschaften zu tun: Narbutovic wertschätzt die Arbeit ihrer Gäste. „Wie jeder Künstler darum ringt, etwas ganz Eigenes in die Welt zu bringen, das imponiert mir schon von vornherein“, sagt sie leise. Um diesem Potenzial mehr Resonanz zu verschaffen, hat sie als erste Neuerung Begegnungen der Stipendiaten mit Künstlern und Intellektuellen aus der Stadt organisiert.
„Zu Gast bei“ heißt dann ein Abendessen, mit dem beispielsweise die marokkanische Filmemacherin Bouchra Khalil in ihre Wohnung in Charlottenburg einlädt. Mit leisem Unbehagen registriert Narbutovic bei solchen und anderen Treffen immer wieder ein bezeichnendes Gefälle: dass sich die Deutschen zwar sehr gut mit ihrem eigenen Land, ihrer eigenen Kultur auskennen, dass die ausländischen Gäste aber fast immer in zwei Kulturen zu Hause sind. Mindestens.
Nicht zuletzt deshalb setzt Narbutovic so auf den „Dialog mit der Welt“. Der funktioniert heute anders als zu Zeiten des Kalten Krieges. Damals firmierte der 1963 gegründete DAAD noch als „Nabelschnur zur freien Welt“. Wo könnte man jetzt mehr über die neue Welt nach dem Mauerfall lernen als durch das DAAD-Künstlerprogramm mit seinen polyglotten Gästen?
Wer 2008 dem iranischen Autor Amir Hassan Cheheltan und dem Lyriker Qassim Haddad aus Bahrain beim Gespräch über die Umbrüche im arabisch-asiatischen Raum zuhörte, wurde plötzlich Zeuge eines kulturellen Weltbürgertums jenseits des nationalen Bauchnabels. Und als Cheheltan von einem anschließenden Stipendium in der Villa Aurora im kalifornischen Los Angeles zurückkehrte und befand, dass es „den Westen“ gar nicht gebe, komplettieren sich die Lernerfahrung und der Perspektivwechsel, die Narbutovic so gern anstößt. „Mich berührt es immer besonders, wenn in beide Richtungen etwas passiert“, freut sich die Direktorin.
Natürlich ist das Berliner Programm in erster Linie ein Zentrum der zeitgenössischen Kreativität, das seinesgleichen sucht. Aber die „kulturelle Gesprächsfähigkeit“ in einer umbrechenden Welt, die der mutmaßliche neue Bundesaußenminister Steinmeier schon vor Jahren anmahnte, im DAAD wird auch sie erprobt. Und wer Narbutovic‘ „Politik der Vielstimmigkeit“ schon live erlebt hat, dem kann kein Alcatraz der Welt mehr etwas anhaben. Zum Glück ist ihr Vertrag gerade um fünf Jahre verlängert worden.
Ingo Arend, taz 5.12.2013
Bild: Screenshot website daad-magazin.de
INFORMATION
50 Jahre Berliner Künstlerprogramm des DAAD.
Der Deutsche Akademische Austausch-Dienst, der sich hinter den vier Buchstaben verbirgt, wurde 1963 gegründet als Vereinigung der Hochschulen und Studentenschaften in der BRD, Förderer von Studierenden, Graduierten, Wissenschaftlern aus In- und Ausland.
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