Die Neue Sächsische Galerie in Chemnitz zeigt zum ersten Mal die riesige Kunstsammlung der legendären Wismut, dem DDR-Uranbergwerk
Ein muskulöser Arbeiter mit Bergmannshelm auf dem Kopf. Zwischen seinen ausgestreckten Armen präsentiert er das orange glühende Modell eines Atoms. Hinter ihm stehen ein Kosmonaut und eine Frau mit roter Fahne. Wer heute noch einmal daran erinnert werden will, wie inbrünstig man einst an die nukleare Zukunft glaubte, sollte unbedingt ins thüringische Löbichau fahren. Zwölf Meter breit, sechzehn Meter hoch und zweieinhalb Tonnen schwer steht Werner Petzolds Gemälde „Friedliche Nutzung der Atomenergie“ aus dem Jahr 1972 dort heute auf freiem Feld – Deutschlands größtes frei stehendes Gemälde. Überall wurde hier in der DDR jahrzehntelang Uranerz geschürft.
Das Bild mit den unverkennbaren Anleihen beim Turmbau zu Babel war zu sozialistischen Zeiten in einem Bergwerk in Paitzdorf montiert, einem Standort der legendären Wismut. Das 1947 von den Sowjets gegründete Unternehmen hatte es auch in Auftrag gegeben. Dass dieser geheimnisumwitterte Komplex nicht nur industrie- sondern auch ein kulturpolitisches Kommandounternehmen von gigantischen Ausmaßen war, zeigt jetzt eine spannende Ausstellung der Neuen Sächsischen Galerie in Chemnitz. In Chemnitz hat die Wismut noch heute ihren Sitz.
Die Wismut war die deutsche Rohstoffbasis für die sowjetische Atomindustrie. Konrad Wolf widmete diesem Mythos aus den Gründerjahren der DDR 1958 seinen prompt verbotenen Film „Die Sonnensucher“. Und Werner Bräunig beschrieb das raue Leben unter Tage in seinem mitreißenden Epos „Rummelplatz“. In den sechziger Jahre begonnen, dann ebenfalls verboten, konnte der Aufbau-Verlag das Werk erst 2007, 37 Jahre nach seinem Tod 1976, herausbringen. Aber die Wismut sammelte auch Kunst.
Sagenhafte 4158 Werke, mehr als jedes andere Kombinat in der DDR, zählte die Sammlung 1990, als die Wismut stillgelegt wurde. Rund eine Million Mark gab das Unternehmen jedes Jahr für Kulturarbeit aus. Es organisierte Kunstausstellungen, Volkskunstolympiaden, Laienzirkel, Pleinairs und vergab einen eigenen Kunstpreis. Irgendwie mussten die Arbeitsemigranten, die nach dem Krieg zum Bergbau in den Wilden Westen der DDR geströmt waren, ja zu einer Art Bevölkerung werden.
Diese Arbeit der Zivilisierung, die die Wismut eben auch leistete, zeigt ein Bild Heinrich Witz’ aus dem Jahr 1961. Da strömt eine Menschengruppe nachts in ein hell erleuchtetes Zelt. Neben dem „Arbeitertheater“, das auf dem Bild zu sehen ist, unterhielt die Wismut sogar eine „Arbeiteroper“. „Schicht im Schacht“, so der Titel der 120 Bilder starken Schau, ist also auch ein erstrangiges Dokument der DDR-Industrie- und Kulturgeschichte.
Als objektive Zeugen sozialistischer Arbeitsrealität sind die Werke mit Vorsicht zu genießen. Die Auftragskunst folgte ideologischen Vorgaben. Und brachte keine Künstler wie Wolfgang Mattheuer oder Bernhard Heisig hervor, sondern moderate Apologeten des Parteikurses wie Werner Petzold oder eben Heinrich Witz. Ihren Ingenieurskollektiven und rußverschmierten Kumpeln sieht man die Propagandaidee an. Wenn überhaupt, gerät der Ökozid, der hier stattfand, erst spat in’s ästhetische Visier: 1985 malt Hans-Peter Müller seine „Landschaft bei Ronneburg“, einen abgenagten Tagebau in fahlem Purpur und Giftgrün.
Trotzdem lassen sich an dieser Sammlung die Wechselbäder der DDR-Kulturpolitik ablesen. Schon Werner Petzolds Riesengemälde von 1972 fungierte als Signal für die Abkehr von der militärischen Nutzung der Kernenergie. Und wenn Martin Lindner, der engagierte Chef der Neuen Sächsischen Galerie, neben Hans Hattops steifes Kolossalgemälde „Uran“ von 1971 die subtilen Drucke von Michael Morgner gehängt hat, dann, um die ideologischen Brüche zu demonstrieren, die sich selbst durch diesen Hochsicherheitstrakt zogen. Die reiche Wismut kaufte nämlich auch im staatlichen DDR-Kunsthandel oder legte zu Thälmann-Geburtstagen oder SED-Jubiläen aufwändige, grafische Mappenwerke auf. In denen auch Werke unbotmäßiger Künstler wie Morgner, Rolf Münzner oder Bärbel Bohley landeten.
Dass dem Phänomen „DDR-Kunst“ mit Schwarz-Weiß-Stereotypen nicht beizukommen ist, belegt auch ein zentrales Motiv der Wismut-Kunst – das Arbeiterbild. Zwischen Heinrich Witz’ legendärem Auftragswerk „Der neue Anfang“ aus dem Jahr 1954 und Frank Ruddigkeits „Arbeitstag eines Bergmanns“ von 1989 liegen Welten. Witz’ Arbeit, das den Handschlag zweier verfeindeter Wismut-Brigadiers zeigt, war das erste Werk der Sammlung und avancierte zu einer Ikone des Sozrealismus. Auf Ruddigkeits Triptychon, wenige Tage nach dem Mauerfall als letztes Auftragswerk abgeliefert, lösen sich die Körper der Werktätigen zu gesichtlosen Fließfiguren auf.
Heute rekultiviert die staatseigene Wismut das Gebiet, das der Uranerzbergbau einst verheerte. In ein paar Jahren wird sie Geschichte sein. Um so wichtiger wäre es, diese einzigartige Sammlung dann nicht in alle Winde oder in’s Bundesarchiv zu zerstreuen. Heute hat jeder schwäbische Schraubenfabrikant sein Kunstmuseum. Warum nicht auch die Wismut? In einem eigenen Haus könnte das geschichtsmächtige Konvolut weiter erforscht werden. Gerade wegen der anhaltenden Kontroversen über die DDR- „Auftragskunst“. Und sei es auch nur als Mahnung vor einem neuen Turmbau zu Babel.
Ingo Arend
Schicht im Schacht. Die Kunstsammlung der Wismut. Eine Bestandsaufnahme.
Neue Sächsische Galerie, Chemnitz, noch bis zum 12. Januar 2014
Katalog, 19,90 Euro
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