In Berlin versuchte das Transeuropafestival, ein “Europa von unten” aus der Taufe zu heben.
Europa muss geschaffen werden. Wer sich bei einem leidigen Thema ironisch aus der Patsche helfen will, flüchtet sich gern in Konrad Adenauers launigen Slogan. Eine konkrete Vision offenbart der zwar auch nicht. Immerhin transportiert er die Emphase, mit der selbst konservative Politiker einmal für Europa fochten.
Wie schwierig es ist, diese Emphase wieder neu zu beleben, zeigte am Wochenende das Transeuropafestival 2013. Zwar waren sich die knapp 200 Teilnehmer zum Auftakt vergangenen Freitag im Allianz-Kulturforum am Pariser Platz einig: Dem postdemokratischen “Europa der Troikas und Expertenkommissionen”, das der Eröffnungsredner, der Wiener Linkspublizist Robert Misik, anprangerte, muss endlich eine echte europäische Zivilgesellschaft entgegengestellt werden. Die Frage ist nur: Wie bildet man sie?
Wirklich überzeugend gelungen ist das auch der “European Alternatives”-Bewegung bislang nicht, die das Festival veranstaltet. Aber der grüne Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit und der Münchner Soziologe Ulrich Beck haben sie ja auch erst vor einem Jahr initiiert. Aus Frust über die europäische Finanz- und Griechenlandpolitik hatten sie das Manifest “Wir sind Europa!” veröffentlicht.
Der von viel Prominenz gezeichnete Aufruf forderte, Europa “from the bottom up” zu errichten. Und ein “Freiwilliges Europäischen Jahres für alle” gefordert. Das “radical citizenship”, das die transnationale Manifest-Bewegung auf der Tagung in Berlin propagierte, um diese Europarenaissance zu befeuern, blieb allerdings so klangvoll wie unklar.
Zu Zeiten, wo Europa immer mehr einer Verschwörung von oben gleicht, liegt es nahe, nach “neuen Formen politischer Kollektivität und Zusammenarbeit” zu fragen. Und es ist verführerisch, sich dabei auf die Kunst zu stürzen. Erdem Gündüz’ “Standing Man”-Performance auf dem Istanbuler Taksim etwa gibt das Paradebeispiel für eine neue politische Ikonographie ab. Ob man damit allerdings die Politiker zum Teufel jagen kann, die just am Tag des Transeuropafestivals mal wieder einen Brüsseler Gipfel ergebnislos beendeten, wäre noch zu beweisen.
Der türkische Choreograph, der auch nach Berlin gekommen war, sah die Idee von Kunst als Ersatzpolitik eher zurückhaltend. “Ich habe es als Bürger getan” erklärte er auf der reichlich verworrenen Podiumsdiskussion am Freitagabend. Anders die kubanische Künstlerin Tania Bruguera: “Ich bin für eine Kunst, die Probleme löst und das bloß Symbolische hinter sich lässt”, begeisterte sie sich. Und artikulierte damit ein Missverständnis, das schon die Berlin-Biennale 2012 so schwer genießbar gemacht hatte.
Fraglich auch, ob die Performance “Air Time” der Künstlergruppe LIGNA zum Transeuropa-Auftakt einen Königsweg zur widerständigen Zivilgesellschaft weist. Zwar machten die Teilnehmer die schöne Erfahrung, wie man mit ein paar koordinierten Bewegungen einen öffentlichen Raum kreieren kann. Zu Anweisungen vom Ipod bewegten sie sich als “Radioballett” über den Pariser Platz. Und als sie sich vor dem Brandenburger Tor auf den Boden legten und mit geschlossenen Augen vorstellten, dass in zwölf europäischen Städten genau das Gleiche passierte, konnten sie sich für einen Moment einer überwältigenden Machtfantasie hingeben: Wenn jetzt alle aufstehen, bewegt sich was in Europa!
In der Regel tun das die Menschen aber nur, wenn sie ein konkretes Ziel vor Augen haben. Den Mindestlohn etwa, gleichen Zugang zur Bildung für alle, die Regulierung des Bankensektors – eben die Forderungen, mit denen Robert Misik sein Plädoyer für den europäischen “Possibilismus” abschloss. Echte politische Bewegung ist dann doch noch etwas anderes als der Performance-Workshop einer Retorteninitiative. Solange sich die sozialen und ökonomischen Krisen nicht weiter zuspitzen, bleibt den Europäern von unten also die Frage erhalten, warum auf dem alten Kontinent nicht mehr für die Freiheit kämpfen, wenn die Regierungen es nicht mehr tun.
Ingo Arend
Bild: Transeuropa Festival 2013 – Logo (Quelle: http://transeuropafestival.eu)
- Zwischen Schmerz und Begehren: Semiha Berksoy, der Kunst- und Operndiva und ersten „Staatskünstlerin“ in der Türkei, die 2004 mit 94 Jahren verstarb, gilt eine Retrospektive im Hamburger Bahnhof in Berlin - 18. Dezember 2024
- Alltag mit Corona: Berlin - 23. Dezember 2020
- Streit um neuen documenta – Aufsichtsrat in Kassel - 12. Dezember 2020
Schreibe einen Kommentar