Im Zweifrontenkrieg zwischen Staatsmacht und Bewegung zieht sich die
13. Istanbul-Biennale auf klassische Konzepte zurück.
Der Aufruf verbreitete sich in wenigen Minuten. In Hatay war der 22-jährige Student Ahmet Atakan durch eine Gaskartusche der Polizei gestorben. Und Istanbuls Protestbewegung rief zum Protest. Doch wer sich vergangenen Montag durch Beyoglus anschwellende Menschenmassen durchgekämpft hatte, stand am Taksim-Platz vor einem undurchdringlichen Wall der dunkelblauesten Staatssicherheit: Junge Polizisten in maßgeschneiderten Plastikpanzern, verschanzten sich mit Helmen und Schußgeräten hinter Plastikschilden.
Jeden Abend wiederholte sich der Aufmarsch. Jeden Abend das gleiche Gefühl zwischen Euphorie, Panik und Tränengas. Nichts konnte die Schizophrenie des Istanbuler Kunstherbstes 2013 besser zum Ausdruck bringen als dieses Ritual. Die Polizei kontrollierte den öffentlichen Raum. Während die Instanz, die ausgezogen war, dieses Forum zurück zu erobern, sich in den geschlossenen Raum zurückgezogen hatte.
Kapituliert die Kunst vor diesen Verhältnissen, wenn sie in einer stillgelegten Istanbuler Grundschule Menschen in einer Utopie-Werkstatt werkeln lässt? Wenn sie sieben junge Männer in einem dämmrigen Schulraum “Istanbul-Diaries” schreiben lässt? Oder im abgedunkelten Saal ein Video der Künstlerin Cynthia Marcelle zeigt, in dem Protestanten den Straßenverkehr mit einer Fackelperformance zum Erliegen bringen? Müsste sie nicht auf der Straße Flagge zeigen?
Fulya Erdemci, die Kuratorin der 13. Istanbul-Biennale, war nicht zu beneiden. Die Gezi-Bewegung hatte ihr über Nacht das Thema vom “öffentlichen Raum als politischem Forum” weggenommen. Und hatte mit ihrer atemberaubenden Ästhetik die Kunst in den Schatten gestellt.
KURATORIN IM ZWEIFRONTENKRIEG
Erdemci ist eine erfahrene Kuratorin. Die 1962 geborene Frau ist eine Schülerin von René Block, die mit dem legendären Kurator schon bei dessen Istanbul-Biennale 1995 zusammengearbeitet hatte. 1994-2000 war sie sogar Direktorin der Istanbul-Biennale gewesen. Danach hatte sie lange bei derAmsterdamer Kunstorganisation SKOR, einer Stiftung für Kunst und öffentlichen Raum, gearbeitet. Monatelang musste diese Frau einen Zweifrontenkrieg führen.
Gegen die Aktivisten, die der Biennale vorwarfen, am Tropf der Sponsoren zu hängen. Und selbst Motor des Stadtumbaus zu sein. Und sie kämpfte gegen die Behörden: Weil die ihr nicht erlaubten, an den umkämpften, brisanten Stadtzonen auszustellen, schrumpfte Erdemci kurz vor dem Beginn der Schau ihre Biennale schießlich zum Indoor-Kammerspiel.
Alle öffentlichen Schauplätze an den Standorten Gezi Park, Taksim-Platz, in den abrissbedrohten Stadtteil um den Tarlabaşı Boulevard, Karaköy, dem schon im letzten Jahr über Nacht abgerissenen Roma-Stadtbezirk Sulukule, alle bereits begonnenen Installationen und Programme dort wurden abgesagt.
Erdemci sprach davon,dass ihre Biennale einen “radical shift” erlebt habe. Und erklärte mit Blick auf die öffentlichen Plätze: “Jedenfalls waren wir überzeugt, dass es ein bedeutungsvolleres Statement ist, diese Plätze nicht zu realisieren, als sie unter solchen Bedingungen durchzuführen”. Doch trotz der Frewilligkeit der Absage, die mit dieser Erklärung demonstriert werden sollte, muss man davon ausgehen, dass das ursprüngliche Konzept auf den beharrlichen Widerstand der Behörden getroffen war. Und nicht gegen sie hätte durchgeführt werden können.
In dem paradigmatischen Wettbewerb zwischen Kunst und Leben, der seit dem Sommer in Istanbul tobt, hat die Kunst damit auf den ersten Blick verloren. Denn sieht man einmal von Halil Altinderes kraftvollem Video “Wonderland” ab, in dem drei jugendliche Roma-Rapper in Sulukule einen Polizisten und das Plakat der allseits verhassten, staatlichen Stadtentwicklungsgesellschaft TOKI in Flammen aufgehen lassen.
OHNE ZENTRALE THESE
Kein einziges Bild der Biennale brennt sich so ins Bewusstsein wie es die Ikonen vom Gezi-Park bei den monatelangen Protestkämpfen getan haben: Der “Standing Man”, der tanzende Derwisch oder das Iftar-Dinner auf der Istiklal-Straße. Und es fehlt Erdemcis Biennale auch die eine, zentrale These, mit der sie sich in die Geschichte der Biennalen und das Gedächtnis der Kuratoren und Besucher eingeschrieben hätte. Nach dem Motto: Widerstand ist möglich. Erdogan, tritt zurück! Oder: Taksim ist überall!
Der riesige Kran, den Ayse Erkmen vor das zentrale Ausstellungsgelände Antrepo 3 im Istanbuler Hafen gestellt hat, gibt dieses Bild bestimmt nicht her. Auch wenn er vielleicht so gedacht gewesen sein mag. Das vordergründige Werk zeigt nur, wie hilflos die Kunst auf den Ausbruch von Kreativität außerhalb des White Cube zu antworten versucht.
Die deutsch-türkische Künstlerin, sonst eine Meisterin der raffinierten Maßverhältnisse, benutzt diesmal den ganz dicken Zeigefinger, um den geplanten Abriß der alten Lagerhalle zugunsten eines Fünf-Sterne-Hotels anzuprangern. Unaufhörlich schwingt ein riesiger grüner Ball von der Kranspitze gegen das ockerrote Gemäuer.
Das in Istanbul in den vergangenen Tagen häufig gehörte Argument, die Kunst könne jetzt nicht einfach so weitermachen, liegt auf der Hand. Insofern hätte man sich vielleicht gewünscht, dass Erdemci auch vom Display her ein Signal gesetzt hätte. Anstatt die ausgefallenen öffentlichen Räume durch fünf klassische Ausstellungsräume und eine klassische Gruppenschau zu ersetzen.
Andererseits ist das Argument der Kuratorin nicht ganz von der Hand zu weisen, sie wolle nicht von denselben Autoritäten in Istanbul und Ankara um die Erlaubnis bitten, öffentliche Plätze zu benutzen, die sich die künstlerische Freiheit während des Sommers mit Füßen getreten hätten. Auch mit dieser Begründung hatte Erdemci kurz vor der Biennale die Absage der “public venues” begründet.
Doch wenn sie ihr eigentliches Vorhaben verwirklicht hätte, eine reine Schau auf den öffentlichen Plätzen zu machen, hätte sie sich mit Sicherheit der Vorwurf gegenüber gesehen, die Kunst versuche, das Leben in Gestalt der Kämpfe zu kopieren.
Und dass die Schau nicht zum stadtweiten Fanal gegen die Repression in der Türkei im Allgemeinen oder die verfehlte Stadtentwicklungspolitik in der Megalopolis Istanbul im Speziellen geworden ist, kann nur den verdrießen, für den die Kunst eine andere Form des politischen Widerstands ist.
DREI MARKTPLÄTZE
Erdemci nimmt damit also in Kauf, dass ihre Biennale formal und inhaltlich einigermaßen blass aussieht. So wie sie unbeirrt auf die eigentliche Stärke der Kunst setzt: die Reflexion, das unaufhörliche Differenzieren, die vielen anderen Bilder. Leider ist die Schau auch etwas spannungslos gehängt. Die drei Blöcke in der zentralen Antrepo-Halle werden kaum auf Anhieb als die Marktplätze verständlich, zu denen sie Erdemci erklärt hatte.
Weil der Eintritt zu ihrer Biennale aber zum ersten Mal in der Geschichte der Istanbul-Biennale frei ist, ist sie dann doch wieder zu einem öffentlichen Forum geworden. Und überhaupt: Kunst wirkt, indem sie einen Raum des Denkens und der Fantasie öffnet. Es kommt nicht immer darauf an, wo sie steht.
Hito Steyerls “Is the Museum a battlefield” oder Santiago Serras “Conceptual Monument” erregen schießlich nicht weniger Aufmerksamkeit, weil die Arbeiten im geschlossenen Raum gezeigt werden. Die Berliner Künstlerin verfolgt in ihrem Video einer Sprachperformance die Spur einer Patrone von einem Schlachtfeld im Südosten der Türkei bis zu ihrem Hersteller, der mit der türkischen Koc-Holding, dem Sponsor der Biennale, zusammen hängt.
Und der spanische Konzeptkünstler hat die faszinierende Idee eines Platzes ausgebrütet, das zum extraterritorialen Gebiet erklärt wird. Auf ihm verzichtet die Regierung auf jede Ausübung von Hoheitsrechten. Nirgendwo würde der Vorschlag, den Serra ursprünglich für ein Gedenkprojket für die Stadt Leipzig entwickelte, brisantere Wirkung entfalten als an Istanbuls Taksim.
Wie man brisante Themen poetisch bearbeiten kann, ohne sie zu verharmlosen, zeigt Erkmens Landsmann Murat Akagündüz. So sanft wie sich in seinem Film “Strom” von 2013 das Mondlicht auf den dunklen Wellen von fünf Stauseen des Euphrat spiegelt, macht das den blinden Raubbau an der Natur, der die türkische Wirtschaftspolitik überall im Lande befeuert, deutlicher als jeder Öko-Alarmismus.
Auch sonst konnten die Besucher unter den Werken der 88 Künstler viele Entdeckungen machen, die ihre eigene Situation spiegelten, ohne sie zu verdoppeln. In Fotoserien und historischen Plakaten können sie frühe Beispiele von Stadt-Kämpfen studieren: Von Paris über Amsterdam bis zur US-Kleinstadt Braddock.
In Jirí Kovanda begegneten sie einem Vorläufer des als “Standing Man” bekannt gewordenen Erdem Gündüz, der auf dem Taksim Kunstgeschichte schrieb. Der tschechische Konzeptkunst-Pionier hatte eine ähnliche Aktion 1976 vor dem Prager Nationalmuseum mit der Kamera dokumentiert.
DER BRUCH DURCH ALLES UND JEDEN
Und die beiden argentinischen Künstler Martin Cordiano und Tomás Espina hatten ein starkes Bild dafür gefunden, in welchem Zustand sich Individuum und Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts befinden. In ihrer Installation “Domain” haben sie einen Raum in einer privaten Wohung nachgebildet, in dem nichts, was sich darin befindet, nicht einen Bruch enthielte oder geflickt wäre: Ob es nun die Brille auf dem Tisch, der Kühlschrank in der Küche oder das Bild an der Wand ist. Der Riss geht durch den Einzelnen, durch das System, er geht einfach durch jeden und alles hindurch.
“Mom, am I barbarian” hieß das Motto der Biennale, das Erdemci einem Buchtitel der avantgardistischen Poetin Lale Müldür entlehnt hatte. Und Anspielungen auf die treibende Rolle der Außenseiter und Marginalisierten, die damit gemeint war, gab es zu Hauf.
Ob es Annika Erikssons Film über die Straßenhunde von Istanbul war: “I am the dog that was always here” produzierte sie, als sie 2010 Artist-in-Residence in Istanbul war. Die streunenden Vierbeiner wurden darin zu einer Metapher für die Peripherie und ihre Bewohner. In dem Film “The incidential insurgents” des palästinensischen Künstlerpaares Basel Abbas und Ruanne Abou-Rahme irren zwei junge Männer wie hungrige junge Wölfe durch eine menschenleere Wüstenlandschaft. Ihre Suche kommt niemals zu einer Erfüllung. Immer wieder stehen sie vor der selben verschlossenen Tür.
Nur Antworten auf die Suche nach einer “neuen Sprache für eine neue Welt”, die Erdemci mit der poetischen Referenz evozieren wollte, bleibt die Biennale schuldig. Agnieszka Polskas Pop-Film “Aurora” über die Geschichte einer polnischen Kommune in Indien verströmt nur melancholische Apathie.
“Die Hippies gibt es nicht mehr”, wird der Protagonist am Ende seiner Reise belehrt. Und die regenbogenfarbene Substanz “Aurorit”, die er dort schließlich findet, spiegelt die zwiespältige Sehnsucht nach dem psychedelischen Wundermittel, das die Menschen in Katalysatoren des Wandels verwandelt.
Vorerst gleicht die Lage, nicht nur in der Türkei, eher der Szenerie auf Zbigniew Liberdas Fotografie “First Day of Freedom” von 2012. Da sitzen die Überlebenden eines Befreiungskampfes mit zerfetzten Kleidern in dem Müll der untergehenden Gesellschaftsordnung.
Hinter einer ausgebombten Hausruine explodieren zwei gleißende Feuerwerkskaskaden in den pechschwarzen Himmel. Spätestens vor diesem Bild fühlte man sich in der Indoor-Biennale an die Abende zwischen brennenden Barrikaden vor dem Taksim erinnert – nur wenige Schritte entfernt.
Mom, am I barbarian.
13. Istanbul-Biennale
Istanbul. Antrepo no. 3, Galata Greek Primary School, Arter, Salt Beyoglu, 5533.
Noch bis zum 13.10.2013
Katalog, Verlag Yapi Kredi Bank/IKSV, 5 Türkische Lira
Ingo Arend
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