Der Kampf um die Narrative
Umbruch und Kino. Auf der Berlinale diskutierten ägyptische Filmschaffende über die Rolle des Kinos in einem historischen Umbruch
Der Kampf um den Tahrir Square. Wenn ein Bild die Chance hätte zu einer Ikone wie das Bild der stürzenden Berliner Mauer zu werden, dann das der Menschenmassen auf dem Kairoer Platz. Mehr noch als das Foto des tunesischen Gemüsehändlers, der mit seiner Selbstverbrennung 2011 die Arabische Rebellion auslöste, ist dieses Bild zu ihrem Symbol geworden – eine Region ist in Bewegung.
Tamer El-Said ärgert das. Für den ägyptischen Filmemacher, 1972 in Kairo geboren, verkürzt das Tahrir-Bild den Blick auf die Realität seines Landes. „Die Revolution geht tiefer“, klagte der Regisseur von gut zehn, teils international ausgezeichneten Streifen, am Samstag im Berliner Kunstgewerbemuseum. Schräg gegenüber des Potsdamer Platzes, diskutierte eine Handvoll Cineasten in einem tristen Kellersaal über „Cairo: The City and it’s cinema in Transformation“. Was ja auch etwas darüber aussaugt, wie ernst die Berlinale ihren oft und gern vor sich her getragenen Anspruch nimmt, ein „politisches“ Festival zu sein.
Revolution in 90 Minuten
Beziehungsweise über die ihr nachgerühmte Fähigkeit, sich mehr als andere Festivals den unschönen Realitäten auf dem Globus zu widmen.
Das starke Bild des Umbruchs, das da um den Globus zirkuliert, hängt oft genug wie ein Mühlstein um den Hals unabhängiger Filmemacher vor Ort. „Alle wollen den Film Die Ägyptische Revolution in 90 Minuten“, resümiert El-Said seine frustrierenden Erfahrungen mit westlichen Partnern. Der Filmemacher hält das für ein „fake narrative“. Statt solche Projektionen von außen zu bedienen, will er lieber in seiner Heimat für freie Bilderwelten sorgen.
Und er ärgert sich darüber, dass diese Interessenten ihn ständig großspurig auffordern, seine „Vision der Revolution“ mit der Welt zu teilen. Trotzdem aber gerne auf den Flughäfen der Welt arabisch aussehende Personen als „Terroristen“ einstufen. Etwas, das ihm selbst widerfahren ist, wie er erzählt. „Dieser Widerspruch“, sagt er bitter, „ist nicht auflösbar“. Seitdem beäugt er das das westliche Interesse an Ägypten skeptisch. Im Übrigen hält er nichts von einem verkürzten Verständnis von politischer Kunst: „Ich glaube, es ist revolutionärer den Alltag der Menschen in seiner ganzen Widersprüchlichkeit und mit seinen Konflikten zu zeigen, als ständig Filme über die Revolution zu machen.“
Medien-Aktivismus und Cimatheque
Wie schwer der Kampf für das freie Bild und die Freiheit der Kunst in seiner Heimat ist, hat El-Said selbst erfahren. Vor zwei Jahren hat er direkt am Tahrir „Mosireen“, ein Zentrum für Medien-Aktivismus aus der Taufe gehoben. Jetzt baut er „Cimatheque“, die erste unabhängige Plattform für Independent-Filme in einem Altbau in der Kairoer Altstadt auf. 400 Quadratmeter stehen dort zur Verfügung. „Das muss man sich einmal vorstellen. Eine 25-Millionen Stadt“, sagt er entgeistert, „und nirgend gibt es einen Platz, wo man etwas anderes sehen kann als schlechte amerikanische und ägyptische Mainstream-Filme“. El-Saif fordert mehr Unterstützung für die unabhängige Kultur von seinem Staat. Wer ihm zuhört, glaubt aber, dass er sie in den Händen Zivilgesellschaft besser aufgehoben sieht.
El-Said ist nicht der einzige Independent, der sich in einem mühsamen Zweifrontenkrieg aufreibt. Auf der einen Seite steht der Staat. Die Regisseurin Hala Galal erzählt, wie sie sich aus dem Kino zurückzog, das ihr die Regierung kurz vor dem Umsturz zur Verfügung gestellt hatte, bis sie später doch wieder zu zensieren begann und „gefährliche Filme“ entfernte. Sie hat die leidvolle Erfahrung gemacht, dass unabhängige Filmemacher, die auf „Independent“ setzen, schnell als „Spione“ und Verräter angesehen werden. Das hat sie nicht zum Aufgeben bewogen. Jetzt ermutigt Galal mit ihrer Plattform „Semat“ junge Filmemacher dazu, sich „ihre eigenen Bilder, Rhythmen und Gedanken“ zu machen – gegen das Big Filmbusiness, den zweiten Gegner. Genau darum geht es auch der Regisseurin Hala Lotfy mit ihren nichtkommerziellen „Hassala Productions“. Hala Galal symbolisiert auch einen aufschlussreichen Rollenwechsel, wenn sie von sich selbst sagt: „Ich bevorzuge jetzt, eine marginalisierte Person zu sein, die marginalisierte Kunst für marginalisierte Menschen macht“.
Noch sind Initiativen wie diese klein. Und alle, die sie unterstützen oder betreiben, können davon nicht leben. Die Weichen für die nächste Etappe der Ägyptischen Revolution sind mit ihnen aber ganz offenbar gestellt. Mögen die Kämpfe auf dem Tahrir in Mohammed Mursis Ausnahmezustand-Ägypten auch wieder aufflackern. Jetzt, so hallen auf dem Weg zurück ins Cinemaxx Tamer El-Saids Worte nach, beginnt dort also „der Kampf um die Narrative“.
Ingo Arend, taz 11.02.2013
Bild: El Cafeteria | Forum Expanded | EGY 1975 | Regie: Paul Geday (Quelle: Screening, Kunstgewerbemuseum Berlin, am 09.02.2013)
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