Sigmund Freud und Superman
Der US-amerikanische Künstler Mike Kelley ist tot. In seinem vielseitigen, verstörenden Werk geht es um den Punkt, an dem das Populäre ins Unheimliche umschlägt.
Wer vor ein paar Jahren Jahren die Ausstellungsräume der Berliner Galerie Jablonka betrat, staunte nicht schlecht. „Kandors“ hieß die Installation aus Skulpturen, Leuchtkästen und Videos, die da aufgebaut war.
Wer genau hinsah, konnte erkennen, dass die bunt schimmernden Glasflaschen auf den Podesten Nachbildungen der Stadt Kandor enthielten, jener sagenumwobenen extraterrestrischen Heimat des amerikanischsten aller Superhelden: Superman. Und wie um zu demonstrieren, dass es sich nicht nur um Multimediaspektakel handelt, hatte der Künstler an den Eingang der Galerie eine Liege stellen lassen: Sigmund Freud ließ grüßen.
Amerikanische Massenkultur und die Beziehung zum Unbewussten – mit diesen Stichworten hat man schon zwei wichtige Schlüssel zum Werk des 1954 in Detroit geborenen Mike Kelley. Warum sonst hätte er in einer seiner Schauen einmal ein lebensgroßes Mannequin der Fastfoodkette Kentucky Fried Chicken neben einer etwas kleineren Figur – der von Sigmund Freud – aufstellen sollen?
Der Rekurs auf die Psychoanalyse war kein Zufall. Weil es Kelley immer um den Punkt ging, wo das Populäre, Kitschige ins Unheimliche, Brutale, Perverse umschlug. Dazu dienten auch die bunten Plüschtiere, Puppen und Häkeldecken, die immer wieder in seinem Oeuvre auftauchten.
1987 legte er in der Schau „Half a Man“ zum ersten Mal dieses scheinbar heitere, infantile Universum aus: Sinnbilder einer unausgelebten Emotionalität zwischen Eros, Aggression und Ohnmacht. Mit alltäglichen Dingwelten wie diesen gelang es Kelley immer wieder, die dunkle Seite des amerikanischen Lebens aufscheinen zu lassen. Ins Extrem getrieben hatte er dieses Konzept in seiner legendär gewordenen Ausstellung „The Uncanny – Das Unheimliche“, die 1993 im niederländischen Arnheim zu sehen war. Unter dem Titel von Freuds 1919 erschienenem Essay kombinierte Kelley Monstrositäten aus medizinhistorischen Sammlungen mit scheinbar vertrauten oder banalen Objekten und Personen wie Schaufensterpuppen, Bauchrednerfiguren.
„The Uncanny“ war aber nicht nur unheimlich, sondern stellte auch eine verschlüsselte Replik auf die Ausstellung „Post Human“ dar. Mit ihr hatte Jeffrey Deitch ein Jahr zuvor dem Menschen eine Zukunft jenseits des Körpers prophezeit.
Und immer wieder in die inneren Tiefen
Angstbewältigung, Kindheitserinnerung und Horror gingen in Kelleys Werk immer Hand in Hand. Die Tiefen, die der Konzeptkünstler dabei auszuloten versuchte, konnte man an einer Installation aus dem Jahr 1988 sehen: ein Korridor, links und rechts von Porträts berühmter Philosophen gesäumt. Bis man schließlich vor dem Bild eines Massenmörders als Clown stand. Mit „Pay for Pleasures“ thematisierte Kelley den Zusammenhang von Kriminalität und Kreativität. Das Kunstmuseum von Seattle weigerte sich noch elf Jahre später, das Bild des verurteilten Verbrechers auszustellen.
Die spektakuläre, aber immer analytische Art und Weise, in der Mike Kelley individuelle und kollektive Obsessionen auslotete, macht ihn Künstlern wie Paul McCarthy oder der 2010 verstorbenen Louise Bourgeois vergleichbar. Sein vielseitiges, mitunter extrem verstörendes Werk beeinflusste hierzulande viele jüngere Künstler wie John Bock oder Jonathan Meese.
Makabrer Intellekt
„Friedhof der Kuscheltiere“ nannte eine Kritikerin die Ausstellung 2008, bei der die Münchener Sammlung Goetz 40 der wichtigsten Kelley-Arbeiten zu einer aufsehenerregenden Retrospektive versammelte. Von heute aus gesehen liest sich der Titel so makaber wie ahnungsvoll. Destroy All Monsters – nach dem Titel eines Godzilla-Films – hatte Kelley die Punkband genannt, die er 1973 zusammen mit Freunden gegründet hatte.
Nun erlag der Grenzgänger zwischen Kunst, Musik und Philosophie seinen Dämonen. Am Dienstag hat sich Mike Kelley in seinem Wohnort South Pasadena bei Los Angeles das Leben genommen. Offenbar litt er an Depressionen, ließ seine Galeristin wissen. Er wurde 57 Jahre alt.
Ingo Arend (taz 02.02.2012)
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