Auf der Suche nach dem Imperium
Die 6. Kunstmesse Contemporary Istanbul lieferte interessante Einblicke in die Umbrüche in Nahost
The Empire Project. Das heruntergekommene Eckhaus vis-à-vis von Istanbuls zentralem Taksim-Platz sieht nicht so aus, als ob man von hier auszöge, ein Weltreich zu erobern. Der Fahrstuhl ist zerbeult, die Marmortreppe schiefgetreten. Doch schäbig das Ambiente auch sein mag. Das neu gegründete Kunsthaus im ersten Stock, das diesen ungewöhnlichen Namen gewählt hat, hat sich etwas vorgenommen, das am Bosporus ganz offenbar in der Luft liegt.
Mit dem Versuch, Kunst aus den Ländern zu zeigen, die einst „auf den imperialen Platz, den wir heute Istanbul nennen“ ausgerichtet waren, wirkt die Non-Profit-Institution des progressiven türkischen Kurators Kerimanc Gülerüyüz, dem Inhaber von The Empire Project, plötzlich wie ein ästhetisches Pendant der Ambitionen des konservativen türkischen Premiers Erdogan. Ob er nun im Machtvakuum der Arabellion die Türkei als muslimische Hegemonialmacht etablieren oder sein Land innerhalb von zehn Jahren unter die Top-Ten der Weltökonomien katapultieren will.
Zwar lässt sich die 6. Internationale Kunstmesse Contemporary Istanbul (CI), die am Wochenende im Lütfi Kirdar-Kongresszentrum zu Ende ging, nicht umstandslos als Barometer für die imperiale Macke einer Regierung nehmen. Schließlich wird sie nicht von der Regierung, geschweige denn von der AK-Partei Erdogans finanziert. Doch es war schon mehr als ein Zufall, dass CI-Generalkoordinator Hasan Bülent Karaman zur Eröffnung der „New Art Destination“ Istanbul als „Hauptstadt dreier Imperien“ pries. Und der britische Entrepreneur Stephen Stapleton, Gründer einer Initiative zur Promotion saudi-arabischer Kunst namens „Edge of Arabia“ in der Messe-Zeitung Istanbul zu einem „ideologischen Zentrum“ erhob.
Dazu schien die Expansion der bislang eher unbedeutenden Schau zu passen: Die Ausstellungsfläche war auf 12.000 Quadratmeter verdoppelt worden, 90 Galerien präsentierten rund 3000 Kunstwerke von über 500 Künstlern, es gab kuratierte Sonderschauen und jede Menge cooler Partys. Und mit dem Luxemburger Galeristen Stephane Ackermann wurde erstmals ein künstlerischer Direktor berufen.
Gemessen an den etablierten Altimperien Basel, Paris oder Dubai ist der Newcomer Istanbul trotzdem noch auf dem Weg zur Schwellenmacht. Sieht man von dem diesjährigen Schwerpunkt „Golfstaaten“ und ein paar Galerien aus Teheran ab, suchte man solche aus Ländern des alten osmanischen Einflussgebietes: Aserbeidschan, dem Libanon oder Ägypten etwa, vergebens – den Ländern, die die Messe eigentlich an sich binden will.
Auch die Gegenwartskunst widersetzte sich zum Glück allen Großmachtfantasien. Schlimmstenfalls bringt sie die nationalistisch erzogenen, aber immer neugierigeren türkischen Mittelschichten auf den globalen Geschmack: meist den der Abstraktion atlantischer Prägung. Es erinnert an Gerhard Richter wie Ahmet Oran auf seinen noch nassen Ölbildern die übereinander gelegten Farbschichten wieder freikratzt. (bei Rampa/Istanbul)
Bestenfalls spiegelt sie die rasanten Umbrüche in ihrem Land wieder. Auf seinem jüngsten Werk „Leaving the Citadel“ lässt der 1938 geborene Maler Mehmet Güleryüz einen General der türkischen Armee mit gekrümmten Rücken die jüngst geschleifte Bastion der Kemalisten herabsteigen (bei The Empire Project/Istanbul). Wenn die Kunst ein Imperium formt, dann eines der Vielfalt.
Am tiefsten wurzelt diese Machtskepsis bei Künstlern aus dem Iran. Auf Ahmad Morshedloos mit Kugelschreiber auf Karton gemalten Bilderserie „Estrangement“ aus diesem Jahr steht eine in stummem Schrecken erstarrte Menschenmenge, vor deren Gesichtern die Beine Erhängter baumeln (bei Assar/Teheran). Und in den Umbruchzonen rund um das Mittelmeer oder auf der arabischen Halbinsel schlummert ein radikaler Reflexionswille jenseits jeden Orientkitschs.
Auf dem Bild „Evolution of Man“ des arabischen Bloggers und Malers Ahmet Mater zielt eine skelettartige Figur mit dem Stutzen einer Benzinzapfsäule auf den eigenen Kopf. Mit ihrer Energiepolitik, das zeigt ausgerechnet ein Künstler aus dem Ölimperium Saudi-Arabien, bringt sich die Menschheit irgendwann selbst um (bei Edge of Arabia Projects/London). Und wer empire-building immer noch für ein geostrategisches Sandkastenspiel hält, den belehren die Fotografien von Richard Mosse eines Besseren. Der britische Fotograf hat Guerilleros in dem vom Bürgerkrieg ruinierten Kongo nachgespürt (bei The Empty Quarter/Dubai).
Was von den meisten Imperien am Ende bleibt, ist auf Ceren Oykuts Zeichnungen „Property for sale“ zu sehen. Der „imperiale Platz“ Istanbul ist da nur noch eine von Vegetation überwucherte Ruinenlandschaft (bei ArtSümer/Istanbul). Eine Aussicht, die den Vorschlag des türkischen Politkünstlers Extramücadele nur um so plausibler macht. In seiner neuesten Arbeit hat er aus Blättern der Bougainville ein Symbol geformt, das den muslimischen Halbmond und das christliche Kreuz kombiniert. Sein Werk mit dem Titel „The Horizon of unreturnable night“ wirbt für eine „Aegäische Republik“ (bei Non/Istanbul). Für 7000 Euro machte man mit dieser bunten Alternative zu einem neuen Imperium ein wirklich gutes Geschäft.
Text für getidan: Ingo Arend
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