Zweckfreie Kunst
In der Diskussion mit ihrer politischen Konkurrenz empfiehlt sich die CDU-Politikerin Monika Grütters als Berliner Kultursenatorin. Auf Augenhöhe mit der Szene ist die Fachfrau.
Mutterstadt. Eine Metropole, wie man sie in der Antike verstand, war Berlin nie. Koloniegründungen gleichen Namens sind nicht bekannt. Referenzort war die Stadt an der Spree aber immer. Provinzhauptstadt des Kalten Krieges einst, Kulturmetropole jetzt langsam auch. Die Frage ist nur: Wie bleibt sie es?
Wer sich erinnert, wie Kultur jahrelang „zuletzt“ auf der Tagesordnung des Berliner Senats stand, wie es der parteilose Kultursenator Ulrich Roloff-Momin 1997 in den Erinnerungen an seine Amtszeit erbittert beschrieb, wird befriedigt registrieren, dass das herzlich ungeliebte Stiefkind plötzlich zur „zentralen Ressource städtischer Zukunftsentwicklung“ avanciert ist.
Der Ausdruck findet sich in einem Manifest „Kultur und Stadtentwicklung“, mit dem die Stiftung Zukunft Berlin vergangenen Montag auf einem Hearing im Berliner Radialsystem kurz vor der Abgeordnetenhauswahl die Hauptstadtszene aufrütteln wollte.
Darin beschwören die fast 70 Unterzeichner, die die Mentoren des Thinktanks, der CDU-Politiker Volker Hassemer und der Anwalt Peter Raue zusammengetrommelt haben, das Wunderkraut Kultur mit einer Euphorie, als wären sie die Cheerleader der Hanfparade. Kultur, heißt es da, sei „das Neue, das Innovative“ schlechthin und das „größte Potenzial der Stadt“.
Wer sich den Zustrom an Künstlern, Kreativen und Touristen nach Berlin, den Boom der Kulturorte und -szenen in der Stadt seit 1989 anschaut, wird dem Plädoyer für eine „Kultur der Stadt“ schwer widersprechen können.
Und wenn die Metropole an der Schwelle zum Größenwahn kulturpolitisch weiter so kurzschlüssig agiert wie bei der Vorbereitung der Schau „Based in Berlin“, könnte es ihr schnell passieren, dass „Warschau lächelnd vorbeizieht“, wie Matthias Lilienthal vom Berliner Hotspot Hebbel am Ufer mit Blick auf die schrumpfenden Spielräume der Subkultur ironisch warnte.
Ein Doppelsenat
Trotzdem ist es noch sehr die Frage, ob es Berlins angeblich brach liegenden Standortschatz mehrte, würden die Kultur- und Stadtentwicklungsbehörde in Zukunft zusammengelegt, die Überholspur auf der Avus also mit dem Schnürboden in der Volksbühne fusioniert.
Nichts anderes fordern nämlich die besorgten Promis vom CDU-Altkämpen Uwe Lehmann-Brauns über den Filmemacher Wim Wenders bis zur Tanzikone Sasha Waltz.
Das Papier hat seine Reize. Womöglich könnte so ein Doppelsenator mit einem Federstrich dafür sorgen, dass im Postfuhramt in Mitte statt eines Nobelhotels weiter die Fotogalerie c/o Berlin logiert. Und er könnte dem darbenden Kreativvölkchen womöglich eher bezahlbare Mieten und freie „Räume sichern“ als ein Kultursenator ohne Stadtplanungskompetenz.
Umdenken in der Politik
Dieses Mantra, mit dem Künstler bei der Politik lange auf taube Ohren stießen, intonierten von Kulturstaatssekretär André Schmitz bis zum Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann plötzlich alle Verantwortlichen derart unisono, dass man für einen Moment wieder an die Lernfähigkeit der Politik glauben wollte.
Wie sie das den Immobilienhaien beibringen wollen, denen sie zu Zwecken einkömmlicher Stadtentwicklung das Feld überlassen haben, verrieten sie nicht.
Das Problem mit dem kulturpolitischen Geistesblitz von Hassemer & Co. ist: Er würde nur mit einem Ressortchef zum Erfolg, der beides auch wirklich mit Leidenschaft zusammendenkt. Darauf wies der gebrannte Senator für Wirtschaft und Frauen, Gregor Gysi von der Linken, hin.
Dahinter steckt auch die problematische Idee, Kultur für andere Zwecke als die autonomer ästhetischer Formbildung einzusetzen. Und wer weiß, wo der Höhenflug noch gelandet wäre, hätte nicht seine CDU-Kollegin Monika Grütters vehement vor dem „Geist des Utilitarismus“ des famosen Papiers gewarnt.
Auf Augenhöhe
Natürlich verbirgt sich hinter diesem Credo der Berliner Abgeordneten, die jetzt dem Kulturausschuss des Bundestages vorsitzt, auch das bildungsbürgerliche Konzept einer Kunst nach Immanuel Kants „interesselosem Wohlgefallen“.
Doch während der Grüne Ratzmann für Joint Ventures von Kultur und Ökonomie, für die „Verbindung zur Produktion“ warb, stritt Grütters mit Verve für ein Forschen und Gestalten jenseits urbanistischer Nützlichkeitseffekte, rief nach der Avantgarde, insistierte auf der „Chance zum Experiment“ und dem „Risiko des Scheiterns“, dass es eine Pracht war.
Am liebsten hätte man ihr die Senatskombi aus Kultur und Wissenschaft, die sie stattdessen vorschlug, sofort übertragen. Liberal genug für eine rot-grüne Koalition und auf Augenhöhe mit der Szene wäre die Fachfrau – während bei den Spreekoalitionären in spe charismatische Kulturstrategen fehlen. Aber ungewöhnliche Metropolen verlangen manchmal ungewöhnliche Lösungen.
Ingo Arend
erschienen in taz, 06.09.2011
Bild: @getidan
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