Auf den Plakaten der SPD kommt Klaus Wowereit wie ein Tempelhofer George Clooney daher. Nun regt sich Protest gegen seine Kampagne
„Berlin verstehen“. Hätte die Bundeszentrale für politische Bildung eine Goldene Zitrone für die exemplarischsten Beiträge zur Entpolitisierung zu vergeben, die SPD hätte sich das Sauerobst ehrlich verdient.
Natürlich werden Wahlkämpfe kaum jemals als Musterdiskurs geführt. Doch selten hat eine Partei bei diesem Demokratie-Ritual so auf fraglose Identifikation von Repräsentanten und Repräsentierten gesetzt wie Klaus Wowereit und die Seinen in diesem Spätsommer. SPD und Hauptstadt, das sollten die Plakate mit dem gefühligen Spruch suggerieren, sind ein Herz und eine Seele: kein Streit, nirgends!
Weit her kann es mit dem innigen Einverständnis, das da inszeniert wurde, nicht sein. Sonst wären die Demonstrationen kaum zu erklären, die vergangenes Wochenende diese emotionale Nabelschnur vorsätzlich kappten. Demonstrativ verbaten sich die Protestierenden die Anwesenheit lächelnder Bilderbuchpolitiker.
Zwar waren es nur ein paar tausend, die gegen explodierende Mieten und die Verdrängung sozial Schwacher von Neukölln nach Kreuzberg zogen. Ihre Bildpolitik jedoch sprach für sich. Ausgerechnet eine Rentnerin, eine Frau aus der Stammklientel der Partei, deren sonstige Gesichter selbst dann keiner kennt, wenn sie plakatiert werden, hielt eine Karikatur Wowereits hoch. Auf ihr war das Gesicht des Regierenden mit dem Computer zu einem höhnischen Grinsen verzerrt worden. „In acht Jahren 150.000 Wohnungen privatisiert“ stand darunter. Für einen Moment schienen da die Bilder der kommunikativen Einbahnstraße vom Regenten zur Stadt, mit der die SPD die aufmüpfige Stadt seit Wochen zu hypnotisieren sucht, blockiert.
Der Vorgang ist umso bemerkenswerter, als Wowereits fader Verein im Wahlkampf mit einer bemerkenswert professionellen Bildkampagne die Meinungsführerschaft in der Stadt für sich zu beanspruchen versuchte. Unkonventionelle Bildschnitte und coole Alltagsmotive verliehen der mit Mehltau überzogenen Berliner SPD plötzlich jenen Hauch intellektueller Avantgarde, den die Vereinigung frustrierter Kleinbürger zeit ihres parteipolitischen Lebens nur einmal und kurz unter der Ägide ihres Übervaters Willy Brandt erreichte.
Manch eines der Schwarzweißbilder seines Nachfolgers erinnert an den Glamour-Appeal, mit dem der Ersatz-Kennedy in den sechziger Jahren der ausgebrannten Metropole Frische und Modernität vorgaukelte. Elegant, aber leger schreitet der chic ergraute Wowereit auf ihnen durch sein Reich wie ein Tempelhofer George Clooney.
Nun aber regt sich Protest. Dafür, dass hier das politische Konfliktbewusstsein wiederbelebt wurde, das auch beim ähnlich geführten SPD-Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern auf der Strecke geblieben war, darf man diesem Aufstand der Straße dankbar sein. Nicht zuletzt, weil hier die Politik über das Image siegte.
Als Niederlage des Virtuellen sollte man das Ganze dennoch nicht vorschnell bejubeln. Schließlich boten die Berliner Wutbürger mit verschmierten Transparenten und schlecht sitzender Sommerkleidung dem scheinbar unverwundbaren Wählerversteher im Maßanzug ja auch symbolisch Paroli.
Sehr schön lässt sich die Macht der (Vor-)Bilder an dem Motiv „Schnappi“ demonstrieren. Auf Wowereits angeblichem Lieblingsplakat ließ sich der als unduldsam bekannte Rathauschef von einem kleinen Mädchen mit einer Krokodil-Handpuppe über den Mund fahren. Wer hätte gedacht, dass sich seine scheinbar handzahm gewordenen Untertanen von der beherzten jungen Nichtwählerin würden inspirieren lassen? Ausschließlich im Interesse einer friedlichen Streitkultur erlauben wir uns zu bemerken: Das ist auch gut so!
Ingo Arend
erschienen in taz (06.09.2011)
Bild: @getidan
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