Zugegeben: Der Vergleich mit Joachim Gauck fällt nicht eben günstig aus für Christian Wulff. Hier der charismatische Widersacher der Diktatur, da ein Mann, der aussieht wie das Double für Herrn Kaiser, den Mann von der Hamburg-Mannheimer: artig, gescheitelt, devot und stets korrekt zu seinen Klienten.
Das Bild der Banalität, das ein mutmaßlicher Bundespräsident Wulff evoziert, muss aber kein Nachteil für die Demokratie sein. Das ästhetisch Unbefriedigende ist nämlich ihr Wesenskern. Misstrauisch machen eher die die Projektionen, die die Kandidatur des konservativen Bürgerrechtlers Joachim Gauck befeuern. Sie treibt die Hoffnung auf eine Instanz jenseits der Politik, die ihr abnimmt, was sie selbst zu leisten hätte: Diskurse stiften, Orientierung geben, Visionen entwickeln. Wer würde Charakterköpfe nicht den Seriendarstellern vorziehen? Doch bei seinen Unterstützern grassiert eine problematische Sehnsucht nach der formvollendeten Demokratie.
Von derlei Erwartungen weiß Wulff sich frei. Mit ihm würde die Nation weder mit einem Ersatzaristokraten gequält noch mit einem Pastor.
Wulff ist zwar Schirmherr der Initiative „Mutmacher der Nation“. Doch der freundliche Nachbar käme nie auf die Idee, sich zu ihrem Präzeptor aufzuschwingen oder den obersten Intellektuellen zu geben. Zu dem Mann aus Niedersachsen brauchte niemand ehrfürchtig aufzusehen. Auch wenn er Ehrendoktor der Tongji-Universität in Schanghai ist. Mit dem Beschützer der Feuerwehren, Jugendorchester und Landfrauen hätten wir einen Präsidenten auf Augenhöhe.
Mit Christian Wulff, dem Gestalt gewordenen Mainstream, würde auch das angenehm Unscheinbare und Provinzielle der Bonner Republik wiederkehren, das dem Publizisten Karlheinz Bohrer stets ein Dorn im Auge war. Demokratie, will sie nicht zum Stilkorsett werden, muss so „unästhetisch“ sein wie dieser Mann ohne nennenswerte Eigenschaften.
In Christian Wulff würde die Nation sich selbst ins Angesicht blicken: Kassenbrille, Langweiler, Schwiegersohn – eben ein solides Mittelmaß so wie du und ich.
Autor: Ingo Arend
Text erschienen in taz 25.06.2010
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