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Screenshot heute.de (Ausschnitt)

Lupenrein fremdenkenntnisfrei

In der Museumsstadt Dresden regt sich etwas. Die guten BürgerInnen regen sich auf, nämlich über die Islamisierung ihrer Welt. 5.000 oder 7.000 formieren sich allmontäglich zum Heimatschutz. Sachsen hat einen Muslimenanteil von unter 1 Prozent. Auch nach der Wende war der Rassismus gegen Ausländer fast lupenrein fremdenkenntnisfrei. Damals belief sich der Anteil Nichtblutsdeutscher im Osten auf etwa 2 Prozent.

Der Erziehungswissenschaftler Wilhelm Heitmeyer, ein Experte in Sachen „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“, hatte bereits 2010 in der Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ eine zunehmend „rohe Bürgerlichkeit“ diagnostiziert. Vor allem in den höheren Einkommensklassen nähmen die Ressentiments, insbesondere die Islamfeindlichkeit rasant zu.

Mit der grassierenden Intoleranz verbindet sich der Anspruch auf mehr Rechte für die sogenannten Eliten. Der gut situierte, gebildete Mob macht sich also Sorgen um seine Vorrechte. Und wird darüber rabiat. Dass an den Dresdner Montags-„Spaziergängen“ auch Mitglieder der NPD teilnehmen, stört ihn und sie übrigens nicht.

Und was macht die regierende CDU? Sie nutzt den Hass.

„Rohe Bürgerlichkeit“

Ab diesem Monat, so Innenminister Ulbig, soll eine Sondereinheit zum Einsatz kommen, die gegen kriminelle Asylbewerber vorgeht. Auch diese Maßnahme entbehrt der faktischen Grundlage. Ulbig selbst sagte im direkten Anschluss an die Ankündigung, dass es unterm Strich nur sehr wenige straffällig gewordene Flüchtlinge gebe. Doch mit seiner Offerte an das stolz menschenverachtende Bürgertum hofft er die im Juni 2015 anstehenden Oberbürgermeisterwahlen in Dresden gewinnen zu können.

Der Bund hat den Kommunen unlängst 500 Millionen Euro zusätzlich für die Unterbringung von geflüchteten Menschen zugesagt. Auf Sachsen entfallen rund 25 Millionen. Ob sie dafür eingesetzt werden, die Menschen aus den Wohncontainer zu holen – oder um weitere Spezialeinheiten zur Kriminalisierung von Menschen in Not zu finanzieren?

Bei der Gelegenheit sei daran erinnert, dass sich das NSU-Trio mehr als ein Jahrzehnt in sächsischen Städten verstecken konnte. Dieser Umstand war für die Regierenden kein Anlass, etwas „an der Sicherheitsstruktur im Freistaat Sachsen“ zu verändern. So schrieben es CDU und die damals mitregierende FDP-Fraktion in den Abschlussbericht der Untersuchungskommission.

Die Verrohung ist aber leider keine Provinzposse, sondern wurde diese Woche auch im internationalen Maßstab vorgeführt.

„For you it’s a Dollar, for them it’s a lifeline“

Zum ersten Mal hat das World Food Programme der UN zum Crowdfunding aufgerufen: Gebt einen Dollar für Syrer! „For you it’s a Dollar, for them it’s a lifeline“ (Für dich ist es ein Dollar, für sie eine Lebensader“). Denn der WFP kann 1,7 Millionen Syrer nicht mehr versorgen, da zu viele Nationen die zugesagten Gelder nicht überwiesen haben. Es fehlen 64 Millionen Dollar.

Letzten Mittwoch pointierte der stellvertretende UN-Generalsekretär Eliasson die Lage so: „Die humanitäre Landschaft wird immer düsterer.“ Mehr als 100 Millionen Menschen benötigten heute humanitäre Hilfe. Das seien mehr als dreimal so viele wie vor zehn Jahren. Entsprechend sei die benötigte Summe von 3 Milliarden auf 17,9 Milliarden US-Dollar angestiegen. Und bevor sich jemand von diesen Zahlen erschlagen fühlt, sei daran erinnert, dass bereits ein Dollar helfen kann.

Überhaupt, wer geflüchtete Menschen nicht abwehrt, kann interessante Erfahrungen machen. Die erste: Es gibt mutige Menschen. Nachdem hierzulande nicht nur das Ressentiment gepflegt, sondern auch eine allgemeine Ängstlichkeit hohes Ansehen genießt, ist das ein wertvoller Kontrast. Genauso wie die Energie, die oft mitgebracht wird. Der syrische Aktivist Hayyan al-Yousouf zum Beispiel ist von der Türkei mit dem Schlauchboot nach Griechenland und von dort größtenteils zu Fuß nach München gelaufen. Für Schlepper hatten er und seine drei Freunde kein Geld. GPS und Google Maps mussten reichen.

Jetzt sitzt er in einer Unterkunft in Schleswig-Holstein in einem winzigen Dorf namens Horst. Gleich nach seiner Ankunft fragte er im Heim nach, wo die Kirche sei. Er würde gerne an Nachbarschaftstreffen teilnehmen und Deutsch lernen. Hier gibt es keine Kirche, war die brummige Antwort. Und: „Am Anfang wollt ihr alle Deutsch lernen.“ Doch al-Yousouf ließ sich nicht einschüchtern und lernt jetzt per Internet. Er bereitet sich auf ein Praktikum in der Fotoredaktion einer Tageszeitung vor. „Das ist meine Möglichkeit“, schreibt er dazu auf Facebook fehlerfrei. In der allgemeinen vorweihnachtlichen Griesgrämigkeit sind solche Zuversicht und Disziplin ein Geschenk.

 

Ines Kappert, taz 06-12-2014