Chefinnen
Was haben neue Fernsehserien mit Emanzipation zu tun? Zweierlei. Sie haben sich vom Fernsehen emanzipiert. Und sie verhandeln Emanzipation: Wie nie zuvor in der TV-Geschichte bieten sie weiblichen Hauptfiguren eine Plattform. Allerdings gibt es da einen großen Haken
Erfolgreich, sportlich, attraktiv, charmant. Und einsam
Wir amüsieren uns mit ihr neuerdings auch auf Langstreckenflügen, meistens aber im Bett mit dem Laptop auf den Knien oder wir sehen sie uns klassisch vom Sofa aus im Fernseher an. Und immer bestimmen wir, die ZuschauerInnen, Zeitpunkt und Länge der Begegnung. Denn wir laden unsere Lieblinge unter den Bandwurmgeschichten im Netz herunter oder legen eine DVD ein. Die Serie gehört jetzt zu uns, den Individualisten, Cineasten und Fernsehfeindinnen. Der digitalen Revolution sei dank. Wegen ihr konnte sich das Episodenformat aus den Fängen der Fernsehsender, der Programmmacher und Werbekunden befreien. Also ein kleiner Teil hat sich befreit. Emanzipation geht ja immer von einer Minderheit aus.
Die Freiheit, ein, zwei oder drei Episoden hintereinander anzusehen, und zwar ohne von Werbepausen gestört zu werden (im Postfernsehen ist Product Placement angesagt), hat gravierende Folgen für die Art, wie einem Massenpublikum Geschichten erzählt werden. Das ist eine gute Nachricht. Denn sie widerlegt die Idee der Fernseh-Entscheider, dass „der Zuschauer“ nur da abgeholt werden sollte, wo mit seiner Dummheit zu rechnen ist. Und niemals dort, wo seine Intelligenz auf Unterhaltung wartet.
Die alten Serien, „Dallas“, „Das Traumschiff“ etc., haben die Wiederholung als narratives Grundprinzip: Die Figuren lernen nichts dazu, denn sie haben kein Gedächtnis. Bei den emanzipierten Serien läuft das völlig anders. Sie orientieren sich am Zeitgeist, und der feiert ein lebenslanges Lernen.
Entsprechend treten die Figuren nicht auf der Stelle, sondern verarbeiten gemachte Erfahrungen und entwickeln sich. Ob zum Guten oder Schlechten, bleibt meist bis zum Schluss offen. Sie repräsentieren auch nicht mehr jeweils eine Sicht auf die Welt. Sondern sie verkörpern den Leitspruch des modernen und postmodernen Subjekts: Ich sind viele. Die neuen HeldInnen werden also unberechenbar. Nie kann man sich sicher sein, ob der gewählte Sympathieträger sympathisch bleibt. Also gilt es, dabei zu bleiben, Stunde um Stunde.
Bei den emanzipierten Serien spielt Zeit, ja Dauer ein große Rolle. Wir, die Ewiggehetzten und Eventgesättigten verbringen Tage und Nächte mit diesen Figuren und ihren mal mehr, mal weniger aufregenden Geschichten, über Wochen hinweg. Der Serienkonsum bietet die Möglichkeit, Zeithaben als ästhetische Erfahrung zu konsumieren. Zeit zu stehlen, macht einen Teil des Vergnügens aus. Für einen Moment emanzipieren wir uns vom Dauerstress.
Vor allem aber verlangt das auf Dauer angelegte Serienformat neue Inhalte und mehr noch Komplexität. Die AutorInnen tun gut daran, ihre Geschichten von Anfang an breit anzulegen. Wie sonst ließen sich drei, fünf oder mehr Staffeln mit mindestens zehn Episoden à 50 Minuten füllen?
Die neue Form ruft danach, filigrane und verschlungene Gesellschaftspanoramen zu zeichnen. Aktuell erfolgreiche Serien aus Dänemark, „Borgen“ oder „Kommissarin Lund“, sind in dieser Hinsicht besonders ambitioniert. Episode um Episode leuchten sie zentrale Institutionen der Mediendemokratie aus: das Parlament, das Fernsehen, die Polizei, die Familie. Wie wird dort gearbeitet und gelebt, wie bleibt man ein guter Mensch? Geduldig fräsen sie sich durch die Hirnwendungen ihrer HeldInnen und AntiheldInnen.
Weibliches Genießen wird mit einem Tabu belegt.
Das verweist auf ein kollektives Unbehagen.
Wer diese Serien ansieht, nimmt an dem Versuch teil, detailversessene Gesellschaftsanalyse mit psychologisch anspruchsvoll gebauten EinzelkämpferInnen zu verbinden, Sprachwitz und aufwändige Kameraführung inklusive.
Just dieses neue Erzählverfahren betreibt Emanzipation nun auch im herkömmlichen Sinn: Wie nie zuvor in der Fernsehgeschichte bietet sie weiblichen Hauptfiguren eine Plattform. Besonders ein Typus macht hier in den letzten Jahren Karriere: die Chefin. Die hat sich aus eigener Kraft nach oben gearbeitet, ist leistungsfähig, selbstbestimmt, attraktiv und charmant. Ansonsten sind die Frauen mit Gestaltungswillen mal jünger, mal älter, mal sanft, mal burschikos – der Reigen von Frauenfiguren im Fernsehen hat sich geweitet. Das ist ein großer Schritt in Richtung Freiheit und gar nicht zu überschätzen.
Allerdings fällt eine Sache bei den charismatischen Macherinnen auf: So gut wie keine genießt ihr Leben, ihren Erfolg, genießt ihre Macht, das verdiente Geld, nicht einmal vorübergehend. Tut sie es doch, entpuppt sie sich als böser, sehr böser Charakter, wie etwa Glenn Close als Patty Hewes in „Damages“. Doch egal ob gut oder böse, alle arbeiten und arbeiten und arbeiten.
Max Weber beschrieb diesen aktuell mit dem Glamour der Emanzipation versehenen und von der sportlichen, unerschrockenen Frau verkörperten „Geist des Kapitalismus“ vor rund hundert Jahren so: „Nicht Muße und Genuss, sondern nur Handeln dient nach dem unzweideutig geoffenbarten Willen Gottes zur Mehrung seines Ruhms. Zeitvergeudung ist also die erste und prinzipiell schwerste aller Sünden.“
Besser lässt sich die Ethik der gegenwärtig medial vermittelbaren ambitionierten, berufstätigen Frau kaum beschreiben. Diese eigenwilligen, hochindividualisierten Leistungsträgerinnen zwischen 30 und 60 Jahren unterwerfen sich keinem Vater, keiner Mutter, keinem Chef und keinem Geliebten. Aber dem Leistungsfetischismus. Und der verbietet Zeitverschwendung und zweckfreien Genuss. Sein Disziplinierungsverfahren ist Stress, permanenter Stress. Trotzdem gibt es einen Unterschied: Alle Heldinnen haben Sex, der sich weder notwendig an einen Kinderwunsch knüpft noch an ein Treueversprechen. Das gehört heutzutage zu einer als gelungen erachteten Performanz der Chefin dazu. Die ihr zugeordnete Askese bezieht sich damit „nur“ auf das Genießen und auf tiefergehende Gefühle, auf Bindungen.
Dass das weibliche Genießen selbst in den emanzipierten Serien zumeist mit einem Tabu belegt wird, verweist auf ein kollektives Unbehagen. Es verweist auf eine Schuld, die ihnen schweigend angelastet wird.
Die Chefinnen erfüllen die ihrem Geschlecht bis heute anheimgestellten Auftrag nicht. Denn sie lehnen es ab, das wenigstens sie das Privatleben als Gegenwelt zur Arbeitswelt verteidigen. Stattdessen fließen Arbeit und Privatleben ineinander. Wie bei den Männern auch.
Die Trennung zwischen bezahlter Arbeit und Familie ist aber für die bürgerliche Ordnung seit 200 Jahren grundlegend. Die neuen, fast immer der Mittelschicht angehörenden Heldinnen der Arbeit erschüttern just dieses Fundament der Zweiteilung. Das verlangt Kompensation, und sie besteht im Liebesentzug. Nach dem Motto: Wir beobachten dich fasziniert, aber wir lieben dich nicht. Auch deine Liebsten werden dich verlassen. Du stirbst allein.
Diese Ambivalenz ist typisch für Gesellschaften, die sich nach Emanzipation sehnen, aber an der tradierten Ordnung festhalten möchten, die ernsthafte Veränderungen scheuen. Sie können nur die konservative Emanzipation goutieren. Die attraktive, erfolgreiche, aber stets einsame Frau ist das Produkt dieser konservativen Emanzipation.
Die große Ausnahme bildet die Serie „Borgen“. Am Ende wird die Heldin nicht für ihren Erfolg abgestraft, sie bleibt nicht allein, sondern steht mit Mitte Vierzig am Anfang eines neuen Lebens. Und auch das verspricht spannend zu werden.
Ines Kappert, taz 31.12.2013
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