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Sofie Gråbøl als Kommissarin Sarah Lund (Quelle: ZDF/Tine Harden)

Noch nie drehten sich so viele Geschichten um Präsidentinnen, Topkommissarinnen oder Topagentinnen

Sie ist introvertiert und konzentriert, macht keinerlei Aufhebens um sich, ist immer im Dienst: Sarah Lund (Sofie Gråbøl) will den Mörder finden. Nichts anderes zählt für sie. Niemand begreift diese zierliche, wortkarge und unerbittliche Frau im Strickpulli, aber ihre Arbeit ist exzellent. Sie ist die beste Kommissarin, die die dänische Polizei hat. Die Rede ist von »Forbrydelsen« – hierzulande als »Kommissarin Lund« bekannt.

Sie hat Humor und Ausstrahlung, ist rhetorisch brillant, sie will ihr Land voranbringen, sie ist nicht korrupt, zumindest nicht zu Anfang: Birgitte Nyborg (Sidse Babette Knudsen) ist die erste Frau, die als Ministerpräsidentin ins dänische Parlament einzieht, das von den Dänen landläufig »Borgen« genannt wird, weswegen auch die zweite national und international von sich reden machende TV-Serie genauso so heißt. Wie »Kommissarin Lund« wurde »Borgen« vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Dänemark, Danmarks Radio, produziert. Beide setzen internationale Maßstäbe: »The Killing«, das amerikanische Remake von »Kommissarin Lund«, läuft erfolgreich in der 3. Staffel.

Im scharfen Kontrast zu den gebührenfinanzierten Sendern in Deutschland gelingt es dem dänischen Fernsehen, Serien zu realisieren, die TV-Geschichte schreiben, und zwar weltweit. »Borgen« wurde bereits in 70 Länder verkauft; »Kommissarin Lund« schaffte es, dass Briten erstmals auf BBC eine fremdsprachige Serie mit Untertiteln akzeptierten, also ihre Sehgewohnheiten änderten und auch ihren Stil. Zeitweise gab es zum Amusement des »Guardian« ein Nachschubproblem in Sachen Norwegerpullis.

Drei Faktoren lassen sich als Gründe für den Erfolg der dänischen Serien aufzählen: Da wäre zunächst die brillante Schauspielerleistung. Sowohl Kommissarin Lund als auch Ministerpräsidentin Birgitte werden von außergewöhnlichen Darstellerinnen verkörpert, die in Dänemark Stars sind, international aber erst mit ihren Serien berühmt wurden. Da die Dänen offensichtlich keine Angst vor Falten haben, zeigen sie ältere Frauen und Männer als attraktiv, gerade weil sie gezeichnet sind von ihren Erfahrungen (und vom Wetter). Das an die Gesichtschirugie gewöhnte internationale Publikum goutiert die Abwechslung. Gleichzeitig sind auch alle Nebenfiguren herausragend besetzt. HBO, der amerikanische Bezahlsender, lieferte mit »The Wire«, »The Sopranos« und »Six Feet Under« die Blaupause für diese neue Schauspielkunst, die virtuos mit komplexen Figuren umgeht.

Anders als »Dallas« oder die »Schwarzwaldklinik « haben die neuen Serien ein Gedächtnis. Sie setzen nicht mehr auf die sture Wiederholung des immer gleichen Settings, sondern auf die paradoxe Entwicklung der Geschichte und der Charaktere. Es geht nicht mehr darum, dem Publikum verlässliche Antipathie- oder Sympathieträger anzubieten, stattdessen wird die Grenze zwischen Gut und Böse fließend, die Charaktere verändern sich, sie lernen dazu, sie werden unberechenbar.

Und auch bei der ästhetischen Qualität wurde enorm aufgerüstet. »Borgen« und »Kommissarin Lund« sind ebenso wie ihre bereits erwähnten Vorläufer Hybride. Sie verschmelzen cineastische Elemente (Außenshots, Kranfahrten) mit klassischen Charakteristika der kostengünstigen, da im Studio gedrehten Sitcom: Das Familiengespräch in der immer gleichen Küche, die Besprechung im immer gleichen Büro, das Close-up oder die Halbtotale, die schnellen Dialoge, das Wertlegen auf die Subjektivität, die immer durch eine gegenteilige Perspektive, die auch am Tisch sitzt, gebrochen wird. Doch der emotionale Realismus interagiert bei den neuen Qualitätsserien – »The Wire« hat es vorgemacht – mit einer minutiös recherchierten Darstellung von Aushandlungsprozessen in Institutionen, die für die Demokratie wesentlich sind: Parlament, Justiz, Polizei und Presse. Jeweils werden berufstätige Menschen, die gestalten wollen, daraufhin ausgeleuchtet, was sie angesichts der vorhandenen Strukturen bewegen können und was nicht. Ambitionierte Subjektivitäten prallen auf objektive Handlungsräume, der Konflikt ist unvermeidlich. Doch im Unterschied zu den HBO-Serien wimmelt es in »Borgen« und »Kommissarin Lund« von weiblichen Profis.

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Sidse Babette Knudsen als dänische Ministerpräsidentin Birgitte Nyborg Christensen (Foto: arte tv – © Mike Kollöffel)

Womit wir beim dritten Punkt wären, und der macht das Alleinstellungsmerkmal der dänischen Serien aus: Die Verbindung von detaillierter Gesellschaftsanalyse mit dem als fast selbstverständlich gesetzten Umstand, dass nun Frauen in Machtpositionen drängen und daher die Hauptfiguren stellen. Die hoch politischen Geschichten werden rund um Chefinnen erzählt, die Pionierinnen auf männlichem Terrain sind. Niemand behauptet, dass Geschlecht keine Rolle spielen würde, von Postfeminismus kann keine Rede sein, trotzdem werden Geschlechterstereotypen unentwegt demontiert. Die emanzipierte Frau ist nicht immer gut, und der emanzipierte Mann nicht immer unsexy. So genial und komplex die Figur des Tony Soprano war und ist: Gegenüber Frauen hatte er immer die gleiche Rolle des gutmütigen Machos, wenngleich sie von seiner Therapeutin, Dr. Melfi, irritiert wurde. Und natürlich stand er, der Mafioso und Anti-Mafioso, mit seiner Gang im Mittelpunkt, keine Frau.

Das Publikum aber mag die Topladys, weswegen sich noch nie zuvor so viele Geschichten rund um (Minister-)Präsidentinnen, Topkommissarinnen, Topagentinnen oder Superrechtsanwältinnen drehten. Ganz offensichtlich interessieren sich die Zuschauer für die Vorreiterinnen, die leidenschaftlich für Gerechtigkeit kämpfen und darüber die Menschen verlieren, die ihnen am liebsten sind. Auf die Frage, was ihn an seiner Hauptfigur am meisten gereizt hätte, antwortet der Autor von »Borgen«, Adam Price: »Ich dachte mir, es wäre besonders schmerzhaft, einer Frau dabei zuzusehen, wie sie Familie, Ehe und ihre eigenen Ambitionen für dieses Amt aufgeben muss.« Besonders schmerzhaft. Warum besonders?

Populärkultur ist dann erfolgreich, wenn es ihr gelingt, Zeitgeist einzufangen. Sie muss allgemein verständlich sein und doch genügend Reibungsflächen bieten, um die Neugierde von Millionen Zuschauern zu wecken und zu füttern. Es geht also darum, Konventionen zu bedienen und gleichzeitig Tabus zu brechen. Genau diese Ambivalenz macht auch »Borgen« und »Kommissarin Lund« nicht nur spannend, sondern sozial relevant. Sie sind Seismographen für die kollektive Imago im kulturellen Mainstream, also für das, was sich ein millionenstarkes Publikum vorstellen kann, was es für plausibel hält und was nicht. Offenbar glaubt man gerne, dass gut ausgebildete Mittelschichtsfrauen ihren Job an der Spitze extrem verlässlich machen, sogar besser als ihre männlichen Kollegen. Durchweg werden die Chefinnen als fleißiger, weniger korrupt und weniger fehleranfällig gezeichnet. Als unglaubwürdig gilt indessen, dass sie ihre Leidenschaft für den Beruf mit einem einigermaßen glücklichen Privatleben verbinden können. Die neuen Heldinnen der Arbeit enden sämtlich in totaler Einsamkeit.

So auch Sarah Lund. Ihr Ende ist sogar besonders bitter – und passt besonders wenig zu der Figur. So verliert die Superprofifrau just in dem Moment die Nerven, als ihre große Liebe sie gefragt hat, ob sie zusammen ziehen wollen, sie einen Enkel bekommt und die kaputte Beziehung zu ihrem einzigen Sohn zu heilen beginnt. Just dann verlässt sie ihren Platz auf der Rückbank des Dienstfahrzeugs und erschießt einen pädophilen Mann, der Mädchen vergewaltigt und getötet hat. Stets ist das der Lackmustest: Können Frauen Profi bleiben, wenn sie mit Vergewaltigern konfrontiert werden? Oder reagieren sie dann – doch – irrational? Die ganze Zeit hatte Lund im Beruf fast unmenschlich rational gehandelt und Fehler nur im Privatleben begangen – doch als sie sich letztlich einem privaten Glück annähert, schlägt der Autor Søren Sveistrup gnadenlos zu: Erfolgreiche Frauen bleiben einsam. Das zeigt, wie tief im kollektiven Unbewussten die Angst vor der phallischen Frau verwurzelt ist, offenbar selbst in Dänemark. So bedienen die Geschichten einen kollektiven Wunsch, dass starke Frauen (die besseren) Chefinnen sein sollen, und sanktionieren und relativieren ihn gleichzeitig, denn am Ende verlieren die Frauen, die antraten, um einen Unterschied zu machen, alles.

Doch halt. Bei »Borgen« ist die Sache noch nicht gelaufen, zumindest nicht für das nicht Dänisch sprechende Publikum. Die deutsch untertitelte dritte und letzte Staffel kommt erst im Oktober in Umlauf. Ob Birgitte ihre Familie zurückbekommt, ohne ihre Karriere aufgeben zu müssen? Sie wäre die erste TV-Chefin, der das gelänge.

Ines Kappert, epd film

 

Sidse Babett Knudsen aka Birgitte Nyborg spricht über ihre Zusammenarbeit mit Adam Price,
ihre Lieblingsfiguren der Serie und ihre Vorstellung von der Politik: