Was im ständigen Gerede über Militäreinsätze untergeht, ist die Diskussion der deutschen Flüchtlingspolitik. Auch im Hinblick auf Syrien.
All diese Clausewitze auf einmal, wo kommen sie bloß her? Behände wenden sie ganz unabhängig von Alter, Geschlecht und Informationsstand Raketenwissen und Einsatzstrategien hin und her, und immer kommt heraus: Das bringt doch nichts in Syrien. Militärisch ist da einfach nichts zu holen. Einzugreifen wäre Wahnsinn. Das tut ihnen ja auch Leid.
Diese auf Raketen, Truppen und auf’s große geopolitische Ganze reduzierte Debatte läuft nun schon seit mehr als zwei Jahren. Gerade erst kochte sie angesichts der grausamen Bilder von den noch viel grausamer vergifteten Menschen erneut hoch.
Und diesmal schien den von diesen Opferbildern gebeutelten Diskutanten sogar ein wenig psychologische Entlastung vergönnt: Frankreich und die nun wieder eingeknickten Briten waren vorgeprescht, wollten Raketen fliegen lassen; keine Frage, Assad gehöre bestraft. Endlich schien ein Befreiungsschlag in Sicht. Nicht für die Leute im Land, aber die Skepsis der SyrerInnen kümmert im Ausland ohnehin niemanden. Entscheidend ist, dass die USA ihren Ruf als Ordnungsmacht Nummer eins nicht länger gefährden dürfen.
Inzwischen aber ist der als sicher geltende Militäreinsatz gar nicht mehr so sicher. Und in Deutschland zieht man sich in den Redaktionen, Büros oder Kneipen wieder auf die bekannte Ohnmachtsposition zurück, einfach nichts zu machen. Doch das genau ist grundfalsch. Es ist etwas zu machen, und es gibt noch wahnsinnig viel zu tun.
Syrien ist so anstrengend
Womit wir bei den Flüchtlingen wären. Diese Diskussion wird nicht so gerne geführt. Flüchtlinge – wie unsexy. Laut UN haben zwei Millionen SyrerInnen das Land verlassen, davon sind rund 740.000 Kinder unter elf Jahren. Etwa vier Millionen sind innerhalb Syriens auf der Flucht. Etwa 7.000 Kinder seien während des seit zweieinhalb Jahren anhaltenden Aufstands gegen die Herrschaft von Präsident Assad getötet worden. In der Türkei und Jordanien wurden Flüchtlingslager eingerichtet, die mittlerweile völlig überfüllt sind. Im Libanon ist man dabei, die Grenzen dicht zu machen. Etwa 800.000 SyrerInnen sollen bereits in dem kleinen Land mit vier Millionen EinwohnerInnen sein.
Neuerdings fliehen täglich mehrere Tausend SyrerInnen in den Nordirak, 50.000 sind in den letzten zwei Wochen dort angekommen. Der Deutschlandchef von Ärzte ohne Grenzen, Tankred Stöbe, ist vor Ort und berichtet, die Leute, die in Dohuk ankommen, hätten häufig fünf oder sechs Umzüge innerhalb Syriens hinter sich, immer auf der Suche nach einem sicheren Ort. Sie wollten ihr Land nicht verlassen. Doch schließlich hatten sie keine Alternative mehr.
Und Deutschland? Deutschland hat im März bekundet, dass es 5.000 SyrerInnen aufnehmen wolle. Ja, genau: Von 20 Millionen SyrerInnen sind rund sechs Millionen auf der Flucht, zwei Millionen haben es bereits ins Ausland geschafft, und Deutschland gewährt 5.000 von ihnen Zuflucht, für zwei Jahre. Die Konzentration auf das Militärische hat einen hohen Preis – für die anderen. Für die Deutschen ist sie billig zu haben.
Es ist ja klar, dass niemals deutsche Soldaten in Syrien kämpfen werden. Entsprechend ist die Diskussion von Kriegsszenarien maximal ungefährlich. Zudem hat es den Nebeneffekt, dass die öffentliche Meinung ganz vergisst, humanitäre Handlungsoptionen abzuwägen. Das Spendenaufkommen in Deutschland bleibt eklatant niedrig. Auch das macht deutlich, wie gering die Empathie mit den bombardierten SyrerInnen ist. Die Mehrheit der Deutschen beschäftigt sich lieber mit Kriegsszenarien. Entsprechend ist keine PolitikerIn gezwungen, humanitäre Maßnahmen zu erwägen, die mehr als kosmetisch wären.
Wo bleiben die Flüchtlinge?
Und wie geht es den 5.000 Flüchtlingen hier? Das ist nicht zu sagen, denn sie sind noch gar nicht da. Das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen etwa bestätigte, dass von den auf sie entfallenden ca. 1.000 Flüchtlingen bislang 15 (!) angekommen seien. Woran das liege? Da gelte es das Auswärtige Amt zu fragen. Dieses stelle die Visa aus, und sobald ein Syrer eines habe, dürfe er oder sie auch kommen.
Vorausgesetzt, in Deutschland lebende Verwandte haben sich verpflichtet, die „Kosten für den Lebensunterhalt“ zu übernehmen, „einschließlich der Versorgung mit Wohnraum sowie die Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit“. Das finanzielle Risiko für den Staat ist denkbar gering. Dafür hat er gesorgt. Erinnert sich noch wer an die „Mehrkosten“ für den Euro Hawk in dreistelliger Millionenhöhe?
Innenminister Friedrich verlautbarte nun jüngst, dass er den Familienzuzug erweitern werde. Im Klartext: Deutschland will weiterhin nur handverlesene SyrerInnen aufnehmen. Die syrische Community hier umfasst etwa 30.000 Mitglieder.
Warum aber ist selbst von den verwandtschaftlich verbundenen Flüchtlingen noch kaum einer in Deutschland angekommen? Das Auswärtige Amt erklärt, man habe ein wenig gebraucht, um sich auf die schwierige Situation einzustellen. Die meisten Flüchtlinge hätten alles verloren, auch ihre Papiere. Zumindest verfügten viele nicht über alle normalerweise notwendigen Dokumente. Inzwischen aber stelle die Deutsche Botschaft in Beirut – von dort kommen die meisten, die nach Deutschland dürfen – rund 40 Visa pro Tag aus. Man gehe davon aus, dass ab Mitte September die erste Chartermaschine starten könne.
40 pro Tag – grob gerechnet bedeutet das noch rund drei Monate, bis alle der 5.000 Visa ausgestellt sind. Erst dann könne, so heißt es, die Friedrich’sche Erweiterung angegangen werden. In Deutschland hat man Zeit.
Von wegen Pathos
Damit keine Missverständnisse entstehen: Dass ein Umdenken im Auswärtigen Amt und auch bei den zuständigen Behörden in den Ländern beginnt, ist gut. Sich der Flüchtlinge aus Syrien anzunehmen, bedeutet Leben zu retten. Das mag sich jetzt pathetisch anhören, doch mit Pathos hat diese Feststellung nichts zu tun, sondern nur mit der Wirklichkeit. Die zur Abwechslung nicht aus der Kampfflugzeugperspektive betrachtet wird.
Trotzdem bleibt die Zahl von 5.000 akzeptierten SyrerInnen lächerlich klein. Und was das aktuelle humanitäre Einlenken auch vor Augen führt: Natürlich hätte die Botschaft in Beirut schon längst die Visabestimmungen lockern können. Doch die Regierenden haben abgewartet – bis die Zahl von 100.000 Toten offiziell wurde. So ist das mit dem politischen Willen.
Der Krieg in Syrien lässt sich nicht mit einem großen Militärschlag beenden. Diese an Raketen gekoppelte Entlastungsfantasie wird sich nicht bewahrheiten. Es bleibt nur der zähe Verhandlungsweg. Unterdessen müssen auch die reichen Länder, wie Deutschland, ihre Grenzen öffnen und ungleich mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen.
Aber werden wir die je wieder los? Wer den Leuten zuhört, die mit Flüchtlingen reden und arbeiten, wie etwa Tankred Stöbe, kann sich von diesen (ohnehin schnöden) Überlegungen rasch trennen: Sobald es irgendwie geht, wollen die allermeisten wieder zurück. Wer sonst sollte ihr Land wiederaufbauen?
Ines Kappert, taz 31.08.2013
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