Die Staatsanwaltschaft in New York hat beantragt, das Verfahren gegen Dominique Strauss-Kahn einzustellen. Für Feministinnen ist das keine schlechte Nachricht.
Nach der gigantischen Medienschlacht nun dieses kleine laue Ende: Es wird nicht zur Anklage gegen Dominik Strauss-Kahn kommen. Noch nicht mal zur Anklage. Der Mann, der sich vor seiner Verdächtigung der versuchten Vergewaltigung anschickte, der neue französische Präsident zu werden, kann einer Gewalttat nicht überführt werden. Die New Yorker Staatsanwaltschaft, die alles daran setzte, DSK auch im buchstäblichen Sinn nicht davonkommen zu lassen, sie wird kein Verfahren eröffnen. Ist das nun eine weitere Folge in der Endlosserie „Sexismus siegt immer?“ Nein. Im Gegenteil. Aus feministischer Sicht ist die Geschichte ziemlich gut gelaufen.
Gehen wir noch mal zurück auf Anfang: Eine Hotelangestellte, schwarz, unterprivilegiert, erstattet Anzeige gegen einen der mächtigsten Akteure in der internationalen Finanzwelt – und findet Gehör. Blitzschnell wird der Verdächtige in U-Haft genommen und mit allen in der amerikanischen Polizei üblichen Mitteln denunziert (Stichwort: Perp Walk). Weder seine Prominenz noch sein Geschlecht schützen ihn. Das klassische Szenario sieht anders aus: Frauen mit dem gleichen Anliegen werden von Polizisten verhöhnt, müssen demütigende medizinische Untersuchungen über sich ergehen lassen, ihre Anzeige versandet und ihr Ruf ist zerstört.
Schmierigen Gesellen sei Dank
Nichts dergleichen in New York im Jahr 2011: Genüsslich kramt die internationale Presse im Anschluss an die Verhaftung DSKs alle Geschichten aus, die den Verdächtigten als Mann zeigen, der sein Amt routinemäßig nutzt, um Sex zu bekommen. Dank schmieriger Gesellen wie Bernard-Henri Lévy, der feststellte, angesichts fehlender Toter sollten die Damen sich mal nicht so haben, bricht sich in Frankreich langsam eine Debatte über den ganz alltäglichen Sexismus Bahn, und nicht nur dort. Zugleich gerät die Presse-Vorführung von Delinquenten in die Kritik.
Natürlich hat die Denunziationsmaschine auch vor der Klägerin nicht Halt gemacht. Nachdem es publizistisch langweilig wurde, auf DSK einzuschlagen, nahm die Journaille sich der Alleinerziehenden mit Männerbekanntschaften an und stellte sie als Lügnerin dar, immerhin stimmten nicht alle Angaben in ihrem Asylantrag. (Er wäre wohl auch der erste vollständig wahrheitsgetreue gewesen). Danach kam das unvermeidlich Etikett „Prostituierte“.
Die Presse hat wenig dafür getan, den Vorverurteilungen entgegenzutreten, in denen sich alle Welt bei Sex-und-Crime-Sachen so gerne ergeht. Das ist der eigentliche Skandal. Es wäre ihre vornehmste Aufgabe gewesen, das interessierte Publikum auf Geduld und Rechtsstaatlichkeit einzuschwören, heißt: einfach präzise über den Verlauf zu berichten. Stattdessen wurde wüst in alle Richtungen geurteilt und eine Öffentlichkeit geschaffen, die für die sorgsame Überprüfung der Vorwürfe denkbar ungünstig ist.
Steht Aussage gegen Aussage, und bei Vergewaltigungsfällen ist das meist so, muss die Glaubwürdigkeit der Involvierten überprüft werden. Das ist eine diffizile Angelegenheit, die man dem Stammtisch entziehen und Profis überlassen sollte.
Brutale Berichterstattung
Natürlich wissen wir nicht, ob hinter den Kulissen Geld floss, ob der Rechtsanwalt von Nafissatou Diallo dem Fall und dem Druck wirklich gewachsen war, ob sie mit einer anderen Vertretung weiter gekommen wäre. Doch dass die amerikanische Gesellschaft notorisch bereit sei, bei sexueller Gewalt gegen (nichtweiße) Frauen auf blind umzuschalten, dafür fehlen derzeit die Indizien. Wenn das kein Fortschritt ist!
Zugleich ist es inakzeptabel, dass im Verlauf der juristischen Prüfung die beruflichen Existenzen sowohl von Nafissatou Diallo als auch von DSK wenn nicht vernichtet, so doch massiv beschädigt wurden. Die Brutalität der vorverurteilenden Berichterstattung offenbart eine Hysterie in Sachen sexueller Gewalt, die dem Rechtsstaat schadet. Und damit auch allen Opfern von sexueller Gewalt.
Trotzdem lässt sich aus feministischer Sicht feststellen: Spätestens seit den Verfahren gegen Prominente wie Kachelmann, Assange und DSK dürften alle Akteure, die sich sexuelle Gewalt als Handlungsoption offenhalten, gewarnt sein: Noch nie zuvor gingen sie ein so hohes Risiko ein. Der Selbstverständlichkeit, mit der sich bestimmte Männer Sex als Belohnung nehmen, stehen in der Öffentlichkeit und in der Justiz mächtige Akteure gegenüber, die genau dieses Verhalten ahnden. Das heißt nicht, dass sexuelle Gewalt aus der Welt geschafft wäre. Der Fall DSK hat im Gegenteil ein Schlaglicht darauf geworfen, wie virulent das Problem ist. Doch noch nie wurde dem aggressiv sexistischen Verhalten eines angesehenen und mächtigen Mannes so viel öffentliche Kritik zuteil.
Ines Kappert, taz 32.08.2011
Bild: Dominique Strauss-Kahn (2008)
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