Mit kostenfreiem Eintritt in Museen könnten Zugangsbarrieren zur Kultur abgebaut werden, Besucherzahlen steigen und die Dauerausstellungen wieder attraktiver werden. Worauf wartet die Politik?
Was ist im 21. Jahrhundert ein Museum? Welche Aufgaben hat es, welche Rolle spielt es, für den Ort, an dem es steht, oder in seiner gesellschaftlichen Bedeutung? Und wer soll dort seinen Ort finden? Aktuell wird über Museumsbauten und Sanierungen, über Ausstellungskonzepte und Kosten heiß debattiert. Gerade in Berlin.
Hier entsteht – inzwischen gut sichtbar – das Humboldtforum, hier soll es am Potsdamer Platz ein „Museum der Moderne“ geben, der Siegerentwurf des Architekturwettbewerbs aus dem Büro Herzog & de Meuron wurde gerade vorgestellt. Und hier ist auch der Ort der großen Baudebakel: von der Staatsoper über die neue Eingangshalle des Pergamonmuseums, die James-Simon-Galerie, bis hin zu den explodierenden Sanierungskosten des Pergamon-Museums selbst.
Gleichzeitig wird die zukünftige Kulturpolitik der Hauptstadt neu verhandelt. In den Koalitionsverhandlungen der neuen rot-rot-grünen Koalition wurden erste Eckpunkte bereits beschlossen. Ein immer wieder aufflammendes Thema in diesen Debatten: Die Forderung nach freiem Eintritt in die staatlichen Museen und Sammlungen.
Anfang des Jahres hat die Beauftragte für Kultur und Medien, Kulturstaatsministerin Monika Grütters den Wunsch geäußert, dass die Dauerausstellung im zukünftigen Humboldtforum keinen Eintritt kosten solle. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, ließ sich daraufhin mit den Worten zitieren: „ Für freien Eintritt in unseren Häusern bin ich sehr, aber was für das künftige Humboldtforum gilt, muss meines Erachtens dann auch für die Museumsinsel gelten. … Wenn wir einen solchen Weg gehen, muss der Betriebsetat massiv angehoben werden.“(Quelle: Berliner Morgenpost vom 22.03.2016)
Jetzt schlugen die drei Gründungs-Intendanten im Rahmen der Vorstellung eines Ausstellungskonzeptes für das Humboldtforum öffentlich wirksam in die gleiche Kerbe, sie wollen freien Eintritt zum Haus: „Wenn das Humboldt-Forum ein Forum für die Bürger sein soll, dann kann es diese wichtige Rolle in der Stadt nur spielen, wenn der Eintritt kostenlos ist.“
Das Museum als Forum für die BürgerInnen. Seine Bedeutung vor Ort, gegründet auf seiner Konzeption als Dialog- und Bildungstreffpunkt für die Menschen der jeweiligen Stadt, wie auch zugereister BesucherInnen. Kein staatlicher Repräsentationsort im alten Sinn der feudalen Kunstkammer, der sich symbolisch durch die Kultur aufladenden Macht, sondern eine Rückbesinnung auf den bürgerlichen Bildungsort.
Eine kleine Überraschung für durchökonomisierte Kulturpolitiker. Michael Müller, Berlins amtierender Bürgermeister, applaudierte zwar voller Vorfreude auf ein ‚Bürgerforum‘ – einen Ort des Wissens und der Diskussion, stellte dann aber sofort klar: „Freier Eintritt muss finanzierbar sein.“ Nur eine realistische Kostenkalkulation könne über die Möglichkeit freien Eintritts entscheiden.
Denn: Kultur kostet. Punkt. Alle anderen Funktionen und Bedeutungen – siehe Treffpunkt zum Austausch, zur Anregung, zum Nach- und Weiterdenken, zur Unterhaltung – kommen hinzu, irgendwie, sie sollen möglichst nichts kosten – in Zeiten umkämpfter Kulturetats. Wer aber zahlt dann? Die Museen, indem sie Raubbau an der eigenen Substanz betreiben und die BesucherInnen, Eintritt.
Die Kosten im Hinterkopf hatten wohl auch die Berliner Koalitionäre als sie sich darauf einigten eine „kostenfreie Zeitspanne“ für den Besuch öffentlicher Museen in Berlin einzurichten. Zeitspanne kann vieles heißen.
Warum aber ist gerade in Deutschland die Debatte um freien Eintritt in Museen und Sammlungen so zäh? Und warum wird diese Debatte sofort allein auf den finanziellen Aspekt reduziert und stellt nicht Fragen von Teilhabegerechtigkeit oder kultureller Bildung in den Vordergrund?
Zwar gibt es seit Jahren Versuche, kulturelle Teilhabegerechtigkeit auch durch freien Eintritt zu öffentlichen Museen herzustellen. Langfristig durchgesetzt hat sich dieses Konzept aber nie. So gab es in der Vergangenheit in Berlin bereits verschiedene Ansätze, zumindest partiell freien Eintritt zu gewähren und auch deutschlandweit war es in vielen deutschen Museen bis in die achtziger Jahre hinein üblich, auf Eintrittsgelder zu verzichten. Erst mit dem Museumsboom in den achtziger Jahren wurde der Besucher als Geldquelle entdeckt.
Ganz anders sieht es bei vielen unserer europäischen Nachbarn aus, sie agieren freier und machen sehr gute Erfahrungen mit dem kostenfreien Zugang zu ihren Museen.
Beispiel Großbritannien: In Großbritannien kosten die Dauerausstellungen der Museen seit 15 Jahren keinen Eintritt, dennoch freuen sich die britischen Museen nicht nur über mehr, sondern auch über andere Besucher, das heißt Menschen, die es sich vorher nicht leisten konnten, Familien oder jüngere Besucher, und gerade der Anteil der BesucherInnen mit sogenanntem Migrationshintergrund konnte um 200 Prozent gesteigert werden. Die Museen werden hier zu sozialen Treffpunkten, Bildungserfahrungen inklusive.
In Deutschland aber stellen „kulturelle Teilhabe für alle“ und „kulturelle Bildung für alle“ noch immer nicht die Realität vieler Menschen dar. Das zeigen zum Beispiel die Ergebnisse der im September 2016 veröffentlichten Studie: „Armutsfolgen für Kinder und Jugendliche“ der Bertelsmann Stiftung. Gerade im Bereich der kulturellen Bildung kann von Teilhabegerechtigkeit nicht die Rede sein.
Gleiches gilt für die öffentlichen Museen in Deutschland: eine aktuelle Studie der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität für das Folkwang Museum in Essen weist nach, das der Museumsbesuch wesentlich vom Bildungsgrad abhängt. 66,5 % der Essener Museumsbesucher hatten einen Hochschulabschluss, 0,6% einen Hauptschulabschluss. Einer der Gründe für die institutionelle Distanz von Menschen mit niedrigem Bildungsgrad ist die Höhe des Eintrittsgeldes.
Aber öffentliche Museen dürfen keine Orte der unsichtbaren Sozial- und Klassenschranken sein. Denn was ist – wie eingangs gefragt – ihr eigentlicher Auftrag, ihre Rolle in und für unsere Gesellschaft?
Museen sollen sammeln, bewahren, forschen und vermitteln. Das ist im sogenannten ICOM-Code (International Council of Museums) von 2004 festgelegt:
„Museen haben die Aufgabe, ihre Sammlungen als Beitrag zum Schutz des natürlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Erbes zu erwerben, zu bewahren und fortzuentwickeln. Museumssammlungen sind ein bedeutendes Erbe der Gemeinschaft, haben in der Rechtsordnung einen besonderen Stellenwert und sind durch die internationale Gesetzgebung geschützt. Diese Verpflichtung der Öffentlichkeit gegenüber macht Museen zu Verwaltern, die für den rechtmäßigen Besitz der in ihrer Obhut befindlichen Objekte, für den dauerhaften Charakter ihrer Sammlungen, für deren Dokumentation und Zugänglichkeit sowie für eine verantwortungsvolle Aussonderungspolitik verantwortlich sind.“
Hervorzuheben ist hier, dass Museen als Verwalter öffentlichen Besitzes, also dem kulturellen Besitz aller, fungieren.
Und verkürzt gesagt, was allen gehört, sollte auch für alle offen stehen!
Öffentliche Museen sind steuerfinanzierte Einrichtungen des Staates, ihre Sammlungen wurden mit Steuergeldern angekauft und mit ebensolchen restauriert und gelagert.
In Deutschland gibt es bundesweit bereits etwa 1500 Häuser, die keinen Eintritt erheben, das sind 35 Prozent aller Museen, die 2014 auf eine entsprechende Anfrage des Deutschen Museumsbundes geantwortet hatten. Vorrangig kleinere Einrichtungen mit bis zu 10.000 BesucherInnen jährlich.
Auch zwei aktuelle Bespiele zeigen, dass freier Eintritt als Konzept funktioniert: Die Hamburger Kunsthalle hat nach ihrer Wiedereröffnung 2016 für einen Monat keinen Eintritt erhoben und im Folkwang Museum in Essen ist der Eintritt seit 2015 kostenlos. Die Besucherzahlen haben sich seitdem verdreifacht.
Die Erfahrungen all dieser genannten Beispiele zeigen, dass mit kostenfreiem Eintritt Zugangsbarrieren abgebaut werden können, die Besucherzahlen zunehmen und die Dauerausstellungen der Museen wieder attraktiver werden. Die genuinen Aufgaben der Museen, das Sammeln, Erforschen, Bewahren und Vermitteln, das Museum als öffentlicher Bildungsort, kommt auf diese Art wieder mehr gegenüber der Dominanz der Sonderschauen zur Geltung.
Das heißt, die Bedeutung des Ortes Museum im bürgerlichen Verständnis, welches in den letzten Jahren durch die zunehmende Ökonomisierung auch der Kultureinrichtungen verdrängt wurde, rückt wieder in den Vordergrund.
Und hier kommen wir der Zähigkeit der Debatte um den freien Eintritt langsam auf den Grund: Denn der Boom der Sonderschauen liegt einerseits in der Fixierung der öffentlichen Geldgeber auf Besucherzahlen begründet und andererseits in der mangelnden Bereitschaft die Häuser finanziell adäquat auszustatten. Dass Museen im Grunde ihres Wesens offene Bildungsorte aller sind, kommt hier schlicht nicht vor.
Dies geschieht im Geist des Denkens: Was gut ist, setzt sich durch. Kulturfinanzierung wird, wie Walter Grasskamp in seinem aktuellen Buch „Das Kunstmuseum. Eine erfolgreiche Fehlkonstruktion“ gut beschreibt, als Subvention aufgefasst. Subventioniert wird aber immer nur das, was sich langfristig wirtschaftlich selbst tragen soll. Museen aber sind als Institution so definiert, dass sie immer mehr Kosten generieren werden als Einnahmen. Denn der Betrieb der Häuser kostet, die Depots wachsen stetig weiter und mit ihnen die Folgekosten eines jeden Werkes, die Lagerung und Restaurierung.
Paradoxerweise hat die Kulturpolitik aber keinerlei Probleme mit der Finanzierung neuer Kulturbauten. Die eingangs aufgezählten Bau- und Sanierungsprojekte allein in Berlin verschlingen insgesamt Kosten in Milliardenhöhe: gut 600 Millionen Euro für das Humboldtforum, 200 Millionen für das Museum der Moderne, inzwischen 477 Millionen für die Sanierung des Pergamon-Museums, 134 Millionen für den Bau der James-Simon-Galerie, der neuen Eingangshalle des Pergamonmuseums. Die Reihe ließe sich fortsetzen.
Geld ist also grundsätzlich da. Bloß nach dem erfolgreichen Neubau mit prestigeträchtiger Einweihung folgt oft seitens der Kulturpolitik: nichts.
An den Betriebskosten vieler Museen wurden in den letzten Jahren systematisch gespart, Inflation, Personalkostensteigerungen schlicht nicht ausgeglichen. Um den entstehenden Sanierungsstau einzudämmen und die steigenden Personalkosten dennoch zahlen zu können, streichen die Museen ihre Ankaufetats immer weiter zusammen und erhöhen ihre Eintrittsgelder. Denn eines dürfen sie auf keinen Fall: Werke aus ihren Depots verkaufen. Dem würde ein genauso reflexhafter wie oft unreflektierter öffentlicher Aufschrei folgen. Unbeachtet bleibt: auch Depots sind endliche Orte und nicht jeder Nachlass für die Ewigkeit.
Kein Geld bleibt für die faire Vergütung aller Angestellten, der freiberuflichen genauso wie den nach Tarif oder lediglich mit Mindestlohn vergüteten Angestellten oder für die Anstellung von ausreichendem museumspädagogischen Personal.
Wenn jetzt in Berlin in der Debatte um das Humboldtforum einmal mehr der gesellschaftspolitische Bildungsgedanke und -auftrag, der sich mit dem Namen der Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt verbindet, beschworen wird, dann muss diesen Worten auch das nötige Geld folgen. Das Land Berlin, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Bund hätten aktuell die Chance, die Berliner Museen für alle Menschen zu öffnen und zu attraktiven Kommunikations- und Bildungsorten, zu sozialen Treffpunkten für alle, zu machen.
Es bestünde mit der Wiederbelebung der Dauerausstellungen die Möglichkeit längst vergessenes endlich wieder sichtbar zu machen. Die Schätze der riesigen Depots allen zur Verfügung zu stellen. Dazu Cafes, öffentliche Veranstaltungen, Shops, Freies W-Lan, Flächen zum Ausruhen, sitzen und sich austauschen. Abgerundet würde dieses Projekt durch ein fundiertes Digitalisierungskonzept für die kulturellen Schätze der Depots und Dauerausstellungen – mit offenen Lizenzen, wo immer es das geltende Urheberrecht möglich macht.
Einen Anstoß in diese Richtung hat die Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag im Rahmen der Haushaltsverhandlungen zum Bundeshaushalt 2017 gemacht und gefordert – zunächst als ein auf die Häuser der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin beschränktes Modellprojekt – den Eintritt für die Dauerausstellungen der Staatlichen Museen zu Berlin kostenlos zu gewähren.
Die im Etat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz durch wegfallende Eintrittsgelder entstehende Lücke, sowie eventuell entstehender Mehrkosten für Wach – und Reinigungspersonal und eine wesentliche Stärkung der museumspädagogischen Arbeit mit Kooperation mit Schulen, soll der Bund laut Antrag durch die Aufstockung seines Zuschusses in Höhe von 40 Millionen jährlich kompensieren.
Der Bund kann so mit gutem Beispiel vorangehen und die Bedeutung öffentlicher Museen als Bildungseinrichtungen für alle zeigen!
Imke Elliesen-Kliefoth
Bild: getidan
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