Andreas Dresen

HENRYK GOLDBERG: Sie haben sich „Leuchte, mein Stern, leuchte“ zum Wunschfilm beim Weimarer Filmfest erwählt, Ihre Filmproduktion heißt Iskremas, nach dem Helden des sowjetischen Filmes. Wann haben Sie ihn zum ersten mal gesehen?

ANDREAS DRESEN: Das muss so Mitte der siebziger Jahre gewesen sein.

Sie sind 1963 geboren, da waren Sie also 12, 14 Jahre alt…

Ja, das hat mich damals schon beeindruckt. Später habe ich ihn immer mal wieder gesehen.

Was hat Sie beeindruckt? Die Leidenschaft, die Unbedingtheit?

Die Leidenschaft, diese verzweifelte Leidenschaft. Und die Naivität, mit der dieser Wanderschauspieler zu einem auch skurrilen Helden wird. Ja, vor allem die Leidenschaft, mit der er seine Botschaft in dem wechselnden politischen Verhältnissen behauptet.

Damit sind wir in der DDR. Sie scheinen durch Ihr Studium an der Filmhochschule und dem Leben in der DDR sehr durch diese geprägt. Wären Sie ein anderer, wenn Sie 1977 mit Ihrem Vater in den Westen gegangen wären?

Sicherlich. Irgendjemand hat mal gesagt, Heimat ist, wo die Erinnerung sich auskennt. Das prägt.

Auch sozial?

Natürlich. Ich kann nicht sagen ob ich dann besser oder schlechter wäre, aber in jedem Falle anders. Lothar Bisky …

… der Rektor der DDR-Filmhochschule und langjährige Vorsitzende der Linkspartei…

… hat mich stark geprägt und mir sehr geholfen.

Beim Dokumentarfilmfestival Neubrandenburg sollten einige kritische Dokfilme der Studenten, darunter einer über die Wehrpflicht…

… das war meiner, der hieß „Was jeder muss“.

Ich erinnere mich an den Titel, aber ich wusste nicht, dass er von Ihnen war.

Ja, und Bisky hat das damals durchgesetzt, dass wir unsere Filme in Neubrandenburg zeigen konnten. So bekamen wir spätestens da ein Gefühl dafür, welche Brisanz auch kleine Filme in der DDR haben konnten.

Die „Faust“-Inszenierung Ihres Vaters Adolf 1968 am Deutschen Theater Berlin hat eine der heftigsten und brutalsten kulturpolitischen Debatten der DDR ausgelöst. Bedauern Sie manchmal, dass Kunst in einer weithin tabufreien Gesellschaft nicht mehr diese Bedeutung hat?

Ja und nein. Ich bin natürlich froh, dass das vorbei ist, kein vernünftiger Mensch kann sich das wieder wünschen.

Aber?

Aber es war natürlich auch eine Spannung, eine Wahrnehmung von Kunst, die stimulierend ist für den Künstler. Allerdings, es war eben auch eine Ersatz-und Ventilfunktion.

Für Probleme, über die wir in den Zeitungen nicht geschrieben haben.

Ja. Da konnte so ein kleiner Studentenfilm auf einmal ein Politikum werden. So ein gesellschaftliches Umfeld, wenn es nicht allzu repressiv wird, ist für Kunst natürlich auch fruchtbar. Ich denke, es ist kein Zufall, dass aus dem Iran so wunderbare, großartige Filme kommen.

Dieser vordergründig nicht mehr so gravierende Einfluss von Politik auf den Einzelnen ist sicher der Grund, weshalb Ihre Filme vom gewöhnlichen Menschen in seiner gewöhnlichen Alltäglichkeit erzählen. Ist das ein rational entwickeltes Konzept oder so etwas wie ein Impuls aus dem Bauch?

Eindeutig ein Grundimpuls, ein Bedürfnis. Ich erzähle am besten etwas über eine Gesellschaft, indem ich etwas über ihre Menschen erzähle. Ich nähere mich der Politik nicht gern frontal, lieber über die Menschen, die nicht ganz so in der Mitte leben aber doch zentral sind für eine Gesellschaft. Das ist auch wirklich ein Gefühl in mir. Ich formuliere nicht eine Botschaft und suche eine Geschichte als Vehikel. Ich habe eine Geschichte von Leuten und überlege, was sie erzählen kann, auch über andere Leute.

Halbe Treppe“ etwa ist auf den ersten Blick eine Geschichte über eine Ehe, aber der Film erzählt doch auch etwas über Ost-Menschen im Umbruch.

Das sind Menschen, die Sie sich ausgedacht haben, Herrn Wichmann von der CDU aber gibt es wirklich. Wie authentisch kann ein Mensch bleiben, wenn die Kamera läuft?

Jeder Dokfilm ist immer Realität plus ein Kamerateam. Henryk Wichmann hat natürlich ein Bewusstsein für die Kamera, aber er ist auch privat so. Der wird nicht viel anders, wenn wir die Kamera einschalten. Der hat keinen doppelten Boden.

Haben Sie ihn durch Zufall gefunden oder bewusst einen jüngeren Hinterbänkler der CDU gesucht, weil diese Partei bei Ihrer Zielgruppe vermutlich nur eingeschränkte Sympathiewerte hat?

Beides. Ich wollte einen Verlierer und er sollte in der CDU sein, damit es keine Partei ist, mit der ich sympathisiere. Und da kam ich dann mit Hilfe der CDU auf Wichmann. Seine Leute sagten über ihn, der kämpfe wie ein Löwe und er habe keine Chance für den Bundestag.

Landtag ist ja auch ganz schön. Könnten Sie eigentlich einen Film machen, dessen Protagonisten Sie nicht mögen?

Schwer. Ich fühle mich irgendwie verantwortlich für meine Leute. Da lauert immer die Freundlichkeitsfalle. Auch von Wichmann haben wir nicht alles gezeigt, was wir hatten. Als wir anfingen zu drehen, habe ich zu meinem Kameramann gesagt, wir müssen es schaffen, diesen Mann zu verteidigen.

Aber manchmal wünsche ich mir, ich könnte etwas radikaler erzählen. „Willenbrock“ zum Beispiel, nach Christoph Hein, das hätte ich härter erzählen müssen. Aber vielleicht schaffe ich das noch.

Das Gespräch führte Henryk Goldberg

 

Henryk Goldberg, Thüringer Allgemeine 21.07.2012

Bild: Petr Novák, Wikipedia, CC BY-SA 3.0