Manfred Krug ist 75 Jahre alt – daran sehen wir, wie lange das alles schon her ist mit unserer Jugend. Ein Schauspieler und vor allem ein Sänger, der auch ein Stück Lebensgefühl der DDR repräsentiert.
Zwei ältere, aber leicht besoffene Herren. „Was hast du gesagt?“, sagt der eine Kommissar zu dem anderen Kommissar. „Wer ist der Mörder?“ Aber der hat das gar nicht gesagt, weil er das gar nicht weiß und weil ihn dieser Scheiß eigentlich gar nicht interessiert, jetzt. Den anderen Kommissar interessiert das auch nicht, jetzt, das stimmt ihn trübe. So greift er ins Klavier und probiert ein paar Töne. Schon singt er. „Somewhere over the rainbow“, und so klingt es auch. Und der andere Kommissar mustert den alten Kumpel mit leisem Erstaunen. Was der singen kann. Das war nur ein Moment im Leben des Tatort-Kommissars Stoever. Aber einer, der andere erinnert. Und es war eine der schönsten, besten Folgen dieses Tatorts. Und auch das ist schon wieder Jahre her.
Die gerührte Melancholie, die Krug im Osten umweht, benötigt ein gewisses Alter und die Erinnerung an das Lebensgefühl eines gewissen Landes. Den einen ist Krug einfach ein erfolgreicher Schauspieler, ständig „Auf Achse“, am „Tatort“, „Liebling Kreuzberg“ halt. Den anderen aber ist er vor allem der Mann, der mit Günther Fischer diese unglaublichen Platten machte. Das war nur ein Moment, nur ein Traum vom Glück, textete Krug, der mit Jazz und Lyrik das Land überzog. Er stand für die Botschaft, dieses Land könne etwas sein, das Spaß macht und Zukunft hat. Das war nur ein Moment. Nur ein Traum vom Glück.
Sein Traum war das Stahlwerk nicht, aber es stand ihm wie die Narbe von dort. Sein Traum war auch die Schauspielschule nicht, drei Semester abgelacht. Tingeleien, bisschen Jazz, Halbstarke für Film und Fernsehen. Dann, 1960, „Fünf Patronenhülsen“, 1961 „Auf der Sonnenseite“, das war es dann. Ein junger Bursche, bisschen ruppig, aber netter Kerl, bisschen Aufmupf, aber Herz auf rechtem, also: linkem, Fleck, so sollte es bleiben, mit dem Land und mit dem Manne. Das war nur ein Moment. Ein trügerischer.
1966 dreht Frank Beyer „Die Spur der Steine“ und das Politbüro schließt einen ganzen DEFA-Jahrgang in den Tresor. Das schien nur ein Moment. Aber das täuschte, denn dieses Jahr wirkte weiter, sie hatten es nie vergessen. Zehn Jahre später unterschrieb Manfred Krug für Wolf Biermann. Es ging ihm wie den anderen, und so ging auch er.
Beinahe zwanzig Jahre später veröffentlicht er das Tagebuch „Abgehauen“ und das Tonbandprotokoll des Gespräches, das das Politbüromitglied Werner Lamberz mit den Unterzeichnern führte. Das inoffizielle Gespräch fand in Krugs Haus statt, und der Gastgeber hatte ein Tonband versteckt. Ein Lauschangriff auf ein Mitglied des Politbüros.
Manfred Krug gilt als ein Mann, der gern Geld verdient. Er darf aber auch als ein Mann gelten, der Grundsätze hat. Dieses Tonband, das hätte ihm, zu Lebzeiten der DDR, im Westen sehr viel Geld und viel Öffentlichkeit erworben. Aber er hat es nicht verkauft, er hatte es versprochen.
Der Schauspieler ist so etwas wie ein ehrenwerter Kaufmann, diese Ein-Mann-ein-Wort-Verlässlichkeit. Wohl deshalb war er so etwas wie der Charakterdarsteller unter den Werbeträgern. Und deshalb besaß er den Charakter, sich bei jenen zu entschuldigen, die er zur T-Aktie überredet hatte. Kein Künstler mit Sendungsbewusstsein, ein Handwerker mit Charisma. Als er, im Westen, bemerkte, es werde die Singerei ihn hier nicht weit führen, da ließ er es. Das war nur ein Moment.
Und ähnlich unsentimental hielt er es mit der Schauspielerei. Die war ein Handwerk für ihn, keine Berufung. So hörte er auf damit, als er das Gefühl hatte, es wäre nun an der Zeit, so hörte er auf damit, wie andere aufhören in den Betrieb zu gehen, wenn sie Rentner werden.
Aber ganz so cool ist er wohl doch nicht. So sind die Auftritte im Osten für ihn nicht nur Berufstätigkeit. Sie sind kuschelige Wohlfühlveranstaltungen für das Publikum – und wohl auch für den, den sie noch immer den Manne nennen.
Das Leben wird sein, wie wir es machen. Er hat es gesungen und er hat es gelebt.
Und jetzt, da der Tag sich neigt, singt er es wieder. Das war nur ein Moment, nur ein Traum vom Glück. Aber einer der schöneren Momente, einer der schöneren Träume.
Deshalb ist Manfred Krug hier im Osten ein anderer als im Westen.
Das bewegte Leben von Manfred Krug in Ost und West
1937: Am 8. Februar in Duisburg geboren
1949: Nach Scheidung der Eltern Umzug mit dem Vater nach Ostberlin
1954: Schauspielschule
1956: Erste Filmrolle in „Mazurka der Liebe“
1960: „Fünf Patronenhülsen“
1962: „Auf der Sonnenseite“
1964: Erste Schallplatte „Jazz und Lyrik“
1966: „Die Spur der Steine“, nach der Premiere verboten
1968: Nationalpreis für „Wege übers Land“
1976: Protest gegen Ausbürgerung Wolf Biermanns
1977: Ausreise aus der DDR nach Westberlin
1979: ARD-Vorabendserie „Auf Achse“
1984: TV-Kommissar Paul Stoever im „Tatort“ bis 2001
1986: TV-Serie „Liebling Kreuzberg“ bis 1998
1989: Wiederaufführung von „Die Spur der Steine“
1996: Veröffentlichung des Buches „Abgehauen“
1999: „66 Gedichte“
2003: „Mein schönes Leben“
2008: „Schweinegezadder“
2012: „MK Bilderbuch. Ein Sammelsurium mit Texten von Manfred Krug“
Henryk Goldberg in Thüringer Allgemeine 08.02.2012
mehr lesen: Das Interview
Bild: Manfred Krug 1972; Bundesarchiv, Bild 183-K0622-0001-001 CC-BY-SA Katscherowski (verehel. Stark)
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