Es war ein blühender Garten. Die Menschen lebten glücklich und zufrieden. Dann brach eine finstere Macht in die Idylle. Fortan lebten die Menschen im Unglück und gedachten des verlorenen Paradieses in Trauer und Zorn. Und dieser Garten hieß DDR.

Wirklich? Nein, wirklich nicht. Aber es ist so ziemlich der Eindruck, den einer gewinnen könnte, wenn er die erbitterte Debatte der letzten Wochen um die Stasi-Studie beim Wort nähme. Es ist nicht die Aufgabe von Wissenschaft, zu erfreuen oder zu verdrießen. Die Aufgabe von Wissenschaft ist Forschung und Fortschritt.

Als ich diese Studie kennen lernte, da dachte ich: dünner Quark, wissenschaftlich gesehen. Denn die These vom Zusammenhang der nachhaltigen Zerstörung des Sozialkapitals, des Vertrauens der Menschen in sich und die Zukunft in Abhängigkeit von der IM-Dichte und deren Auswirkung auf die Produktivität, die Wirtschaftskraft in den neuen Bundesländern kann nicht den Hauch eines Beleges beanspruchen. Es handelt sich wohl um eine These, deren wissenschaftliche Schlichtheit überlagert werden soll von ihrer medialen Wirksamkeit. Für eine wissenschaftliche Debatte reicht es nicht, aber irgendjemand im Osten wird schon darauf anspringen.

So geschah es.

Wenn nun jemand tatsächlich eine soziologische Studie über den Zustand des deutschen Ostens verfassen wollte, dann könnte diese schlichte Arbeit als Indikator dienen. Und der Befund dieser Arbeit lautete zweifelsfrei so: Deutschland ist noch immer geteilt.

Die Reaktionen auf diese sog. Studie offenbaren eine emotionale Empfindlichkeit, die dankbar scheint, hier ein Ventil gefunden zu haben. Ein Ventil für den Ost-Komplex.

So ganz unter uns, unter uns Ostlern, sollten wir uns vielleicht doch gelegentlich ein wenig erinnern: Die DDR wurde nicht von der Treuhand abgeschafft, nicht von Helmut Kohl und nicht einmal von Hildigund Neubert . Dieses Land wurde abgeschafft von seinen Bürgern. Und es wurde auch deshalb abgeschafft, weil all die Sozialleistungen eingeschlossen die Planstellen der Theater und die Preise des Brotes in den Bankrott führten. Kohl, die Treuhand und so ziemlich alle, die mit der Herstellung des neuen Deutschland befasst waren, haben Fehler gemacht, gravierende Fehler zum Teil, indessen, es gab auch keinen Präzedenzfall, es gab keine Erfahrungen. Es gab nur, zu Beginn, einen großen Enthusiasmus und, bei anderen, eine ebenso große Gier. Und wer im Ost-Land geglaubt hat, dieses neue Deutschland würde etwas anderes als ein ganz normales West-Land mit allen Vorzügen und Problemen, der ist in gewisser Weise selber schuld.

Christa Wolf liefert in ihrem sonst nicht sehr anregenden Buch „Stadt der Engel“ eine Erklärung für manche Reaktion auf die Stasi-Studie. „Es dauert lange“, schreibt sie, „ehe falsche Empfindungen nur noch falsch sind.“ Bis dahin, meint sie wohl, sind sie auch schmerzhaft.

Es fällt uns schwer, zu respektieren, dass die Bewertung der DDR in Teilen auch eine Bewertung ihrer Bürger ist. Dabei, ein klitzekleines bisschen sollten wir, die wir verlässlich die Kandidaten der Nationalen Front wählten, die wir Teilnehmer am ökonomisch-kulturellen Leistungsvergleich waren und Mitglieder in sozialistischen Brigaden, ein wenig wenigstens sollten wir das respektieren und manchmal nicht ganz so selbstgewiss die große Ossi-Keule schwingen. Doch wir wehren uns mit einem wuchtigen Trotz, der sich mit Verklärung waffnet. Und was Selbstbewusstsein demonstrieren soll, das demonstriert unsere Komplexe.

Nein, es war nicht alles schlecht. Es war aber auch nicht alles gut.


Text: Henryk Goldberg