Griesbrei & Ragout fin
Zur Erinnerung: rechts gehts los sagt der Mann mit dem Mikrofon und dann gehts los. Ich sitze am Rande und schaue zu. Vor 45 Jahren bin ich vor solch einem Ereignis einmal geflüchtet und vor einigen Monaten habe ich es noch einmal gemieden.
„Man lässt die Dame nicht einfach auf der Tanzfläche stehen“, sagt der Mann mit dem Mikrofon mahnend.
Die Zöglinge des Fortgeschrittenenkurses, die schon ihren zweiten Ball tanzen, werden namentlich aufs Parkett gerufen, die Welttanznadel. Der Beobachter ist beauftragt, Laras Auftritt filmisch zu dokumentieren, aber Lara wird nicht aufgerufen, obwohl sie 38 von 45 möglichen Welttanzpunkten erhielt. Sie habe, sagt man ihr, nicht bezahlt. Sie hat aber, sagt sie, doch bezahlt.
Irgendetwas ist mit Tonis Unterrock passiert, sie arbeiten dran, so heißt es, auf der Toilette. Conni, Tonis Mutter, sitzt neben uns, Tonis Vater ist noch nicht da. Er kommt später, sagt Conni, er muss Steine schleppen im Haus. Das ist gut, denke ich, so kann er die Dame, die ich begleite, nicht auffordern und ich muss Conni nicht, obgleich sie eine angenehme Frau ist, die ich schon lange kenne.
„Die Jungen“, sagt der Mann mit dem Mikrofon, „schauen alle zum Fenster, nach Win-dischholzhausen.“ Ich frage mich, ob das der Mann ist, der mich vor 45 Jahren leiden ließ bei gleicher Gelegenheit oder schon sein Sohn. Als ich ihn das fragen will und frage, ob ich etwas fragen darf zwischen zwei Ansagen, da sagt er „Ne“. Kann sein, er spürt, dass ich derlei Exerzitien mit einer gewissen Distanz beiwohne, die von Herzen kommt. Und von den Füßen.
Tonis Unterrock ist wieder in Ordnung. Sieben Mädchen sitzen, in sehr ernsthafte Gespräche vertieft, in unserer Ecke.
Mara arbeitet mit einem Taschenmesser, eine Lady führt so etwas immer bei sich, an den Sohlen von Sarahs Schuhen, die sind zu glatt. Lara hat schon zu Hause mit einem Messer an ihren Beinen gearbeitet, aber das Pflaster fällt nicht auf.
„Da“, sagt der Mann mit dem Mikrofon, „ist gut Cha-Cha-Cha drauf zu tanzen.“
Tonis Vater kommt, die Sorge war unbegründet. Tonis Vater ist ein Tänzer, wie der Begleiter von Laras Mutter, die beiden Herren sind einander wert, wie die beiden Damen bedauernd feststellen.
Lara bekommt die Welttanznadel doch noch. Ein Missverständnis. Ich stecke sie ein und trage sie später nach Hause, in gewisser Weise auch ein Missverständnis. Das hat eine Welttanznadel, bezahlt oder nicht, nicht verdient, dass sie von mir getragen wird. Vielleicht, dass ich erst einmal an der komplizierten Schrittfolge der lustigen Polonaise arbeite.
Toni tanzt mit Regina, obwohl sie eigentlich mit einem von den zwei Alexen tanzt.
Der lustige Richter, der neben mir sitzt, hat einmal einen Knoblauch-Schieber freisprechen müssen. Aber hier gibt es keinen Knoblauch, nur Wiener Würstchen und Ragout fin.
Regina ist auf der Toilette, die Strumpfhose rutscht, sie arbeiten dran.
Alex wird Tonis Vater vorgestellt. Er scheint nicht der glücklichste Mensch in diesem schwierigen Augenblick, doch kommt es zu keinerlei Zwischenfällen.
Griesbrei, der etwas kleiner ist als Lara, muss mit ihrer Mutter tanzen, Walzer und andere Widrigkeiten. Griesbrei kann nicht ahnen, wie sehr ich ihn bewundere. Als ich im Griesbreialter war, da waren die Mädchen schon ein Problemfall, die Mütter wären die Hölle gewesen. Griesbrei, Junge, du hast es voll drauf! Ehrlich Mann, das sagt dir einer, für den die Polonaise schon eine Herausforderung ist. Als es zu Ende ist, da trägt Griesbrei lässig den schönsten Hut im Revier. Doch, das war ein richtig schöner Abend. Aber wieso eigentlich? Vielleicht, weil ich mich dieses Mal nicht gedrückt habe.
Autor: Henryk Goldberg
erschienen in Thüringer Allgemeine, 01.05.2010
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