Kunst oder Unterhaltung? Der verzweifelte Spagat, es mit dem Deutschen Filmpreis allen Recht zu machen

(DEUTSCHER FILMPREIS, 2009)

Das Kino, so geht seine Legende, ist vor allem deshalb so spannend, weil es immer Industrie und Kunst gleichzeitig ist. Was aber, wenn eine Gesellschaft wie die deutsche ihr Kino weder richtig als Industrie noch richtig als Kunst behandeln kann? Dann entsteht ein »Kinokomplex«, in dem es vornehmlich um Transferleistungen von Staat, Kino und Fernsehen geht. Diese Transferleistungen, verstrüppt genug, um sich allgemeinem Verständnis und Kritik zu entziehen, werden in der Sphäre der Produktion und in der Sphäre der Verwertung vollzogen. Dazwischen liegen merkwürdige Veranstaltungen, in denen sich sehr verschiedene Impulse mehr oder weniger gekonnt verbinden: die Organisation der finanziellen Transferleistungen, die Selbstdarstellung eines Komplexes, der weder Industrie noch Kunst genannt werden darf, der Versuch »Glamour« zu erzeugen, die Arbeit an der Fernsehkompatibilität der Produkte des Filmkomplexes und schließlich die Auszeichnung der »besten« Filme. Eine der merkwürdigsten dieser Veranstaltungen ist der Deutsche Filmpreis, der seit dem Jahr 2005 von einer Deutschen Filmakademie vergeben wird. Ehrlicherweise müsste man sie eher Fernseh- und Filmakademie nennen. Denn ihre Veranstaltung speist sich nicht aus einem genuinen Glamour, der aus der Filmproduktion selber käme. Es ist vielmehr der Glamour der allerüblichsten Fernsehevents. Und so verwandeln sich bei solchen Veranstaltungen die Protagonisten des deutschen Filmkomplexes eben nicht in »Stars«, sondern bloß in »Promis«. So wie die Preisverleihung die Maske einer finanziellen Transferleistung ist, ist dieser Glamour die Maske eines kulturellen Transfers vom Film zum Fernsehen.

Ein Favorit: »John Rabe«, großes nationales Wohlfühlkino

Im Gegensatz zu seinem großen amerikanischen Vorbild Oscar, ist der Deutsche Filmpreis erheblich dotiert – er ist, um es genauer zu sagen, mit insgesamt 2,8 Millionen Euro staatlichen Subventionsgeldern unser höchstdotierter Kulturpreis überhaupt. Gesucht wird nach dem mythischen Produkt, das Kunst genug, Unterhaltung genug, deutsch genug und international genug ist, um zugleich »das Beste« und »die Mitte« zu repräsentieren. Gesucht wird der deutsche Superfilm, der alle Widersprüche seiner Produktion vergessen lässt. Gesucht wird der Film, für den sich niemand schämt und der niemandem wehtut. Die inszenatorische Kunst liegt nun darin, diese Suche so zwischen Castingshow, Preview-Populismus und Mega-Event zu spreizen, dass öffentliche Anteilnahme erzeugt wird, vor allem dort, wo es gewiss nicht diese altmodischen und wenig systemrelevanten »Cineasten« gibt. So wie bei Song-Contesten, Champions-League-Spielen oder Papstwahlen auch Menschen in Bann gezogen werden, die sich ansonsten weniger für Schlager, Fußball oder Unfehlbarkeitsdogmen interessieren, soll der deutsche Filmpreis ausstrahlen über das, was man sich noch Filmkultur zu nennen traut.

Die diesjährigen Nominierungen für den besten Film (Verleihung am 24. April): Im Winter ein Jahr von Caroline Link, Wolke 9 von Andreas Dresen, Der Baader Meinhof Komplex von Uli Edel, John Rabe von Florian Gallenberger, Jerichow von Christian Petzold, Chico von Özgür Yildirim. Definiert wird hier natürlich eine Spannbreite für das, was im deutschen Kinokomplex »geht«, zwischen zumutbarer »Filmkunst« und zumutbarem »Mainstream«. Der deutsche Film, das wäre also in etwa alles, was zwischen Christian Petzold und Caroline Link liegt, zwischen der kleinen Menschenfreundlichkeit von Wolke 9 und dem bombastischen nationalen Feelgood-Movie von John Rabe .

John Rabe, ist ein Musterbeispiel für das Genre des neueren deutschen Geschichtsfilms: opulente Ausstattung, konventionelles Handwerk, bewährte bis gute Schauspieler, Verknüpfung von Epos und Soap-Opera, von »wahrer Geschichte« und erfundener Liebes- oder Familiengeschichte, und ausgestattet mit einem naiven und beschwichtigenden Blick auf die, nun ja, finsteren Zeiten des Nationalsozialismus. Erzählt wird die Geschichte des Hamburger Kaufmanns John Rabe (Ulrich Tukur) in China, der in der Ferne zwar NSDAP-Mitglied ist und seinen Angestellten auch den Hitlergruß beibringt, aber von der wahren Natur der Herrschaft in Berlin nichts ahnt. Einen »irrtümlichen Nazi« nennt Florian Gallenberger seinen Helden. Das Bild, auf das der Film dann nur hinauszuwollen scheint: John Rabe rettet »seine« Chinesen vor dem japanischen Fliegerangriff, indem er sie unter einer riesigen Hakenkreuzfahne Zuflucht nehmen lässt. Ansonsten geht der Film weder auf Widersprüche der Figur noch der Situation ernstlich ein und dichtet dem Protagonisten lieber eine schmalzige Beziehungsgeschichte an. Es handelt sich um das weltmarktkompatible Feelgood-Movie mit Nazihintergrund, das auch schon seine eigene filmische Sprache entwickelt hat, die hier »gekonnt« und unreflektiert verwendet wird.

John Rabe bringt schon Preise aus einer ähnlichen Show mit, die ähnlich funktioniert – dem Bayerischen Filmpreis. Prämiert wurden bei diesem »bayerischen Oscar« übrigens Caroline Link für Im Winter ein Jahr und als beste Filme John Rabe und Der Baader Meinhof Komplex. Wir werden also Zeuge einer Art Akkumulation, Preise sind keine Statements mehr für einen Dialog von Kinoproduktion und kritischer Kultur, sondern feste »selbst verwaltete« Elemente von Verwertungsstrategien. Preise im deutschen Filmkomplex regnen nicht, sie klumpen.

Nun aber suchen wir den, na klar, »absoluten« Gewinner. Der Rummel, von dem die Akademie schwärmt, hat inzwischen freilich nicht nur eine gewisse Erwartungshaltung, eine Art Deutschland sucht den Superstar- Spannung erzeugt, sondern auch einen erheblichen Druck auf die Preisverleihung. Bei der Bekanntgabe der Nominierungen in den verschiedenen Kategorien wird John Rabe zuerst im deutschen Fernsehen (dem Produktions- und Verwertungspartner des deutschen Filmkomplexes), dann im allgemeinen Medienrauschen zum »Favoriten« erklärt. Neben den Preisen klumpen auch die Meinungen. Wird der »Favorit« tatsächlich Superfilm des Jahres, dann wird man den Mitgliedern der Akademie vorwerfen, sich dem Mainstream-Geschmack zu unterwerfen (im Blick deutscher und internationaler Kritik ist John Rabe übrigens nirgends als Film von großer Innovationskraft oder eigenwilliger Handschrift identifiziert worden); entscheidet man sich aber anders, so ist der Preis eben nicht das erhoffte Verbindungsstück zwischen deutschem Film und medialem Mainstream.

Dass das Wirken der Akademie im Allgemeinen und die Nominierung und Verleihung des Deutschen Filmpreises eine Schlüsselposition in der »generischen Werbung« für das deutsche Kino ist, ist keine satirische Fantasie des Kritikers. Es gehört vielmehr zur Selbstdefinition dieses deutschen Filmkomplexes, ebenso wie eine von der Akademie in Auftrag gegebene Imagestudie unter dem Titel Optimierte Vermarktung und zielgenauere Kommunikation bei der Bewerbung deutscher Filme, Verbesserung der generischen Werbung.

Generische Werbung ist das, wogegen sich die deutschen Landwirte erfolgreich zur Wehr gesetzt haben. Nach der offiziellen Definition handelt es sich dabei um ein »Marketing-Instrument, das zur Absatzförderung einer Gütergattung eingesetzt wird«. Also nicht ein Produkt, eine Marke oder eine Ware wird beworben, sondern eine »Gütergattung« wie zum Beispiel »Käse aus Bayern« oder »Filme aus Deutschland«. Die Werbung für »Käse aus Bayern« entwertet den absolut einmaligen Weißlacker vom Huberbauern; die Werbung für »Filme aus Deutschland« erklärt den Bankrott der Autoren. Generische Werbung kommuniziert nicht nur eine Gütergattung, sie erfindet sie auch. Womit wir wieder beim deutschen Filmpreis sind. Akademie, Filmpreis, Imagestudie, generische Werbung – das alles ist Teil einer Maschine zur Herstellung, Definition und Normierung einer Gütergattung. Werfen wir einen Blick auf die Preisträger der letzten Jahre: Respektables, Sympathisches und Gekonntes ist dabei; die Bandbreite der diesjährigen Nominierungen wiederholt sich: Zwischen Absolute Giganten und Nirgendwo in Afrika , zwischen Fatih Akin und Florian Henckel von Donnersmark schreitet die Kreation der Gütergattung »Film aus Deutschland« fort. Nie muss man sich schämen, nie wird die öffentliche Ruhe gestört.

Der Preis spaltet das Publikum in Allesfresser und Cineasten

Am Ende entsteht ein Kino, das man auf ein paar Schlagwörter zurückführen kann: Ein »deutsches Thema« soll sein (mal eher realistisch-gegenwärtig, aber nicht zu kalt, mal episch-historisch, aber die Grenze zum Nationalkitsch darf allenfalls gestreift werden). Akzeptabel für das Mainstream-Publikum soll es sein (will heißen: eine gute Mischung aus Autoren-Handschrift, Hollywoodvorbild, Fernsehfilm und Arthouse-Kunstgewerbe). Und schließlich: Fernsehtauglich muss es sein (unterschieden in mehrteilertauglich, primetimetauglich, und mitternachtskulturfüller-tauglich). In diesem Kinosegment der Gütergattung »Film aus Deutschland« können durchaus schöne, interessante und wichtige Filme entstehen. (Die »Käse aus Bayern«-Kampagne kann ja auch nicht verhindern, dass manchenorts dort noch verdammt guter Käse hergestellt wird.) Für eine lebensfähige Filmkultur aber ist diese Art der Vermarktung eher ruinös. Die generische Werbung rettet nicht das deutsche Kino, sondern ist ein Teil seiner Auflösung im Fernsehen. Eine mediale Großveranstaltung wie der deutsche Filmpreis spaltet das Publikum radikaler, als es auch den weniger zimperlichen Produzenten lieb sein kann: in jubelnde Allesfresser und in angewiderte Cineasten. Letztere mögen vielleicht in der finanziellen Bilanz des deutschen Kinokomplexes eine zu vernachlässigende Größe sein. Aber gäbe es eine Hoffnung, aus dem deutschen Kino wieder eine Kultur zu machen, möglicherweise wenn sich das Konzept der populistischen Medienmultiplikation als »Blase« erweist, dann freilich würden sie schmerzhaft fehlen, die verlorenen angewiderten Cineasten.

Autor: Georg Seesslen

Text veröffentlicht in DIE ZEIT, 02.04.2009 Nr. 15