War Horst Janssen ein großer Künstler? Mit ziemlicher Sicherheit: ja. War er ein bedeutender Künstler? Äh, definiere „Bedeutung“. War er ein Künstler, der etwas geändert hat, in der Geschichte der Kunst, in der Gesellschaft, im Betrieb? Eher nicht. Viel mehr ist erstaunlich, wie ein Betrieb, wie ein Markt vergessen kann, was ihm nicht taugt. Und dass mehr die Erinnerung an eine, gelinde gesagt, bizarre Persönlichkeit bleibt als die an einen Künstler, von dem der Kritiker Wieland Schmied das Treffende gesagt hat: Dass er nicht Gegenstände und Gesichter zeichnet, sondern das Zeichnen selber.
Auch ich habe, in einer zwischen Rebellion und Lähmung oszillierenden Kleinstadtjugend, Horst Janssen über den „verhängnisvollen“ Spiegel-Artikel kennen gelernt, der uns, in einer Zeit, da Kunst vor allem cool, ironisch und irgendwie unberührbar geworden war, das versoffene, schmuddelige, narzistische und monströse Genie wieder gab. Endlich wieder ein Künstler, der von sich selbst besessen schien. Was für ein Bullshit. Und doch, ohne diesen Artikel wäre Janssen nie zu dem Image gekommen, das ihn wahrnehmbar machte für eine irgendwie kunst-affine Öffentlichkeit und über einen limitierten Kreis von Sammlern hinaus. Und zugleich gefangen hielt in diesem Schwebezustand vergifteter Distanz zu Kunst und Gesellschaft seiner Zeit. Das alles erzählt sehr viel mehr über die Kultur- und Mediengeschichte der BRD in den sechziger Jahren als über die Kunst von Horst Janssen.
Quer indes lag sie schon zum allgemeinen Trend. Es gab diesen einzigartigen Strich, der einen hier an Dürer erinnerte, dort Goya zitierte, aber doch in seiner drastischen Zartheit etwas ganz eigenes hatte, die fließende Verbindung von Bild und Text, das Filigrane und Überfüllte, das an überraschenden Stellen ins Leere und Verschwindende übergeht. Und es war ausgerechnet die so vollkommen aus der Mode gekommene Kunst des Selbstportraits, die Janssens Eigenartigkeit zeigte.
Man könnte wohl sagen, dass Horst Janssens Aufscheinen im deutschen Kunstbetrieb, teils Inszenierung und teils Entdeckung, unter anderem Symptom für einen Übergang war. Zwischen der kühlen Abstraktion, die als Mainstream und Synonym für moderne Kunst schlechthin galt, und der rührend aus der Zeit gefallenen, engagierten figurativen Kunst, zwischen dem Beginn der eingreifenden Kunst, Happening und Fluxus und der sarkastischen Verweigerung der Minimal Art machte Janssen einfach sein eigenes Ding.
Abseits des ästhetischen wie des politischen Diskurses. So konnte er zum Liebling jener werden, die von der Kunst auch als Handwerk sprechen und eine reine individuelle Beziehung zu ihr entwickeln wollten; Kunst, die ohne Theorie, Geschichte und Diskurs zu verstehen war. Eine unzeitgemäße Gegenwärtigkeit war da versprochen.
Und dabei blieb er auf wohltuend mürrischer Distanz, schimpfte und maulte, lachte und greinte über den Betrieb, die Kunst und nicht zuletzt über seine Gönner, war zugleich hochnäsiger Meister und ewiges verspieltes, bockiges, bald schon besorgniserregendes Kind. In den siebziger Jahren war Janssen, paradox genug, mehr Pop als Kunst, was die mediale Widerspiegelung anbelangt. Nicht nur, weil er mit seiner Druck- und Verkaufspraxis ein Künstler war, den man sich leisten konnte, sondern auch einer, den man sich vorstellen konnte. Janssen war der Name eines Schauspiels. Drinnen, in der Burg des ewigen Zeichnens, sah die Sache natürlich anders aus.
Mit der großen Janssen-Biographie von Henning Albrecht kann man nun einmal unter den Teppich der Masken und Mythen schauen, den nicht nur der Betrieb, sondern auch der Künstler selber gewoben hat, und unter den seine Entourage so manches gekehrt hat. Ist so etwas notwendig? Schwer zu sagen. Faszinierend ist es allemal. So wie ja jedes Leben, wenn man es richtig erzählt, Bedeutung, Schönheit und Erkenntnis generiert. Aber der Autor warnt zu Recht gleich am Anfang: Ein kohärentes Bild wird das nicht geben. Am ehesten wird so etwas wie ein kaputtes Charisma deutlich.
Und dann: Ein deutsches Leben. Ein unehelich geborenes Kind, mal zu viel, mal zu wenig Zuwendung und Liebe, frühkindliche Entbehrungen und problematische Identifikation. Nach einer „paradiesischen“ Kindheit bei den Großeltern und dem Leben im Oldenburger Kleinbürger- und Arbeiterviertel, folgt die Nazizeit; die gehassliebte Mutter begeisterte Anhängerin des neuen Regimes. „Dann kam ich auf die Napola, wo ich erzogen wurde und danach auf die Kunstschule in Hamburg, wo ich wieder vergaß, dass ich erzogen worden war, was zur Folge hatte, dass ich nicht solange Student sein konnte, wie ich wohl wollte“. Was da lyrisch verknappt zusammengefasst ist, das entspricht einem Modell der Entwurzelung im unteren deutschen Kleinbürgertum, die lange vor Hitler begonnen und mit dem Kriegsende nicht abgeschlossen war. Es war nicht in der Lage, aus seiner Mischung von Selbstüberschätzung und Minderwertigkeitskomplexen, die geforderte Modernisierung und Urbanisierung zu vollziehen, aber zur gleichen fand dieses untere Kleinbürgertum in der Provinz auch keine Heimat mehr. Aus solcher Herkunft machte Janssen ein Programm: „In mir (…) triumphiert hämend Verachtung für die verfluchten, blutleeren, fleischlosen, lahmarschigen, glattzüngig zelebrierenden Geister der Metropolen“. Es soll eine radikal anti-großbürgerliche Kunst werden, die aber sub-kleinbürgerlich keine rechte Klassenidentität hat. Weil das nicht gelingen kann, wird die Kunst die eines solitären, eines, der verachtet und verachtet wird. Anders gesagt: Für Horst Janssen war die Kunst das einzig mögliche, aber sie war niemals die Lösung für seine individuelle und soziale Krankheit. Seine Versuche, sich durch Kunst zu heilen, machten die Krankheit nur noch schlimmer.
Die „psychologische“ Deutung und die Beziehung zur Kunst mag immer einmal wieder übertrieben erscheinen. Es wird eben doch mehr Konsistenz konstruiert als im Vorwort angegeben. Aber Janssen selber hat in der Tat selber viel zu seiner Deutung aus den Verletzungen der Kindheit heraus getan, und dieses Material wird auch ausgiebig zitiert. Ganz nebenbei könnte man erfahren, dass aus Horst Janssen wohl auch ein nicht uninteressanter Schriftsteller hätte werden können, was im Umkehrschluss übrigens bedeutet: Der Kerl, wenn er über sich selbst spricht, lügt wie gedruckt. Über weite Strecken ist das Buch eine Überprüfung, Ergänzung und Korrektur, der Versuch, hinter der Janssenschen Fabulierlust die Wahrheit zu erkennen, ohne diese Fabulierlust des Künstlers zu denunzieren. Selbst das was als frühes Schlüsselerlebnis für Janssens Todesbilder gilt, die Begegnung mit dem Tod eines englischen Soldaten, erweist sich bei genauerem Hinsehen als poetische Fiktion. Vaterlosigkeit, prekäre Mutterbeziehung, die Erfahrungen in der Napola – das alles habe die anarchische Lebensart begünstigt. „All das prägt sein Verhalten anderen gegenüber, seinen Stolz und seine Minderwertigkeitsgefühle, seine Liebesbedürftigkeit und seine Angst sich auszuliefern, seine Befehlslaunen und seine Depressionen; es fließt in seine Unberechenbarkeit, seine verquere Sexualität, seinen sozialen Sadismus, seine Süchte“ (Henning Albrecht). Vielleicht. Wir haben jedenfalls ein Doppelbildnis vor uns: Hier einen begnadeten, wenn auch etwas aus der Zeit gefallenen Künstler, der in zwei, drei Etappen jeweils seine ganz persönliche Ausdrucksweise fand, und dann aber immer weiter, aus Angst vor der Routine und der Selbstwiederholung, etwas ganz anderes versuchte, dabei mögliche Marktpositionen wieder verspielte. Und da die Borderline-Person, alkoholkrank und von einem unverzeihlichen Hang zur Gewalt gegen die Nächsten, gegen die Geliebten vor allem, getrieben, zugleich ein Verführer und Manipulator, einer, der andere rasch durchschaute, aber selber nie durchschaut werden wollte, einer der immer wieder selber darüber erstaunt darüber ist, dass seine Art zu leben ihn noch nicht umgebracht hat. Dieser Horst Janssen war, je nachdem, wie man es sieht, ein sehr kranker Mensch, oder einfach auch ein Riesenarschloch. Das Tückische ist indes, das, wie sein Biograph betont, der eine Janssen nicht ohne den anderen zu haben ist, der Künstler nicht ohne die Borderline Person und umgekehrt.
Ist in der Kunst etwa die „verborgene Person“ zu finden, oder ist sie im Gegenteil die Fortsetzung des Verbergens? „Seine ganze Kunst lebt vom Spiel“, und „in ihm lebt die Ohnmacht des Kindes und zugleich dessen namen- und grenzenlose, durch Ratio nicht gebändigte Wut: der kosmische Zerstörungswunsch“. Das konstruiert natürlich dann doch, wenn auch in etlichen Nischen aufgeklärt, das monstre sacré, aber es erklärt, wichtiger vielleicht, den Umstand, dass Horst Janssen so gänzlich solitär blieb, keine Schüler, keine Mitstreiter, kaum Nachahmer gefunden hat. Er ist einer dieser wilden Kinder der Nachkriegszeit, die familiär und sozial nicht zu bändigen sind, deren Kreativität einigermaßen ungebremst destruktive und selbstzerstörerische Elemente miteinander verbindet. Unfähig, sich von der Vergangenheit zu lösen, unfähig aber auch, sich vollends der Gegenwart zu stellen. Ein anti-utopisches Leben, das eine anti-utopische Kunst generiert.
Prägend wird auch die Hamburger Kunsthochschule (die er mit 16 besucht), an der die Wende zur Abstraktion weniger bestimmend ist als an anderen Akademien in Deutschland, und man eher an die Expressionisten anknüpft. Das „Gucken-Können“ lernt er von seinem Lehrer Alfred Mahlau. Beinahe interessanter als die psychischen sind die technischen Genealogien, etwa die ursprünglich aus Not und Knappheit entstandene Vorliebe für die Benutzung „gebrauchten“ oder „verunreinigten“ Papiers für die Zeichnungen (und Drucke): Die Entstehung einer „Ästhetik des Unfertigen“. Auch seine Technik des Tiefdrucks in Holz mit seinen Nass-in-nass-Effekten entstammt vielleicht diesen Erfahrungen des Mangels und der Improvisationen: Horst Janssens Kunst ist dort am beeindruckendsten, wo sie erscheint, als wäre sie wirklich allem, den Gegenständen, den Materialien, den Blicken, den Vorbildern, den Regeln und dem Autor selber zum Trotz entstanden. Und am schönsten ist sie dort, wo sie all das auch wieder vergessen hat, wo sie nach Hokusai oder Goya nichts anderes mehr sucht als die Wahrheit.
Aber das sind Momente. Das Gesamtwerk ist vielmehr Dokument eines lebenslangen Zorns und der unmöglichen Suche nach einem Ort (auch einem Ort in der Kunstgeschichte). Und auch die Wut gegen die Leute aus den besseren Familien, die Groß- und Bildungsbürger pflegt das „Bastardkind mit dem Nazifleck“. Früh indes beginnt das Interesse an der Illustration von Märchen und Sagen („Eulenspiegel“, „Lütt Matten de Haas“), als ginge es schon da immer darum, „Zufluchten“ zu finden gegen die urbane Moderne. Ende der 50er Jahre ist Janssen eigentlich ein zumindest regional etablierter Künstler, mit so einem Status könnte man sich einrichten; die letzte Stufe zum Erfolg kommt dann mit der Hinwendung zur Radierung. Erst jetzt bekommen seine Arbeiten eine charakteristische Leichtigkeit, die erotische Schwebe, wie im „Nana“-Zyklus, und eine neuerliche Auseinandersetzung mit älteren und neueren Vorbildern (darunter gewiss auch die art brut, immer wieder Paul Klee, aber auch die karikaturhaften Zeichnungen eines James Thurber) schließt sich an. „Nie wieder wird Janssens Kunst so nah am Zeitgeist sein, sich dem Stil und Trend der Szene nähern, ohne allerdings ausgesprochen zur Avantgarde zu gehören“(Henning Albrecht). Es ist das Groteske, Surreale, „Halbfigürliche“ dieser Zeit, eine Kunst, wie gesagt, die Teil eines Übergangs, Wegbereitung für junge Wilde und neue Heftigkeit hätte sein können, wenn Janssen nur die Möglichkeit erkannt hätte, mit irgend etwas anderem als mit sich selbst zu tun zu haben.
Dann folgt wieder eine Zeit des Absturzes, danach erst wieder durch die Hinwendung zur Zeichnung der Neuanfang: Die gespenstische Physiognomie seiner „entkörperten“ Wesen mit winzigen verschwindenden und doch dominanten Augen; es sind durchaus bösartige Geschöpfe, und: „Die Gefahr, die von diesen falschen Dämonen ausgeht, wird dementiert durch die Weichheit der Schattierungen und die Formen, aus denen sie bestehen – und so nur gesteigert. Das Grau ist ein gestricheltes, flächiges Land zwischen den Formen“, und das alles entsteht organisch, „ohne Korrektur“, wie Albrecht betont. Es entsteht, kurz gesagt, unter Janssens Stift nun eine eigene Bildwelt, eine Zwischenwelt, wie es sie nun wirklich noch nicht gab. Und die Rückkehr zum Gegenständlichen macht ihn nun endgültig zum Dissidenten der Kunstszene. Daneben entstehen direkte Auseinandersetzungen mit einzelnen Bildern von Ensor oder Klee; der zweite Schub der „Karriere“ bringt dem Künstler eine Bedeutung ein, der der Mensch nicht gewachsen ist.
Mit der großen Ausstellung, die in der Kestner-Gesellschaft in Hannover 1965 beginnt und dann durch die Bundesrepublik tourt, ist der „eigentliche Durchbruch“ geschafft. Da ist aber schon die Kluft entstanden zwischen dem Künstler und der Mediengestalt. Der Blick auf seine Arbeit ist erschwert durch die Sensationen. Janssen ist nicht nur ein Produkt des Spiegel, sondern auch der Bild-Zeitung und der Illustrierten. So etwas bleibt nicht ohne Folgen. Und dem Künstler blieben die Attribute des „Nackten“, des „Schonungslosen“, des „Sezierenden“ usw. Ein unglücklicher Vergleich in einer Eröffnungsrede, in der Rembrandt vorkam, wurde zum journalistischen Selbstläufer. Ab 1965 konnte man kaum von Janssen lesen ohne dass der Name Rembrandt vorkam. Und kaum einmal kamen nicht Suff, Sex und Gewalt vor. Der seltsame Pakt mit der Schweinepresse vergiftete auch die Kritik.
Aber auch nach den größeren Erfolgen kommt es zu einer neuen Krise, der Furcht vor der Selbstwiederholung. Danach die Wendung zur Landschaft und zurück zur Radierung. Damit, so scheint es, hat Horst Janssen sich endgültig von der Kunst-Öffentlichkeit und dem Diskurs der Zeit verabschiedet. Dieses Menzel- und Friedrichhafte, diese Gleichgültigkeit gegenüber dem, was in der Kunst sonst so los war. Kargheit indes, und Genauigkeit. Er sieht sich fest in der Landschaft, schaut durch alle Gewohnheit hindurch. Auch hier geht es um den Zustand des Zeichnens selber : „Durch das Zeichnen nach der Natur wird das Zeichnen zu einem immerwährenden Zeichnen“, sagt Janssen.
Damit tritt das zersetzende, das Zerfallende, kurzum der Tod in seiner Arbeit an Gesichtern und Träumen in den Hintergrund. Ach, wir hätten uns nun auch ein Happy Ending für den Menschen Janssen gewünscht, und mehr noch für jene, die es gut mit ihm meinten und ihm doch immer nur wieder zum Opfer fielen. Wäre nicht diese endlose und unerfüllbare Frage nach sich selbst erledigt? Jedenfalls kann Janssen jetzt wohl reisen, und das ist in der Tat Teil eines „neuen Lebens“. Es folgt eine Phase der Abstinenz und der Produktivität. Die Landschaft ist wie ein Exil, in das er sich freiwillig begibt, und das ihn frei macht. Logisch, dass die Kritik ihm, wie vorher die „Gefälligkeit“ nun „Eskapismus“ vorwirft. Auch das zweite was Janssen zu dieser Zeit antreibt, scheint vollkommen aus der Zeit gefallen: die Kopie. Natürlich ist das nicht das Reproduzieren, sondern ein Anverwandeln, aber im Gegensatz zum „Apropriieren“ der kommenden Zeit ist es ein respektvolles Umgestalten der Vorbilder, von Claude Lorrain bis Hokusai. In beidem, dem Zeichnen nach der Natur (genauer gesagt meistens nach den eigenen, kunstlosen Fotografien) und in diesen „Kopien“ sieht Janssen eine „zweite Akademie“, die eigentliche Näherung an Meisterschaft. Seine Idee ist es, die Meister noch einmal zu konzentrieren, ihnen noch einmal das Zuviel wegnehmen (so wie der Landschaft in seinen Bildern das Leben weggenommen wird). Das geht schließlich so weit, dass es „Kopien ohne Vorlage“ gibt. Das Original (das in ihm Fehlende) wird fiktionalisiert. Und schließlich wird sogar ein Maler erfunden, Bartholomäusz van Berhuizen der Ältere (1585-1650).
Es ist ein lebenslanger Kampf um die Annäherung bzw. die Befreiung vom Ich. Und in dieser Frage nach dem Subjekt ist Horst Janssen wesentlich „moderner“ als es seine Diskurs-Kritiker wahrhaben wollten. Das Spiel mit den Zitaten von Zitaten und mit den Identitäten (die Vorbilder der Kopien treten schließlich selber in den Arbeiten auf) verlangt nach einer intensiveren Lektüre der Bilder. Der Künstler ist nicht nur Nachfahr, sondern auch Partner, und dann auch (Wieder-) Geburtshelfer seiner Vorgänger. Das ist nicht nur eine typische Mischung aus Anmaßung und Demut. Man könnte hier auch wieder sehen lernen, oder „kucken“, um mit Janssen zu sprechen.
Aber entstammt dies alles nur der Neurose, dem Alkohol, dem gefährlichen Pervitin? Sogar Janssen selbst beschreibt sein manisches „Stricheln“ als eine letzte Ordnung, „ein letztes Korsett“, das er einer kranken Psyche und dann auch einem kranken Körper umlegt. Kunst und Leben jedenfalls schwimmen auch hier ineinander. Und Janssens Werk wäre nur halb so interessant, wenn es nicht auch die Chronik des Nachkriegslebens, den Kampf um die Freiheit und zugleich die Kontrolle, in der restaurativen, verlogenen Adenauerzeit und in den mehr oder weniger swingenden sechziger und siebzigern wäre bis in die kühl hysterischen Achtziger wäre. Denn so psychologisch intensiv sein Leben war, so war doch auch vieles daran eben exemplarisch für eine entwurzelte Klasse des Kleinbürgertums, das um Leben und Würde kämpfte, und dabei keinen wirklichen inneren Halt mehr fand. In der deutschen Nachkriegskultur ist dieser manische, vaterlose, liebesbedürftige und boshafte, der zerströrerische und selbstzerstörerische, von Drogen und Schlaflosigkeit, nur mit einem zu vergleichen, mit dem Filmemacher Rainer Werner Fassbinder, der ähnlich einen Zirkel von Menschen um sich scharte, die er manipulierte, kränkte, gegeneinander ausspielte und doch brauchte. Selbst der Blick ist ähnlich, die Arbeitswut sowieso. Müsste ich zugleich Krankheit und Kunst der Nachkriegszeit beschreiben, ich begänne mit Fassbinder und Janssen. Gegenstand der Zeichnungen von Horst Janssen, wie gesagt, ist nicht der Gegenstand, sondern das Zeichnen selbst. Und ganz ähnlich waren Fassbinders Filme nicht bloß Filme über etwas aus dem Leben, sondern das Leben selbst. Unvorstellbar diese Hitze im Film und in der Kunst unserer Gegenwart.
Ganz nebenbei also ist auch etwas vom Wandel in der politischen Ökonomie in der Kunst in diesem Künstlerleben mitzubekommen. Janssen war wohl Zeit seines Lebens auch finanziell on the edge, es war seine Idee, seine Kunst erschwinglich und verbreitet zu machen, aber damit zwang er sich auch eine intensive Arbeitsweise ab, die dafür sorgte, dass auch weniger gelungenes auf den Markt kam. Janssen ist zwar populär, aber nie wirklich „teuer“ geworden, und wie der Betrieb heute funktioniert ist das schon fast ein Urteil zum Vergessen-Werden. Wenn wir also den Mythos eines monstre sacré brauchen, um seine Kunst vor dem Vergessen zu bewahren, dann soll es eben so sein.
(Langfassung)
Georg Seeßlen
Foto: Horst Janssen in seinem Atelier in Hamburg-Blankenese
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