Wohin soll der Mensch gehen, wenn seine Welt zur Hölle wird? Wer bleibt und noch Kraft hat, der muss entweder das Töten lernen oder sich aufs Getötetwerden vorbereiten. Ansonsten bleibt ein zukunftsloses, zermürbendes, ohnmächtiges langsames Sterben. Es ist keine leichte Entscheidung, zu fliehen. Man hat noch etwas mehr zu verlieren als das Leben. Seine Würde. Seine Menschlichkeit. Man flieht nicht nur vor den Mördern, sondern auch davor, selber zum Mörder zu werden. Beides gelingt nicht immer. Aber wohin? Es bleibt nur Europa. Dort gibt es Arbeit und Hoffnung, dort wird doch der Reichtum der Welt hergestellt, und die Freiheit und der Wohlstand.
Niemand denkt, dass Europa einem alles schenkt, fast niemand jedenfalls. Aber die wenigsten glauben, dass man, wenn man die scheinbar gefährlichsten Teile der furchtbaren Reise hinter sich gebracht hat, nur in einer anderen Hölle gelandet ist. Europa will uns nicht, Europa hasst uns, auch Europa tötet, nur subtiler. Denn auch Europa gibt es nicht. Es ist ein wüstes Durcheinander, ohne Würde, ohne Menschlichkeit.
Aber es ist doch eine ganz andere Hölle. Hier gibt es ja nicht nur die Terroristen und Mörder, die Korrupten, Wahnsinnigen und Mächtigen, hier gibt es noch die ganz normalen Menschen, die ihrer Arbeit nachgehen, eine Wohnung und einen Wagen haben, einen Garten vielleicht, und Kinder, die ohne Angst zur Schule und auf den Sportplatz gehen. Nur die Polizisten scheinen überall gleich auf dieser Welt. Wenn man ihnen zu prügeln befiehlt, dann prügeln sie. Europa hat viele Polizisten.
Europa ist nur die Hölle für die, die dort hinein wollen. Für die, die drin sind, scheint es ein Paradies, das sie, warum auch immer, nicht teilen wollen.
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An wen kann sich ein Mensch wenden, der Asyl sucht? An einen Souverän, einen weisen und gütigen Herrscher, wenn man Glück hat, an einen listigen Machthaber wenn man weniger davon hat, an einen Tyrannen wenn man Pech hat. Das schlimmste aber ist der Souverän, der sich abwendet, und es seinem Volk, seinen Soldaten, seinen Sklavenhändlern überlässt, mit den Fremden zu verfahren. Wo es die Herrscher nicht mehr gibt, da sind es Regierungen, Behörden, Gesetze, die bestimmen, ob der Asylsuchende aufgenommen wird oder nicht, unter welchen Bedingungen das geschieht, zwischen Leben-Lassen und Sterben-Machen. Auch unter ihnen gibt es gütige, listige, tyrannische und gleichgültige.
Gewiss „gibt“ es den Souverän nicht mehr allein in der Form einer Person (eines Fürsten) noch in der einer Institution (einer Regierung), sondern dieser Souverän ist vor allem ein dezentrales Geschehen von Machtflüssen, Interessen und Fiktionen. Ein neoliberaler Propagandist könnte wohl mit Fug behaupten, der Souverän sei am Ende nichts anderes als der Markt selber. Vom genaueren Hinsehen aber wissen wir, dass es diesen Markt genau so wenig gibt wie den Fürsten oder die Regierung. Er ist eine neuerliche Maske der flüssigen Macht, die kaum noch Subjekte („Herrscher“) als viel mehr Nutznießer kennt. Aber mit dem neuen, dezentralen und aufgelösten Souverän sind die alten nicht einfach verschwunden. Sie spielen ihre Rollen, mal besser, mal schlechter.
Vielleicht wollen die Flüchtlinge dieser Tage ja nach Deutschland, nach England, sogar nach USA oder Kanada. Aber sie kommen immer zuerst nach Europa. Ein finsteres Gebiet, voller „verstreuter und diskontinuierlicher Offensiven“ (Foucault), in dem das Schlimmste geschehen kann, staatliche Willkür, Mordanschläge eines unregierten Mobs, Gefangenschaft in Lagern, Entwürdigung, aber gleich darauf, nur wenige Stunden, Kilometer, Kulturen entfernt, auch Barmherzigkeit, Mitleid, Freundlichkeit. (Auch dem, nur nebenbei, ist nicht immer zu trauen. Was tun die da, die uns mit Wasserflaschen, Spielzeug und Keksen empfangen, mit Tränen in den Augen ob ihrer eigenen Güte, als uns zu Objekten ihrer Gefühlshaushalte zu machen? Ob sie uns als Menschen und Bürger erkennen werden, bleibt abzuwarten.) Wer ist der Souverän in diesem Europa, in dem zu wandern man unter Lebensgefahr gezwungen ist, an den sich der Asylsuchende wenden könnte? Es gibt ihn nicht. Er lässt sich verleugnen. Der Souverän hat sich aufgelöst in den diskontinuierlichen Offensiven der verflüssigten Macht.
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So nehmt doch Vernunft an, sagen die, die immer noch glauben, Europa sei ein Projekt der Vernunft, das nur zeitweise etwas aus dem rationalen Gleichgewicht gekommen sei. Jene Fremdlinge, die da zu uns kommen, es muss sich, nebenbei, doch um so etwas wie eine „Elite“ handeln, die noch das Geld für die Flucht aufgebracht, die die Kraft dafür besessen, die ihre Hoffnung nicht vollkommen verloren hat, jene Fremdlinge also, sie sind nicht lästig, sind nicht gefährlich, sondern sie kommen gerade recht. „Die Wirtschaft“ warnt ja schon davor, die willkommenen Arbeitskräfte, die willkommene Kreativität, die willkommene „demografische Korrektur“ wieder davon zu jagen.
Man muss die Wirtschaftsseiten der Zeitungen lesen, um die Doppelstrategie von Abschieben und Aufnehmen zu verstehen: „Die Wirtschaft denkt, anders als auch mancher in der CSU, nicht zuletzt ans Abschieben, sondern ans Aufnehmen“, so schreibt Ulrich Schäfer in der Wirtschaftsabteilung der Süddeutschen Zeitung. Das ist mehr Drohung als Versprechen, à la longue: „Unternehmen funktionieren besser, sind erfolgreicher, wenn ihre Belegschaft möglichst vielfältig ist.“ Die Flüchtlinge sollen für „Diversity“ auf dem Arbeitsmarkt sorgen, der an der Vertrocknung und Verblödung der deutschen Gesellschaft schwer zu tragen hat. Nur ist die Wirtschaft, die noch Arbeitskräfte braucht, und deren Preis drücken will, eher old school. Die Börse arbeitet anders. Der Flüchtling, der nicht arbeitet, so Schäfer, „kostet den Staat Geld, während ein Flüchtling, der Arbeit hat, dem Staat Geld bringt.“ An den Rändern der Flüchtlingspfade lauern nicht nur die grölenden Brandstifter, die prügelnde Polizei, die Bildergeier der Presse und die sich ihnen andienenden Politiker, die Bürokraten und die Kriminellen, sondern auch die neuen Sklavenhändler. Und die Zuhälter.
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Eine Arbeit von Giorgio Agamben über den „homo sacer“ findet in diesen Tagen neue Aufmerksamkeit. Die Ähnlichkeit in der Beziehung der europäischen Gesellschaften zu den Flüchtlingen ist denn auch allzu eindringlich: Im alten Rom war es der wegen Vertrags- oder Eidbruchs verstoßene Mensch, der von jedermann getötet werden durfte, aber nicht „geopfert“. Er ist zugleich ausgestoßen, vogelfrei und auch wieder geschützt und sogar „heilig“, und dies spiegelt sich bereits im Namen „sacer“, das sowohl verbannt als auch heilig bedeuten kann. Diese prekäre Beziehung, zugleich widersinnig und alles Politische grundierend, konstruiert recht eigentlich den Souverän. An ihm, dem homo sacer, dem Rechte-losen Flüchtling, zeigt und definiert er seine Macht.
„Souverän ist die Sphäre, in der man töten kann, ohne einen Mord zu begehen und ohne ein Opfer zu zelebrieren, und heilig, das heißt tötbar, aber nicht opferbar ist das Leben, das in dieser Sphäre eingeschlossen ist“. So beschreibt es Agamben in „Homo sacer“. So will also dieser Souverän, obwohl es wirtschaftlich unsinnig und moralisch verwerflich ist, die Flüchtlinge mehrheitlich daran hindern, in seine Sphäre eingeschlossen zu werden? Etwa, weil in diesem alten Bild die Macht immer auch mit „Verantwortung“ gekoppelt wäre? Wir müssen verstehen, dass „Abschieben“ nichts anderes ist als eine symbolische, manchmal aber auch sehr direkte Art des Tötens. Was jener wirklich meint, der nach „Abschiebelagern“ geifert, ist unter Schauern vorstellbar. Der Souverän, der den Flüchtling erst einsperrt, dann abschiebt, tut genau dies: Er entzieht dieses sein Menschen-Objekt dem Opfer, um es zu töten.
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Kehren wir kurz zur Grundlage des Souveräns zurück, wie er bei Carl Schmitt beschrieben ist: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“. Der Ausnahmezustand setzt nicht nur die Grundlagen des Gesellschaftsvertrags bzw. eines Grundgesetzes außer Kraft, er ermöglicht es dem Souverän vor allem, direkt auf das einzelne Subjekt, jeden individuellen Menschen, zuzugreifen: Auf seinen Körper.
Postdemokratisches Regieren basiert in großem Umfang darauf, den Ausnahmezustand in Permanenz zu erhalten. Daher der „Krieg gegen den Terror“, daher die „Finanzkrise“, die „Griechenland-Krise“ und nun die „Flüchtlingskrise“. Der Ausnahmezustand kann nur dann aufrecht erhalten werden, wenn ein Problem nicht gelöst, sondern in serielle Schwingungen versetzt wird. Da und solange wir uns in einem permanenten Ausnahmezustand befinden, in einer Art Krisenmanagement als Unterhaltung (im doppelten Sinn), sind die großen Projekte der schwindenden Moderne: Demokratie, Aufklärung, Humanismus, suspendiert. Im Ausnahmezustand ist, wer mehr Demokratie, mehr Menschlichkeit fordert, schon ein gefährlicher Verräter. Und suspendiert ist auch das andere große Projekt: Europa. Ein Europa, das nicht nur eine Euro-Zone ist, sondern ein transnationales, demokratisches und humanistisches Gebilde. Die nationalen „Demokratien“ in Europa erzeugen den permanenten Ausnahmezustand, um das Werden einer transnationalen Demokratie, die diesen Namen verdient, zu verhindern.
Der permanente Ausnahmezustand hält einen Souverän an der Macht, der ohne ihn dramatisch an Rationalität und Legitimation verlieren würde, die nationalen Regierungen, allen voran die deutsche, die sich mit diesem real existierenden Europa als Euro-Zone, „bürokratisches Monster“ und Geheimverhandlungsinstrument für das nun endgültig Demokratie- und Rechtsstaat vernichtende TTIP-Abkommen, einen verlängerten Arm geschaffen haben. Die zwiespältige, schwankende und schließlich willkürlich scheinende Haltung gegenüber den Flüchtlingen ist mithin Ausdruck dieser Situation des Souveräns, der zugleich den Ausnahmezustand aufrecht erhalten, diesen aber möglichst unsichtbar, möglichst „anderswo“ situieren will. Denn der Trick des postdemokratischen Souveräns, diesem Netzwerk von Regierung, Medien und Ökonomie, ist es, zu behaupten, der Ausnahmezustand wäre nicht selbst erzeugt, sondern käme immer als Fremdes ins Land. Und so wie die Ausnahme durch das Fremde erzeugt wäre, so wäre alles Fremde auch Ausnahme.
Souverän ist also, wer den Flüchtling vor der Opferung bewahren (dem braunen Mob entziehen, der gleichwohl seine Rolle spielt), über Leben und Tod (Aufnehmen oder Abschieben) bestimmen und schließlich Ein- oder Aussperren kann. Auf den ersten Blick erscheint es, als würden die Regierungen der europäischen Nationalstaaten all diese Dinge nur widerwillig tun, als wären sie von diesen Aufgaben „überrascht“ worden (vielleicht weil die Geheimdienste anderweitig beschäftigt waren?), ja, als würde dieser alte Souverän nachgerade gekränkt sein, dass man ihm noch so viel Souveränität abverlangt. Daher diese unwürdigen Versuche, die „Probleme“ weiter zu reichen, die Lasten der Exekutive den jeweils anderen politischen Einheiten, am liebsten von oben nach unten zu schieben. Sie offenbaren indes noch etwas anderes: Die Regierungen (der „älteste“ unter den Souveräns) ist in ihrem Pakt mit dem Medien- und Wahlvolk (der nachgeborene Souverän) so gefangen in einer Tyrannei der selbst erzeugten Mehrheit, dass „souveränes Handeln“ gar nicht mehr möglich ist. Denn der dritte und wahre Souverän, die Marktmacht, das Kapital, verlangt genau das, was die beiden anderen zumindest scheinhaft überwinden wollen: Unruhe, Ungleichheit, Gewalt. Nur der permanente Ausnahmezustand lässt diese drei Erscheinungsformen des neuen Souveräns miteinander nutzbringend (und radikal inhuman) kommunizieren.
Europa also fällt nicht auseinander durch den „Ansturm“ der Flüchtlinge, sondern ganz im Gegenteil: die Flüchtlinge sind die idealen Instrumente zur Erzeugung der nächsten Ausnahmezustände, die wiederum ideale Instrumente zur Stärkung nationaler Souveräne sind, die wiederum augenblicklich am effizientesten für eine „Diversity“ auf den Märkten sorgen. Was mit den Flüchtlingen geschieht, das zeigt, dass es das Europa, das wir uns einst erhofft haben, nicht gibt. So kann man das sehen. Oder umgekehrt: Was mit den Flüchtlingen geschieht, ist Teil der Strategie des Souveräns in Europa, den Ausnahmezustand zu erhalten, der ihn am Leben erhält.
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Einer, der die Folter und den Tod der nächsten erlebt hat, der in einer Welt hausen musste, in der es keine Zukunft und keine Hoffnung gibt, einer, der sein Leben eingesetzt hat, weil sogar Sterben besser ist als so weiterzuleben, einer, der dort hin will, wo es ein Menschenrecht geben soll, der wird, wenn er trotz aller Gefahren nach Europa gekommen ist, dort nicht als Mensch, sondern als Objekt behandelt, als Teil eines „Stroms“, eines „Problems“, einer „Krise“, einer „Herausforderung“. Er erlebt, wie man ihn zuerst ausschließen wollte, da man ihm unterstellt „zu kosten“, die ohnehin prekären Sozialsysteme „zu belasten“, Arbeitsplätze, Wohnungen, Einrichtungen „zu verlangen“, und wie man ihn dann einsperrt, damit er nicht weiter „flüchtet“, den man demütigt, damit nur ja kein positives Bild entsteht, das andere wie ihn anlocken könnte, dem man zu verstehen gibt, dass er nicht hierher gehört, der immer wieder „überprüft“ und „selektioniert“ wird, der nicht auf die neue, digitalneoliberale Art überwacht wird, sondern auf die alte bürokratisch-kolonialistische „registriert“, bis schließlich entschieden wird, ob er wieder ausgeschlossen (abgeschoben) wird, oder sich der disziplinarischen Arbeit der „Integration“ unterwerfen darf. An diesem Mensch ohne Rechte, dem „nackten Leben“, auf das er zurückgeworfen ist, wächst das Europa der falschen Souveräne; an diesem Menschen ohne Rechte zerbricht die Idee Europa.
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Nun freilich machen die europäischen Regierungen in dieser Situation keine besonders gute Figur. Sie wirken in der Tat alles andere als souverän bei der Lösung/Nicht-Lösung eines Problems, das eigentlich gar keines sein müsste, und das, gemessen an dem, was die direkten Nachbarn jener Länder zu bewältigen haben, aus denen die Flüchtenden kommen, nachgerade marginal erscheint. Die einen von ihnen, wie zum Beispiel die ungarische, erzeugen halbfaschistischen Terror und scheuen auch nicht davor zurück, mit den Bildern dieses Terrors Politik zu machen, die anderen, wie zum Beispiel die deutsche, schwanken zwischen struktureller Abschiebe- und Lager-Unmenschlichkeit und „humanitären Gesten“. Der Verdacht liegt nahe: In Europa gibt es nur einen Souverän, und das ist das Kapital. Doch auch in den Nationalstaaten, denen an der Erhaltung ihrer Regierungssouveränität gelegen ist sind die Regierungen nicht mehr der einzige und wirkliche Souverän.
An wen also wenden sich Menschen, die aus der Hölle geflohen sind, und wer verwendet sich für sie, wer wendet sich gegen sie?
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Der Flüchtling ist ein Mensch, der sich der totalen Überwachung von der Wiege bis zur Bahre, wie es der neoliberalen Kontroll- und „Transparenz“gesellschaft entspricht, schon dadurch entzogen hat, dass ein Teil seines Lebens außerhalb dieser Überwachung verbracht hat. Er wird niemals jene Daten-Existenz, das wahre Subjekt der Macht des neuen Souveräns, so vollständig liefern können, wie es der geborene Europäer tut. So kann er niemals ein „vollwertiges“ Mitglied einer digitalen Kontrollgesellschaft mehr werden, niemals vollständiger Untertan des neuen Souveräns, und würde er sich noch so anstrengen, bei Disziplinierung, Arbeit, Integration. Sein Datenschatten hat ein irreparables Defizit. Den schlichten Gemütern des Geheimdienstes mag er den Rest seines Lebens einen „Terror-Verdacht“ mit sich herumschleppen, aber das ist es nicht, was ihn zur Fremdheit verdammt, selbst wenn sein Asylrecht formal anerkannt wurde, und es ist auch nicht seine Hautfarbe oder seine Religion allein. Er hat keinen vollständigen Datenschatten, er stört die Kontrollmaschinen. Unter dem neuen Souverän ist der Mensch zwei mal integriert, oder ist es eben nicht: In der analogen Welt in der zweiten Welt der digitalen Kontrolle. Solange der Flüchtling nicht der vollständigen digitalen Kontrolle überstellt wird, darf man ihn daher nicht „frei“ lassen und muss ihn mit den alten Mitteln von Lager und Gefängnis, mit dem „panoptischen“ Blick der Wärter und Beobachter, festsetzen. Zugleich aber müssen ihm, so weit und so lang als möglich eben jene Instrumente verweigert werden, die Arbeit, das Bankkonto, der elektronische Allzweckapparat etc., die ihn ansonsten zu einem „vollwertigen“ Menschen in dieser Gesellschaft machten.
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„Eine Gesellschaft, die mit sich selber hadert, ist nicht offen für andere“, sagt CDU-Abgeordneter Jens Spahn (im taz-Interview), was sicher stimmt. Nur kann man es eben auch umdrehen, und ist dann rasch beim Regieren des Ausnahmefalls nach Foucault. Der „alte“ Souverän, die Regierung, will oder muss dem Volk, dem demokratischen und nun eben postdemokratischen, nämlich medienpopulistischen Souverän, zeigen, dass es „das Problem im Griff“ hat, während dieses unentwegt und abwechselnd Abwehr oder Barmherzigkeit einfordert. Der dritte, der wahre Souverän Europas, das Kapital, zieht aus dem permanenten Ausnahmezustand seinen Vorteil und sieht im Flüchtling die Beute. Die Gesellschaft der großen Ungerechtigkeit und des sozialen Unfriedens, die Gesellschaft des Neoliberalismus, ist gleichsam in ihrem Wesen zum Selbsthader verdammt. So betritt der Flüchtling den analogen Teil dieser Gesellschaft als „Sündenbock“. Als das im wachsenden braunen Sumpf der europäischen Gesellschaften willkommene OPFER. Das eben stürzt den Souverän in Konflikte. Wenn er das Opfer zulässt, riskiert er seine Souveränität. Wenn er das Opfer allzu deutlich unterbindet, riskiert er den Verlust von Untertanen. Wir begreifen nun vielleicht, warum an der Unmenschlichkeit der Regierungen und einzelner ihrer Vertreter so viel Performatives steckt: Sie begegnen durch ihre „Härte“ dem Opferverlangen ihres Volkes. (Natürlich: eines Teils des Volkes, und zwar eines Teils, der selber so oder so von Ausschließung betroffen ist und daher eher schlecht regierbar. Der faschistische Untergrund hat längst geschaffen, was der neue Souverän „den Fremden“ unterstellt: eine Parallelgesellschaft.)
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Agamben würde nicht nur die Lager, sondern auch den nicht ganz so brutalen „administrativen“ Umgang mit den Flüchtlingen als „Materialisierung des Ausnahmezustands“, und damit eben als serielle Konstruktionen von Souveränität ansehen. Natürlich „gibt“ es das Lager nicht; das Abschiebelager unterscheidet sich definitiv von einem humanitären Flüchtlingslager des Roten Kreuzes, soweit der Einwand von Daniel Kretschmar in der taz. Und selbst ein Abschiebelager ist kein Konzentrationslager. Doch die Gier des Souveräns nach der Materialisierung seiner Macht trifft auch das humanitäre Flüchtlingslager; das humanitäre Flüchtlingslager ist zumindest auf das Wohlwollen dieses Souveräns angewiesen, und es kann sich kaum einer schleichenden oder manifesten Übernahme entziehen. Unfreiwillig, gewiss, wird das humanitäre Lager zum Abschiebelager und dieses zum Todeslager, weil es zwar Hilfe aber keinen Schutz gewähren kann.
Die Frage also ist, ob der Ausnahmezustand so allmählich von der Peripherie in die Zentren rückt, gegen einen „hilflosen“ Souverän, der lieber Ruhe im Lande hätte, oder ob nicht dieser Souverän den Ausnahmezustand ansaugen muss, weil er ihn am Ende zum Überleben braucht. Vernünftige und humanistisch gesonnene Zeitgenossen mahnen doch verständig genug an, einfach den Status eines Einwandererlandes zu akzeptieren, womit eine Reihe von Problemen gleichsam von selbst verschwinden würden. Sie verkennen das Wesen des neuen Souveräns, der sich an einer Verdopplung des homo sacer stärkt, am sozialen Verlierer und am Fremden.
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Dieser homo sacer nun ist zugleich „vogelfrei“, und es ist verboten ihn zu opfern, und auch das bedeutet, ein direktes Nebeneinander von Herabstufung und Entwürdigung mit Sentimentalisierung und selbstgerechter Befriedigung über die eigene Großzügigkeit. Es kommt also zunächst auf die Konstruktion des Blicks auf ihn an. Die Medien haben (übrigens nicht zum ersten mal) zwei widersprüchliche Bilder anzubieten: „Die Flut“ und „den einzelnen Schmerz“. Das Chaos, dem nur der panoptische Blick eines Lagers, der Selektion, des Gefängnisses gegenüber gestellt werden kann, und das isolierte Opfer, wie im Bild des toten Kindes am Strand. Nicht nur die Geschichte seines Leidens, sondern auch seine radikale Einsamkeit zerreisst einem das Herz. Aber noch etwas anderes ist geschehen: In diesem Bild ist klar zu erkennen, dass gegen das Gebot des Souveräns verstoßen wurde. Dieses Kind wurde nicht getötet (abgeschoben), es wurde geopfert.
Nicht gegen das massenhafte Töten, sondern gegen das Opfern des einzelnen wendet sich nun der Zorn des dritten Souveräns, des Medienvolkes.
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Noch einmal: Das „Flüchtlingsproblem“ existiert nicht, sondern es wird erzeugt. Gemessen an der Wirtschaftskraft, dem Wohnraum, den Nahrungsmitteln und sonstigen Versorgungssystemen in Europa wäre die Aufnahme der Menschen, die Schutz und Zukunft suchen, ein Leichtes. Erzeugt wird dieses „Problem“ indes nicht nur zur Aufrechterhaltung des Ausnahmezustands, sondern auch zur Erzeugung von Bildern, zur Erzeugung eines Blicks.
Der klassische Souverän liebte diesen panoptischen Blick, den Foucault in „Strafen und Überwachen“ anhand des Gefängnisses beschrieb. Von einem zentralen, erhöhten Punkt aus wird jede Regung und jede Bewegung der Beobachtenden registriert, die selber den Beobachter nicht sehen können. Beim Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft wird dieser Blick der panoptischen Einrichtung freigegeben. Das Subjekt des Neoliberalismus soll sich frei fühlen, während es vollständig in Information aufgelöst wird. Der post-panoptische Blick des Souveräns durchdringt den Beobachtenden, errechnet ihn, sieht seine Bewegungen bereits voraus. Er will ihn nicht durch das Gefühl des Beobachtetwerdens disziplinieren, sondern er will durch die mehr oder weniger totale Kontrolle seines Informationsschattens eine algorithmische Einschließung erreichen. Daher kann auch der neue Souverän auf ein zentrales Subjekt verzichten. Die totale Überwachung und das Privileg von Freiheiten scheinen sich hier nicht mehr zu widersprechen, so wie auch das Subjekt der Überwachung, der Souverän, nur als Netzwerk ökonomischer, technologischer und politischer Macht zu begreifen ist.
Was ist es, was die Vertreter des braunen Mobs dem Flüchtling als erstes neiden? Genau, es ist das Mobiltelefon oder gar das Smartphone. Nur auf den ersten Blick ist es so sehr ein Neid auf das materielle Ding, auf das was „die“ kriegen, und was „uns“ fehlt. Der zweite Blick offenbart mehr: Denn erst durch die Benutzung eines solchen Gerätes ist ein Mensch hier „jemand“, genießt er Freiheiten, ist er durch unsichtbare Kontrolle eingeschlossen in den Kreis; wenn man dem Flüchtling ein Handy gibt, dann ist er nicht mehr der nackte und rechtelose Mensch. In seinen Unterhaltungsmedien ist dieser Mensch, der dem Flüchtling das Handy neidet, weil es ihn zu einem Menschen macht, gewohnt, dass der Souverän ihm zum Gaudium den panoptischen Blick gönnt. Im Dschungelcamp oder in den Fernsehnachrichten. Er ist den Blick auf den entblößten und (wenigstens temporär, wenigstens virtuell) rechtelosen Menschen gewöhnt, als Opfer. Der faschistische Gewalttäter, der das „Flüchtlingsheim“ anzündet, will natürlich sein Opfer, und bevor er es quält und tötet, will er ihm, stellvertretend, wie er vielleicht meint, das ganze Elend seiner Eingeschlossenheit und Ausgeschlossenheit demonstrieren.
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Der (dezentrale, flüssige) Souverän namens „Europa“ will den Flüchtling als Ausweis des permanenten Ausnahmezustandes, aber nicht „bei sich“. Der Flüchtling soll also a) daran gehindert werden, den formalen Rechtsraum des „demokratischen Souveräns“ überhaupt zu betreten, also Menschen- und Bürgerrechte überhaupt erst anwendbar zu machen, vor allem aber auch von den Märkten auszuschließen, deren „Geheimnisse“ dieser Souverän nicht teilen will, und das schließt nicht zuletzt den Arbeitsmarkt ein. Nur in zwei Formen kann man den Flüchtling als den nackten und rechtelosen Menschen, als homo sacer bewahren, durch das radikale Ausschließen, die Stacheldrahtzäune und neue Mauern in Europa, deren grausamen Humor scheinbar kaum jemand zur Kenntnis nimmt, oder durch die radikale Einschließung, im Lager, durch die Beschneidung der Rechte von Bewegung, Kommunikation und Information, durch altmodische, das heißt sichtbare, analoge, performative Formen von Registrierung und Überwachung. b) soll der Flüchtling, einmal vorhanden und sichtbar, „entschieden“ unter den Ausnahmezustand gestellt werden; die bloße Gegenwart dieses anderen bestimmt den Ausnahmezustand, was jeder Mensch bestätigen wird, der Polizeikontrollen auf öffentlichen Plätzen erlebt, bei denen automatisch Menschen mit dunkler Hautfarbe ausgewählt werden. C) Dieser neue homo sacer nun ist zugleich „vogelfrei“, und es ist verboten ihn zu opfern, und auch das bedeutet, ein direktes Nebeneinander von Herabstufung und Entwürdigung mit Sentimentalisierung und selbstgerechter Befriedigung über die eigene Großzügigkeit.
Dies alles zusammengefasst kann man nur zu einem Schluss gelangen: Der unsichtbare Souverän namens Europa ist nicht einer, der etwa mit dem Problem „Flüchtling“ beschäftigt und herausgefordert wäre, sondern er ist einer, der das „Problem“ Flüchtling erst erzeugt.
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Der Mensch, der einer Hölle aus Krieg, Mord, Hunger, Chaos, Folter, Verzweiflung und Zukunftslosigkeit entkommen ist, wird am Ziel seiner langen, gefahrvollen Reise einer Verwandlung unterzogen. Er wird nicht in den Menschen, in den Bürger und die Bürgerin, in den homo faber zurück verwandelt, wie er es sich vielleicht erträumt hat, sondern in den Status des homo sacer gebannt. An ihm verhandelt die mit sich selber hadernde europäische Meta-Gesellschaft (das Mixtum von untereinander und ineinander hadernden, glücklosen Gesellschaften) das Verhältnis von Opfern und Töten.
Aber, aber. Man tötet doch nicht, man schiebt nur ab. Man selektiert. Flüchtlinge, die unsere Hilfe verdient haben und solche, die es nicht haben. Flüchtlinge, die man mit mehr oder weniger gutem Gewissen zurück schicken kann, und solche, bei denen es einfach nicht geht. Flüchtlinge, die verfolgt werden, und solche, die nur Hunger haben. Flüchtlinge, die nützlich sind, und Flüchtlinge, die kosten. Flüchtlinge, um die sich gefälligst andere kommen sollen, und Flüchtlinge, die wir akzeptieren. Flüchtlinge, die uns rühren, und Flüchtlinge, die uns lästig sind. Kein Mensch unter dem unsichtbaren Souverän namens Europa kann sich vollständig vom Zynismus dieser seiner Materialisierung im permanenten Ausnahmezustand befreien.
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Am Körper des Flüchtlings kämpfen die drei Gesichter des neuen dezentralen, diskontinuierlichen, flüssigen Souveräns um die Vorherrschaft. So nimmt es nicht Wunder, dass noch am Tag nachdem sich, ausgelöst wohl durch das Bild des toten Kindes am Strand, das zu einem ikonischen plot point in der öffentlichen Meinung wurde, Bilder der Barmherzigkeit der deutschen Gesellschaft und Politik überwogen, für ein paar Stunden, der bayerische Innenminister zu Wort meldet, um diese Barmherzigkeit, von der Kanzlerin ausdrücklich als humanitäre Ausnahme gekennzeichnet, als schweren Fehler zu brandmarken. Dieser bayerische Innenminister bangt offensichtlich nicht nur um seine Klientel „am rechten Rand“, wie man so sagt, und um „sein“ Geld und „seinen“ sozialen Frieden, sondern er bangt auch um seine Souverän-haftigkeit. Er hat ganz klar die Schwäche des Souveräns erkannt, und will sie korrigiert wissen. In diesem Land nannte man es zwei, drei Generationen zuvor: „Humanitätsduselei“.
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Die Herrschaft des neuen Souveräns materialisiert sich nicht mehr allein durch die Macht des Einschließens, sondern vor allem durch die des Ausschließens. Der panoptische Blick, der von einer zentralen Position über die Bewegungen, die Arbeit, das Wohlverhalten der Menschen wacht und sie durch ihr Sich-beobachtet-wissen zu einem „erwünschten“ Verhalten zwingt, ist durch das umfängliche Wissen vom Untertanen ersetzt, den man jederzeit durch ökonomische Erpressung gefügig machen kann. Man schließt vom Markt aus, wer keinen Profit bringt (und zwar den richtigen Leuten), man schließt von der Arbeit aus, wer nicht genug „Leistung“ und Willen zu Ausbeutung und Selbstausbeutung bringt, man schließt von Bildung aus, wer sich nicht in die Elitenbildung fügt, man schließt von Versorgung aus, wer zuviel Kosten verursacht, und so weiter. Der Neoliberalismus schließt nicht nur Menschen aus, sondern auch Wirtschaftsträume, Kulturen, Ansichten, schließlich ganze Kontinente. Offensichtlich ist der durch Ausschließung bedrohte Mensch gefügiger noch als der eingeschlossene. Auf die Drohung durch den panoptischen Blick ist einerseits die subjektive, elektronische Überwachung gefolgt, andererseits aber auch die Drohung des nicht mehr Wahrgenommenwerdens. Schon im panoptisch geordneten Gefängnis gab es eine Drohung, die schlimmer war als Blick des Wärters, nämlich die Einzelhaft und, noch verschärfter, die Dunkelhaft. Schlimmer als die Gegenwart des Wärters ist seine kalte Abwesenheit. Diese Ausschließung inmitten der Einschließung hat auch den Blick verändert. Der unter den Eingeschlossenen Ausgeschlossene weiß nichts mehr über den Blick des Wärters. Es kann ihn geben oder auch nicht.
Der Untertan des neuen Souveräns ist der Mensch, dem nicht mit dem Gefängnis, sondern mit der Einzelzelle gedroht wird. Solange du überwacht wirst, bist du frei. Je mehr du beobachtet wirst, desto weniger bist du ausgeschlossen. Wer aus dem Gefängnis entlassen wird, der ist schlecht dran. Denn da draußen ist nichts.
Kein Vertrag und kein Vertrauen bewahren dich davor, ausgeschlossen zu werden. Nur solange du selbst zu den Ausschließenden gehörst, kannst du sicher sein, noch nicht vollständig ausgeschlossen zu sein. Du Loser, du HartzIVler, du Opfa! Der Souverän, der alle seine Untertanen disziplinieren und ihnen einen Platz zuweisen wollte, ist passé. Der neue Souverän herrscht durch unentwegten Ausschluss, durch Selektion, durch den Ausstoß überflüssiger und unnützer Menschen. Die Herrschaft durch Ausschließen senkt sich tief in die Seele des Menschen im Neoliberalismus. er wird zum eifrigsten Bewacher seines eigenen Gefängnis, er entblößt sich rascher, als es die Wärter von ihm fordern können, er denunziert alles und jedes um sich herum, er sucht nach Opfern. Kein Wunder, dass der Blick der Überwacher nicht mehr angestrengt, sondern nur noch verächtlich ist.
Der Flüchtling ist ein Störfall der Herrschaft durch Ausschließung. Er ist der Mensch, der sich nicht ausschließen lässt. Nicht durch Tod (Abschiebung) und nicht durch Opfer (Abschreckung). Das Ausgeschlossene kehrt wieder. Es verlangt die Rechte zurück, die der Neoliberalismus seinen Untertanen nur mehr selektiv und temporär verleiht. Der Flüchtling macht die Herrschaft der Ausschließung kenntlich. Es ist der Mensch, den es eigentlich nicht geben darf. Er bringt die Balance der drei Souveräne, Kapital, Regierung und Medienvolk, durcheinander. Die Flüchtlinge, die Asyl bei einem Souverän namens Europa suchten und ihn nicht fanden, machen den Menschen, die ihnen mal helfen, sie mal verfolgen, in immer heftigerem Flickern, überdeutlich: Europa gibt es nicht. Es ist eine Schimäre. Eine Fata Morgana. Dies will der neue Souverän den Flüchtlingen so schnell nicht verzeihen, dass sie die Herrschaft von gebanntem Ausnahmezustand, sozialer Ausschließung und medialen Opferritualen so sichtbar machen.
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Deswegen ist es nicht mit der „barmherzigen“ Unterstützung der Flüchtlinge getan, so dringend notwendig diese auch am Beginn ist, sondern es geht vor allem darum, sie als Menschen sichtbar zu machen, ihnen Namen und Geschichten, Individualität und Ambition zurück zu geben. Eine Hinwendung zu den Flüchtlingen, die über die Gesten der Barmherzigkeit hinaus geht und Rechte für sie einfordert, ist bereits eine Rebellion gegen den unsichtbaren Souverän. Jede Revolte hat es mit diesen drei Souveränen zu tun, die nur, solange der Ausnahmezustand zugleich permanent „verhängt“ und unsichtbar bleibt, in vollkommener Komplizenschaft wirken können, und man muss sich darüber im klaren sein, dass eine solche Barmherzigkeit, die sich in Solidarität und Dissidenz entwickelt, auch aus den Helfern, Unterstützern und Solidarischen in den Augen dieser dreieinigen Ausnahmezustand-Souveränitäten einen „halben“ homo sacer macht.
Vielleicht aber auch einen wieder ganzen Menschen.
Georg Seeßlen
© Behrouz Ramazan
zuerst erscheinen in SPEX 364, September-Ausgabe 2015
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