DER TOD DES MERZ-HASEN
Derzeit fällt es, jenseits von Geheimdiensten und Universitäten, schwer, ein System zu finden, das so panzerfest, unbeirrbar und kritikresistent den neoliberalen Mantras folgt wie der Kunstbetrieb. Und das meint nicht nur den presse-üblichen „verrückten Kunstmarkt“ der Spitzen-Auktionen, es hat die mittleren Galerien so sehr erfasst wie die staatlichen Museen und Sammlungen, die Kunstwissenschaft wie die Kritik. Sobald sich das Unbehagen, das es weiß der Kunsthimmel genügend gibt, irgendwo zu artikulieren droht, und geschehe es in noch so moderater Form, schließen sich die Reihen, verschließen sich Ohren und Geist, verknoten sich die Netzwerke. Auch da ist der Kunstbetrieb nur noch perfektes Abbild des Neoliberalismus als apokalyptisch-geile Weltanschauung. Man weiß, dass das System an die Wand fährt, aber man hofft, vorher noch ein Karriere- oder Besitz-Schnäppchen zu machen. Wir haben keine Alternative, es war schon immer so, was wollt ihr denn, uns geht’s doch gut…Blahblahblah.
Dieser Betrieb ist zu keiner Geste der Selbstaufklärung, ja nicht einmal zu einer der Selbstironisierung mehr in der Lage. Man kann ihn, mit den bescheidenen Mitteln von Kritik und Satire, nicht aus der bleiernen Mechanik bringen, denn hier wird schon längst über alles gelacht, nur nicht über sich selbst.
Stellen wir uns vor, es ginge in der Kunst, vielleicht nicht allein aber doch vorrangig, um Kontingenz. Das heißt um Vorgänge von Produktion, Performance und Kommunikation, die nicht vorgegeben, nicht abgeschlossen, nicht berechenbar sind. Man beträte den Raum der Kunst mit einem Hochgefühl: Alles kann geschehen. Von stiller Ergriffenheit über eigene Phantasietätigkeit bis hin zu energetischer Explosion. Oder zu etwas, für das wir gar keinen Begriff haben. Wo sich dieses (Alles) Mögliche ereignet, ob im Werk selber, zwischen Werk und Adressat, im Raum oder in der Zeit, das ist lange nicht so wesentlich, wie es die unentwegte Methodendiskussion erscheinen lässt, sondern viel mehr abhängig von einer Grundverfassung zwischen Kunst und Gesellschaft. Denn was nutzte eine Kunst des Möglichen in einer Gesellschaft der Unmöglichkeiten? Was könnte das Stück Kontingenz in einer Überwachungs- und Manipulationsgesellschaft anders als Beute sein? Die Macht des Besitzes, als Individuum wie als Betrieb, bedeutet, der Kunst die Kontingenz für alle auszutreiben und sie sich privat anzueignen. Mir, sagt ein Kauf, ist alles möglich, weil ich es den anderen unmöglich mache … Georg Seeßlen weiterlesen
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