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Karikatur eines Internet-Trolls in Anlehnung an den mythologischen Troll.

 

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Jeder Mensch, der sich im Internet informiert, selbst wenn er oder sie auch nur die Leser-Kommentare zu einzelnen Artikeln in den Angeboten des Online-Journalismus liest, kennt das Phänomen: Kaum haben etliche User Zustimmung oder Ablehnung geäußert, Ergänzungen, Korrekturen und Widersprüche angefügt, tauchen sie auf, die beleidigenden, verblödenden oder obszönen Wortkaskaden. Oft haben sie mit den eigentlichen Themen von Artikeln oder Themen nur wenig zu tun, meistens reagieren sie nur auf Reizworte, und in aller Regel wollen sie auf persönliche Kränkungen hinaus. Wer dahinter steckt, wird ein „Troll“ genannt, nach den schurkischen Dämonen der nordischen Mythologie, die merkwürdigerweise von der ursprünglichen Riesen-Gestalt in der populären Kultur zu bösen Zwergen transformiert wurden. Ein Wortstamm führt zu „betrügen“ und „sich verstellen“, eine andere etymologische Herleitung bezieht sich auf einen besonderen „kugelnden“ oder watschelnden Gang. Was die Netzkultur anbelangt, scheint auch das Verb trawling als Fischen mit dem Schleppnetz seine Rolle zu spielen (was aber wohl allgemeiner eher zum „Phishing“ führt, der tückischen Abschöpfung von persönlichen Daten). In den Jahren um 1990, da das Wort zum ersten Mal in den Newsgruppen auftauchte, spielte allerdings das „Ködern“ offensichtlich die Hauptrolle. Der Troll ist also einer, der die Mitglieder einer Newsgroup durch Beleidigungen ködert. Die „Beute“ besteht in der Aufmerksamkeit, die die Mitglieder der Newsgroup in Form von Offenbarungen ihrer emotionalen, semantischen und organisatorischen Verletztheit äußern. Das Ziel eines klassischen Trolls ist das Anrichten einer kommunikativen Katastrophe.

Trolle bewegen sich vor allem in Diskussionsforen und Newsgroups, in Wikis und Mailinglisten, in Kommentarfunktionen und Blogs. Ihr Ziel ist es ebenso, Diskussionen aggressiv aufzulösen, sie in eine andere Richtung zu drängen oder vollkommen andere Diskussionen zu beginnen, ohne wirklich am Thema interessiert zu sein; es geht offensichtlich darum, zornige, beleidigte, empörte, verschreckte Antworten zu provozieren und Menschen wegen ihrer Meinung und / oder wegen ihrer „Eigenschaften“ zu attackieren (weiblich, schwul, ausländisch, links – das sind die Klassiker) oder eine Kommunikation zu vergiften und eine Atmosphäre von Aggression und Unsicherheit zu erzeugen. Aber all das beginnt schon damit, dass ein Troll-Eingriff, mag er sich zunächst gar nicht als solcher verstehen und gar nicht als solcher erkannt werden, die bewusste und gezielte Herabsetzung des intellektuellen, des sprachlichen und des moralischen Niveaus einer Diskussion zum Ziel und Zweck hat. Und es mag enden mit offener Drohung und Verleumdung.

Man mag also eine Linie ziehen von lästiger, aber ungefährlicher Troll-Aktivität über Hate Speech im Internet bis zum Cyber Mobbing. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich vieles in seiner Praxis transformiert. Auch hier gilt die Regel, dass die Blöden den Niederträchtigen den Weg ebnen, und diese den Gewalttätern. Während der gewöhnliche Troll seinen Alltagssadismus (-rassismus, -sexismus) auslebt, richtet sich Hate Speech gegen ganze Gruppen („die Schwulen“, die „Schwarzen“ etc.). Die makabre Pointe, Faschismus-Forscher kennen das Phänomen, besteht darin, dass der Übergang von der individuellen Troll-Aktivität zum digitalen Hate Speech auch eine „Heilung“ darstellen kann: Während das erste sich in der Destruktion erschöpft, eine Ventil-Funktion für den Alltagssadismus des gekränkten Narzissten sucht, die Isolation also auslebt statt sie zu überwinden, fischt der Hate Speech bereits nach Zustimmung, nach einem Miteinander, er beginnt damit, den Alltagssadismus zu einem Gewalt-Kollektiv zu formen. Im Hate Speech wird das, was der Troll noch chaotisch und psychotisch von sich gab, in ideologische Formeln gegossen, Codes werden erzeugt, insbesondere solche, die den Hass formulieren, ohne dass man etwa juristisch oder auch nur diskursiv belangt werden könnte. Ein großer Teil des digitalen Hate Speech bezieht sich auf einen Satz wie „Man darf das sagen“, oder „Ich darf das sagen“ (zum Beispiel wird durch eine etymologische Herleitung gezeigt, dass man „Neger“ sagen darf). Es werden auf der einen Seite Floskeln produziert, die anschlussfähig bis in die Mitte sind, auf der anderen Seite wird die Dosis von Hass und Niedertracht regelhaft erhöht. Dort wo Troll-Aktivität in Hate Speech übergeht, hat sich eine funktionierende Arbeitsteilung entwickelt. Im Hate Speech hat sich der Troll nicht nur politisiert sondern auch organisiert. Und auch hier gibt es wieder eine Steigerungslogik. Man beginnt mit dem, was man doch noch mal sagen wird dürfen, und endet, wenn man Akzeptanz verspürt, bei der Mordphantasie. Diese wiederum wird im Cyberkrieg von auch analog organisierten Rassisten, Homophoben und Neofaschisten dann an die Schwelle der Realisierung gebracht.

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Es ist uns peinlich geworden; im Internet erfahren nicht nur wir selbst – sondern womöglich die ganze Welt erfährt hier – was in der Mitte von Deutschland so gedacht und gesprochen wird. Und dann kann das ganze etwa auch noch „Breitenwirkung“ erhalten, da es ja den Bereich jenes mythischen „Stammtisch“-Diskurses verlässt, den es vermutlich so nie gegeben hat. Hate Speech im Internet ist so virulent geworden, dass selbst Politiker, die gerade noch das Internet als „Neuland“ bezeichneten, eine Meinung dazu haben müssen. In aller Regel handelt es sich dabei um die Standard-Politikermeinung: Mehr Kontrollen, verschärfte Strafen, und ansonsten Deckel drauf.

Lange Zeit nahm man Trolle als natürliches Übel in der Internet-Kommunikation hin. Im richtigen Leben ist man schließlich auch nicht vor Pöbeleien und verbalen Übergriffen unangenehmer bzw. kranker Zeitgenossen sicher. Die Maxime lautete schlicht: „Don’t feed the troll!“ Denn nach landläufiger Meinung geht es dem Troll vor allem darum, irgendeine, möglichst emotionale Reaktion zu provozieren. Er will, dass seine Störung registriert wird. Der Troll verschwindet also, wenn man ihm keine Beachtung schenkt. Für diese einfache Abwehrmaßnahme haben sich einige Codes eingebürgert. Häufig erscheint als Reaktion auf einen Post, der als Troll-Aktivität erkannt wurde, ein schlichtes „plonk“, was lautmalerisch ein Fallenlassen (etwa in Spamordner oder Killfile) widergeben oder als Kürzel für „please leave our newsgroup, kid“ dienen mag. Das „plonk“ signalisiert den anderen Mitgliedern auf Beiträge dieses Trolls nicht mehr zu reagieren. Die Fisch-Metapher wird wieder aufgenommen, wenn ihm ein symbolischer Zeichen-Fisch hingeworfen wird (wie wir aus Entenhausen wissen: Gehirnnahrung!) oder ein paar angedeutete Kekse (der Troll wird gefüttert, aber nicht so, wie er es sich erhoffte).

Die Versuche, einen Troll durch schlichtes Ignorieren oder aber durch mehr oder weniger ironisches Kenntlichmachen abzuwehren, funktionieren natürlich nur in besonders schlichten und besonders dreisten Fällen. Schwieriger wird die Sache bei jenen, die sich zunächst relativ harmlos geben, und bei jenen, die einen kommunikativen Schwarm mit einer gesteigerten destruktiven Raffinesse angreifen.

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Drei Hauptgruppen von Trolls lassen sich unterscheiden. Die erste Gruppe, die man im Allgemeinen als eher harmlos einstuft (kommunikationstheoretisch mag das schon anders aussehen), besteht aus Menschen, die sich wahrscheinlich auf keinen Fall selbst als Trolle einstufen würden. Sie möchten nur einfach irgendwie mitreden, wahrgenommen werden, soziales Echo erhalten, auch wenn sie nicht die geringste Ahnung haben, wovon eigentlich gerade die Rede ist. Die drei Untergruppen der „netten“ Trolle:

Die Niedlichen. Sie versuchen um jeden Preis von einer Debatte auf allgemeine, wenn auch leicht intimistische Nichtigkeiten zu lenken. (Nein, ich weiß auch nicht, wie man die Fernbedienung des Ultima X 3000 vom Stand In- in den Stand Out-Modus bringen kann, aber unser Dackel hat neulich die Fernsehbedienung vom Nachbarn …) Die Witzigen. Sie fügen, zwanghaft wie jene, die wir als Partykiller im analogen Leben kennen, jeder mehr oder weniger ernsthaften Debatte einen Witz bei. (Wie kann ich die Fernbedienung des Ultima X 3000 vom Stand In- in den Stand Out-Modus bringen? Frag’ doch den Dackel. Zwinker-Emoticon.) Wenn in einer Internet-Debatte mehrere Witzige oder Witzige und Niedliche aufeinander treffen, kann man sie ebenso gut beenden. Denn nicht nur ist das Niveau der Unterhaltung (und sei es die Frage nach technischen Details bei einer Fernbedienung) nahezu rettungslos gesunken, sondern es sammelt sich auch ein Daten- und Sprachmüll an, der es zeitraubend, uninteressant und ermüdend macht, sich zu einer nächsten „ernsthaften“ Aussage vorzuarbeiten. Dabei ist es enorm schwierig, den Niedlichen und den Witzigen ernsthaft böse zu sein.

Leichter fällt das bei der dritten Untergruppe, den Pädagogen; diese wollen weniger einen Sachverhalt klären oder zur Lösung eines Problems beitragen als vielmehr Zurechtweisungen und Tadel zu verteilen. Dieser Troll-Typus ist in mannigfachen Variationen zu beobachten: Der Erbsenzähler, der sich in möglichst unwesentliche Details verbeißt, der Besserwisser, der sich so offensichtlich freut, jemanden für einen Fehler abkanzeln zu können, der Moralprediger, der noch jede logische Argumentation unterminiert (die Frage ist nicht, wie die Fernbedienung des Ultra X-3000 funktioniert, sondern ob man in dieser unser schnelllebigen Zeit überhaupt Fernbedienungen benutzen darf) und schließlich jener, der hartnäckig versucht, eine Diskussion auf ein Neben- oder Abstellgleis zu führen, weil er sich dort besser auszukennen glaubt (die Fernbedienung interessiert mich nicht, aber ich kann mit dem Ultra X-3000 etwas, da fallen euch die Daddelfinger ab, und überhaupt sollte jetzt das Forum sich nur noch diesem Thema widmen).

Wenn wir nun noch zwischen den Gelegenheitstrollen (Tatmotive Langeweile, schlechte Laune, analoger Wirklichkeitsmangel), den gewohnheitsmäßigen und schließlich den Hardcore-Trollen unterscheiden, können wir mithilfe einer Taxonomie vielleicht schon etlichen Gefahren entgehen. Denn natürlich sind die „bösen Trolle“ als das eigentliche kulturelle Problem sichtbar, für das Scheitern von (Internet-) Kommunikation als sozialer Praxis sind indes die „harmlosen Trolle“ nicht minder verantwortlich.

Im analogen Leben gibt es nonverbale Mittel, mit denen sich eine Kommunikationsgruppe gegen eine störende Einmischung zur Wehr setzen kann. Sie reichen von strafenden Blicken über eisiges Schweigen bis hin zu einer raschen Auflösung der Gruppe (möglicherweise, um sich sogleich in sicherer Entfernung neu zu bilden). Solche Verhaltensweisen kann der Schwarm im Internet nur höchst unvollkommen simulieren, um so leichter fällt es dem Troll, seinerseits ignorant auf sie zu reagieren.

Die zweite Hauptgruppe der Trolle, jene, denen in den öffentlichen Diskursen am meisten Aufmerksamkeit geschenkt wird, sind die aggressiven und destruktiven Einzeltäter. Sie lassen, wie man so sagt, Hass ab, wobei es ihnen offensichtlich nicht unbedingt um das konkrete Objekt ihrer Attacke geht. Auch hier kann man drei Hauptstränge unterscheiden. Die erste sucht sich einen Teilnehmer der Debatte (es kann auch, muss aber nicht der ursprüngliche Autor eines Textes sein, der die Debatte initiierte), der so persönlich, niederträchtig und herabsetzend wie nur irgend möglich beleidigt wird. Solange sich der Troll in diesem Fall selbst nicht zu erkennen gibt, kann er eigentlich dabei nicht wirklich verlieren. Denn entweder reagiert der Beleidigte, dann wurde erreicht, was es zu erreichen gab, oder er tut es nicht, dann darf man ihn sich als Feigling imaginieren und eigene Macht genießen (der gekränkte Narziss weiß, wie er sich durch Zurückweisung bestätigt). Aber selbst wenn ein solcher Troll unter Klarnamen agiert, was insbesondere bei Menschen mit einem, wie man so sagt, geschlossenen rechtsextremen Weltbild kaum noch ein Problem darstellt, ist eine angemessene Reaktion denkbar schwierig: Jeder stellt eine Herausforderung an eine Definition von Demokratie und Liberalismus dar.

Der zweite Troll-Variant sucht die Debatte selbst durch Rundumschläge oder eine allgemeine Unflätigkeit zu ruinieren. Seine Absicht scheint darin zu liegen, alle Beteiligten mit seiner bösen Laune anzustecken, alles Solidarische und Respektvolle zu tilgen. Oft ist, statt einer Person, das Motiv und die Sprache des Schwarms das Aggressionsziel. Es werden Begriffe attackiert und umgekehrt („feministischer Stalinismus“) und, wen wundert’s, das „politisch Korrekte“ ist nach wie vor das beliebteste Einfallstor für Trolle, deren Ziel es ist, neben Sprechenden auch Sprechweisen zu ruinieren.

Die dritte Strategie besteht in dem Versuch, der kommunikativen Gruppe ein äußeres Hass-Objekt zu liefern. Dieser Troll nimmt Kritik gern auf, um sie in Hass zu verwandeln. Er ist deshalb so gefährlich, weil er zunächst Elemente der Kommunikationsgruppe bestätigt und erst dann nach und nach damit beginnt, das kritische Potential zu überdehnen und auf einen Sündenbock zu leiten.

Die dritte Hauptgruppe der Trolle besteht aus den mehr oder weniger organisierten, politisch-ideologisch motivierten Kommunikationsstörern. Die erste Untergruppe davon wiederum sind die Missionare. (Ich weiß auch nicht, wie du die Fernbedienung des Ultima X 3000 vom Stand In- in den Stand Out-Modus bringen kannst, aber hast du schon einmal in die Bibel geschaut?) Die zweite Untergruppe sind die Spötter und Brüller (Ultima X 3000! Typisches Gerät für altlinke Hippies, die immer noch nicht verstehen wollen, dass die jüdisch-bolschewistische Verschwörung die Elektronik-Industrie im Griff hat!). Die dritte Gruppe dieser Hass-Trolle arbeitet aus der Strategie heraus, die Beleidigungen in konkrete Bedrohung umzuwandeln (Wir wissen, wo du deine Ultima X gekauft hast und wo deine Kinder zur Schule gehen!). Spätestens mit dieser Form des Netz-Terrors kehrt die Bedrohung zurück in die reale Welt. Und aus dem Troll, der sein Vergnügen daran fand, eine Kommunikationssituation zu zerstören, wird der Protagonist eines Cybermobbing, das sich nicht mehr mit der Zerstörung von Kommunikation zufrieden gibt, sondern auf die Zerstörung von Menschen abzielt.

Das ist das Problem der Trolle und des Shitstorms, dass sie lange Zeit nur als Störung innerhalb einer symbolischen Parallelwelt angesehen werden, da, wo es noch nicht wirklich wehtut. „Wer diese Straftaten anzeigt, bekommt zu hören, ach das ist doch nur im Internet. Polizei und Staatsanwaltschaft sehen sich zur Strafverfolgung nicht in der Lage“, beobachtet Christine Olderdissen[1].

Wir können im Übrigen auch noch eine vierte Hauptgruppe ausmachen, die man als kommerzielle Trolle bezeichnen kann. (Was willst du denn mit dem Ultima x 3000? Mit einem Superselect V-3 bist du immer auf der sicheren Seite.) Ob es sich dabei um techno-konsumistischen Fanatismus handelt oder bezahlte Markt-Aggression ist in der Tat schwer feststellbar. Immerhin findet man gelegentlich die Behauptung, Internet-Trolling sei das perfekte Training für Leute, die es später mit dem viralen Marketing versuchen wollen. Die Sache funktioniert natürlich auch umgekehrt. Ein besonders bizarres Beispiel liefern die Internet Marketing Ninjas[2]: In den Kommentarspalten einer Verkaufsanzeige findet sich der Hinweis, dieses Gartengerät werde unter gar keinen Umständen an Juden verkauft. Niedliches, witziges, psychotisches, politisches und kommerzielles Trolling durchdringen einander, und es entstehen dadurch zuweilen Kommunikationsstörungen, von denen niemand mehr recht zu sagen weiß, wie sie denn eigentlich gemeint sind. Und tückischerweise kann sich auch eine aufklärerische Gegenstrategie der Netz-Guerilla in solchen semantischen Feldern verirren.

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Zunächst erscheint der Troll als jemand, der eine psychotisch-ideologische Blähung ablässt und seiner ziellosen Aggression ein scheinbar ungefährliches Objekt gibt. Aber sehr rasch, oft schon mit den ersten Reaktionen, wird daraus ein taktisches Spiel, das sich in seiner Praxis selbst perfektioniert. Ein geübter Troll wird versuchen, die angegriffene Gruppe nicht mit einem gewaltigen Auftritt zu verschrecken, sondern sich vielmehr in die Kommunikation hinein zu schleichen. Die ersten Aggressionen sind noch so verhalten, dass man sie als solche gar nicht erkennen kann. Wenn der Köder geschluckt ist, wird das Level von Beleidigung und Niedertracht nach und nach erhöht. Wenn der Troll dann endlich erkannt und isoliert ist, dann ist es für eine Rettung der Kommunikationssituation meistens schon zu spät. Ein Troll agiert da manchmal nicht anders als ein Boxer: Die Schläge dienen in erster Linie dazu, den Gegner zu ermüden.

Kann eine Kommunikationsgruppe möglicherweise den Angriff eines einzelnen Trolls noch abwenden, nämlich etwa durch den allgemeinen Beschluss, ihn zu isolieren und seinen Köder eben nicht zu schlucken, werden die Verteidigungen schon wesentlich schwieriger, wenn es sich um mehrere, gar um eine Troll-Meute handelt. Übrigens kann natürlich auch ein einzelner Troll eine solche Mehrzahl zu simulieren versuchen, etwa durch das Benutzen mehrerer Fake-Profile (die „Sockenpuppen“). Auf diese Weise lässt sich für einen negativen Einschuss in den Kommunikationsschwarm eine wesentlich größere Resonanz simulieren; zögernde oder unsichere Mitglieder reagieren verängstigt oder unbedacht, so dass nun jeder weitere Köder geschluckt wird. Genau so gierig wie auf die beleidigte oder gegen-aggressive Reaktion ist der Troll auf die Versuche zu beschwichtigen und zu moderieren. Wir ahnen: Troll-Aktivitäten und faschistische Propagandastrategien haben eine erhebliche Schnittfläche gemeinsam. Durch den Einsatz von „Sockenpuppen“ kann es dem Troll gelingen, einen destruktiven Diskurs, den er im Schwarm erzeugt hat, lebendig zu erhalten und anwachsen zu lassen. Der geübte Foren-Besuchern erkannt allerdings bald die merkwürdig identischen Sprachmuster, bis hin zu wiederkehrenden Rechtschreibfehlern. Ohne daraus gleich wieder ein Klischee bilden zu wollen: Sprachliche Sorgfalt kann schon wegen der Strategie nicht erwartet werden, nach der ein authentischer Beitrag am besten wie eine gesprochene statt wie eine geschriebene Äußerung erscheinen soll; man könnte vielleicht sogar, etwas Zeit und geeignetes analytisches Werkzeug vorausgesetzt, bei der Entstehung von so etwas wie einem lautmalerischen Troll-Code zusehen. Ein Sonderfall des Troll ist denn auch jener, dessen eigentliches Hass-Objekt nicht eine Person oder eine Gruppe darstellt, sondern die Sprache selbst, ein Racheakt für das Scheitern an ihr, stellt dann diese Sprech-Schrift oder auch Brüll- und Kotz-Schrift dar, die im Land der Dichter und Denker besonders zu gedeihen scheint („Könd ihr mit eurm Geschwaffel vom Ultra 3000 nich wie normale Deudsche redn? Seit ihr was bessers oder was? Scheißfremwörter!“)

Der größte Erfolg eines Trolls oder mehrerer Trolle besteht allerdings darin, nicht nur eine Kommunikation gestört bzw. zerstört, sondern die Mitglieder der Kommunikationsgruppe gegeneinander gehetzt zu haben. Es wäre im Übrigen sträflich, den Troll insgesamt bei „bildungsfernen“ Schichten zu suchen, es gibt durchaus auch akademische Trolle (und bemerkenswerte Mischungen aus akademischem Jargon und der oben erwähnten Kotz-Umschrift). Und wir begreifen, dass, je näher man die Sache besieht, desto schwieriger die Unterscheidung von Troll-Aktivität und ganz gewöhnlicher rhetorischer Gemeinheit fallen muss. Dass nämlich Trolle vorwiegend Leute sind, die ihren Alltagsfrust, ihre Manipulationswut und ihren gewöhnlichen Sadismus gefahrlos im Internet Gassi führen wollen ist eher eine Entlastungsphantasie. Natürlich gibt es die digitalen Querulanten, denen die Störung von Kommunikation und Zusammenhalt an sich Vergnügen bereitet. Viel größer aber ist die Zahl derer, die ganz gezielt Kommunikationssituationen angreifen, die ihnen nicht passen.

Eine andere Troll-Strategie ist es daher, in einer Kommunikationsgruppe Verbündete zu suchen, etwa indem bei einer mehr oder weniger respektvollen Auseinandersetzung dem einen durch Niedertracht und Beleidigung näher getreten wird, während zur gleichen Zeit die Kontrahenten umschmeichelt und „aufgebaut“ werden. Auch hier bedarf es eines geübten Blicks, um eine rhetorische Zustimmung von einer taktischen Schmeichelei zu unterscheiden.

Die lange Zeit für die bedeutendste gehaltene Motivation in der Troll-Aktivität ist die Verschleierung der eigenen Identität. Bei genauerem Hinsehen aber ist der maskierte Troll nur eine besonders verbreitete Form, troll-haftes Verhalten aber legen durchaus Menschen an den Tag, deren Identität kaum verborgen ist, und auch solche, die sich mit Klarnamen zu ihrem Vorgehen bekennen. Jeder „erfolgreiche“ Troll schafft nicht nur das kommunikative Desaster, sondern auch Terrain für seine Nachfolger. Was eine Sockenpuppe ungestraft sagen durfte, darf bald darauf der Klarname ebenso.

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Der Troll, bzw. der Griefer (also jener, der in ein Computerspiel eingreift, nicht um mitzuspielen oder gar zu „gewinnen“, sondern um den anderen den Spielspaß zu nehmen, die Regeln auszuhebeln, einen Köder der Demotivierung zu legen) hat mittlerweile durch etliche der gewohnten statistischen Untersuchungen (vorwiegend in den USA und Kanada) ein ziemlich eindeutiges Profil erhalten.[3] Seine vier Haupteigenschaften sind: Alltagssadismus, gekränkter Narzissmus, „Machiavelismus“ und Soziopathie (einschließlich der Lust am maskierten Intrigieren). Erstaunlicher als diese Eigenschaften und die Verstärker-Funktion durch den leichten Erfolg dabei ist allerdings der Umfang der Troll-Aktivität (und die Bereitschaft, sich immerhin in der Anonymität eines Befragungsbogens dazu zu bekennen): Mehr als ein Viertel der US-amerikanischen Internet-Nutzer geben an, schon mindestens einmal das Verhalten eines Trolls an den Tag gelegt zu haben. Knapp die Hälfte davon räumen ein, nicht nur Beleidigungen und Schmähungen benutzt, sondern auch gezielt versucht zu haben, einer Gruppe die Kommunikation zu zerstören. Wiederum weniger erstaunlich ist es, dass innerhalb dieser Gruppe der Anteil der männlichen Nutzer im Alter zwischen 18 und 34 klar dominieren (allerdings auch wieder nicht so klar, dass die anderen entlastet wären).

Schon eher erstaunlich ist, dass sich die Mehrzahl der Trolle nicht auf Twitter und Facebook herumtreibt, sondern viel eher auf spezielleren Internet-Chats (45 Prozent). Beinahe die Hälfte suchen sich dazu politische Chats aus, gefolgt von Spiel-Gemeinschaften und Gesundheitsforen. Alle diese Angaben sind höchst problematisch, denn schließlich wird auch die Grenze zwischen „normalem“ und Troll-Verhalten sehr unterschiedlich begriffen, und viele Menschen würden ihr eigenes Verhalten nicht als Troll-haft einschätzen, obwohl es von anderen durchaus so eingeschätzt wird. Umgekehrt hat, wie es die Untersuchungen indirekt zeigen, Troll-Verhalten im Internet bereits Züge eines Rollen-Modells.

Gewiss gibt es auch eine spezielle „Victimologie“ der Internet-Kommunikation. Kaum anfällig für Troll-Angriffe sind solche Chat-Rooms und Debatten, die von vornherein hoch spezialisiert und in stark codierter Form geführt werden; es gibt einen intellektuellen Anspruch, an dem jeder Troll abprallt. Besonders anfällig sind indes Foren, die moralische und religiöse Themen in allgemein verständlicher Form behandeln, und hier, wen wundert es noch, wiederum solche, die sich um Geschlechterfragen und Sexualität entwickeln. So wie die sexualisierte Gewaltphantasie den politisch Unliebsamen trifft, so trifft die politisierte Gewalt den sexuell Unliebsamen. Wer glaubt, die Gesellschaft des Jahres 2015 sei auf einem guten Weg, Männergewalt gegenüber Frauen, Homophobie und Machismo zu überwinden, kann sich durch die entsprechenden „Kommentare“ und Attacken auf feministischen oder LGBT-Seiten eines Besseren belehren lassen. Und auch hier vereinigen sich Troll-Angriffe zu Wellen und Stürmen des digitalen Hate Speech.

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Natürlich könnte man zumindest den aggressiven Troll erst einmal unter dem Aspekt einer mittelschweren soziopathischen Störung behandeln. Der Zwangscharakter vieler Äußerungen ist schwer zu übersehen. Von den politisch organisierten und kommerziellen Trollen abgesehen, könnte man wohl von vielen Trollen behaupten, es handele sich zwar um ein echtes Arschloch, aber unter der Puppe sei doch auch eine sehr arme Socke zu erkennen.

Das „Trollen“ ist zunächst ein Psycho-Spiel, das seine Wurzeln in der analogen Welt hat. Das Kind, das bei einem Spiel nicht mittun kann, entweder, weil die anderen es nicht dabei haben wollen, oder weil es sich von seinen Anforderungen und seinen Regeln überfordert fühlt, oder auch weil es ein Verbot von anderer Seite gibt (Spiel nicht mit den digitalen Schmuddelkindern!), ist versucht, dieses Spiel zu stören. Jede Art von Kommunikation ist von dieser Gefahr bedroht. Digitale Vernetzung und soziale Netzwerke verschärfen dieses Problem zunächst einfach dadurch, dass sie es den Angreifern leicht machen, dadurch, dass es so viel Beute gibt, dass sehr schnell ein vergeblicher Köder-Versuch eines trolling von einer auf eine andere Gruppe übertragen wird, dass es für die Angreifer kaum eine soziale Gefahr gibt – etwa die, sich lächerlich zu machen, oder die eigene Isolation bzw. Motivation ausgestellt wird. Trolling verspricht höchste Wirkung bei geringstem Aufwand.

Es mag das unausgesprochene Ziel der erwähnten Untersuchungen sein, den Troll zu „entpolitisieren“ und zu psychologisieren. „Alltags-Sadisten haben keine Hintergedanken. Sie wollen einfach Spaß haben … und das Internet ist ihr Spielplatz“, erklärt etwa Erin Buckels von der University of Manitoba zum Abschluss der Untersuchungen. Aber das Internet ist eben auch, in negativer Spiegelung dessen was wir uns einst erhofft haben mochten, ein ideales Medium zur Selbstorganisation, Bündelung und schließlich Politisierung der psychopathischen Energien. Der alltagssadistische Troll wird sehr rasch direkt oder indirekt zum Teil des seinerseits schwarmhaften Hate Speech.

Die Idee eines vollkommen offenen Forums, das sich gelegentlicher Angriffe durch Trolle in seiner Schwarmintelligenz durchaus erwehren könne, stirbt nach und nach aus. Die Online-Medien schränken ihre Kommentar-Funktionen ein, die Funktionen der Moderationen und der Administrationen wird ausgeweitet. Neue Formen der Kontrolle werden eingeführt. Und schon geraten wir in die nächsten Widersprüche. Der Programmierer Kevin McAlear entwickelte einen Algorithmus, der anhand von Text-Analysen automatisch Troll-Attacken abfängt, die – neben den Spams und den Phishing Mails, der unerwünschten Werbung und dem Versuch, sensible Daten zu ergattern, und neben schlicht destruktiven Viren oder auch Trojanern, die den Computer zur Datensammlung ummodeln – das Internet großräumig vergiften. Wäre das nichts? Ein Firewall gegen Trolle, ganz ohne die Magenschmerzen und Unsicherheiten eines Admin?

Da geschieht indes etwas, das möglicherweise nicht besser ist als die Trolle selbst, nämlich neue Formen des Spähens und Berechnens: McAlear lässt durch sein Programm die letzten 50 Kommentare eines Users auf fragwürdige und aggressive Inhalte hin untersuchen. Daraus entwickelt er für den User einen „Hater Score“, also ein Ranking der (verbalen) Bösartigkeit, die auf der Webseite „Hater News“ abgerufen werden kann. (Fatalerweise scheint das Portal übrigens gerade schwer überlastet.) Die Seite „Trolldoor“ mit einer ähnlichen Funktion, wird noch wesentlich analog, nämlich nach einem simplen Melde-Verfahren geführt.

„Internet-Trolle sind Feiglinge, die das Leben in unserem Land vergiften“, erklärt der britische Justizminister Chris Grayling in einem Interview (wie gesagt: das Phänomen schwappt gerade einmal wieder an die analoge Oberfläche). Und was hat er zu bieten? Wir haben es geahnt: Die Höchststrafe für Trolling soll auf zwei Jahre Gefängnis angehoben werden. Die Internet-Comunities in ihren vielen Erscheinungsformen sind gespalten: Können wir mit unseren eigenen Mitteln und mit unseren eigenen Regeln mit der Gefahr fertig werden, oder müssen wir Macht-Instanzen, Staat, Justiz und Polizei, aus der analogen Welt zu Hilfe rufen? Der feuilletonistische Ruf nach der Förderung einer „Debattenkultur“ hilft aktuell jedenfalls nicht besonders viel weiter; die Internet-Trolle seien da nur ein Symptom einer allgemeinen Verrohung und Verflachung von Kommunikation, auch in den Schulen werde kein besseres Vorbild gegeben, geschweige denn in den Medien: Erscheint uns die Bild-Zeitung nicht oft als ein Blatt, das von professionellen Trollen vollgekritzelt wird die gelegentlich bewusst die Grenzen zum Hate Speech überschreiten? Ist nicht eine gewisse verbreitete Journaille in ihren Kampagnen von einem gedruckten, bebilderten Shitstorm kaum noch zu unterscheiden? Und, aufgepasst Sprachforscher, woher kommen eigentlich die linguistischen Verstümmelungen, die infantilen Neologismen und die Brüll- und Kotzsprache vieler Trolle? Und natürlich steht auch das rhetorische Zündeln der Politikerinnen und Politiker zur Debatte: Bei einem Gutteil der sexistischen und rassistischen Sprüche in den Kommentaren handelt es sich um Varianten von Aussagen unserer eigenen Politiker. Ach, wäre es nicht schön, wir alle könnten uns wieder ein bisschen mehr benehmen, Netiketten aufstellen, Respekt zeigen? Aber all das kommt nicht über die Wirksamkeit einer gutmeinenden Weihnachtsansprache hinaus.

Troll-Aktivität, Hate Speech und Cybermobbing gibt es in nahezu jedem Staat und in nahezu jeder Kultur. Doch nirgendwo scheint der Übergang so fließend, und nirgendwo scheint die Abwehr so schwach zu sein wie in Deutschland.

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Eine Art der Reeducation schließt sich an. Man will den Troll nicht mehr nur ausschließen, sondern ihn in gewisser Weise zu reformieren versuchen. Er bekommt zum Beispiel eine Antwort, in der er dazu aufgefordert wird, noch einmal Inhalt und Wortwahl seines Beitrages zu überdenken. Als Anreiz wird dann gestellt, dass er damit wieder Aufnahme in das Forum erlangen kann. Dies kann natürlich wiederum technisch durch die entsprechenden Algorithmen ausgelöst werden. Das ist, äh, nett gedacht.

Herabwürdigende Sprache erzeugt einen linguistischen Sog; da ja die Beleidigung zuerst von Einzelnen, dann von Diskursen, und dann von Menschengruppen als „Befreiung“ empfunden wird, und da sie zu Gratifikationen im Internet führt („Endlich sagt es mal jemand“, „Der spricht mir aus der Seele“ usw.) führt auch diese Droge von Entlastung und Aufmerksamkeit zu einer notwendigen Steigerung der Dosis. Der Troll wird im Hate Speech sozialisiert; und die Transformation vollendet sich. Wenn Politiker, die sich niemals als extreme Rechte bezeichnen lassen würden, den Slogan „Kriminelle Ausländer abschieben“ ausgeben, so crackt der Hate Speech diesen Satz sehr einfach zu „Ausländer sind kriminell“ und Ausländer abschieben“. Trolle werden natürlich nicht allein durch Mitglieder der angegriffenen Kommunikationsgruppen gefüttert, sondern sie werden auch mit Nahrung aus der analogen Welt versorgt.

Logischerweise lässt sich auch dies alles wieder umdrehen. Natürlich kann eine Community alles das, was ihr nicht passt, oder alles, was ihr bei der Kritik zu weit geht, als „Troll“ definieren. So wie es beim Hate Speech eine offene Tür zum Mainstream gibt, so gibt es bei der Troll-Aktivität eine offene Tür zur Geste des heroischen Streiters für die Wahrheit. Auch Troll-Aktivität ist eine (wenn auch sehr spezielle) Geste gegen Autorität. Man hat versucht, für den echten, wenn auch überzogenen oder aggressiven Kritiker, der wirklich eine Meinung vertritt und nicht einfach nur die Kommunikation stören will, einen eigenen Namen zu kreieren, nämlich den „Elch“ (da wir schon einmal im Norden sind). Dieser Elch ist vielleicht ein Troll, der sich durch Authentizität zu heilen versuchte, oder ein aufrechter Streiter der Meinungsfreiheit, den eine bequeme Gruppe zum Troll erklärt. Was aber, wenn die Abwehr von Troll und Elch und die damit verbundene Definitionsmacht in die falschen Hände gerät (zum Beispiel in die eines britischen Justizministers)? Was, wenn der ganze Troll-Diskurs, mitsamt dem Hype in den Print- wie in den Online-Medien, vorwiegend dem Zweck dient, neue Kontrollinstanzen zu erzeugen? Vielleicht gar nicht einmal in der vom naiven Netz-Liberalismus überall gewitterten Form der offenen Zensur. Sondern in der typischen Dreier-Form des Neoliberalismus. Nämlich durch Ermächtigungen der digitalen Spionage, durch Symbolpolitik im analogen Raum (hören wir sie nicht schon wieder, unsere Politiker: Wir müssen die Trolle bekämpfen, die von rechts und vor allem die von links!?) und schließlich durch Ökonomisierung. Wie, wenn das Troll-Unwesen das perfekte Schauspiel wäre, für ein Schutz-Versprechen Bezahlung zu verlangen?

Aber noch aus einem anderen Grund sind Trolle längst zu einem ökonomischen Faktor geworden. Offensichtlich sind die Leser-Kommentarspalten bei den Online-Versionen der Print-Zeitungen schon die größere Attraktion, und dort erwartet man förmlich schon schmackige Entgleisungen, Obszönitäten und Streitsucht; selbst bei F.A.Z. online geben Leser unumwunden zu, dass sie die Kommentare interessanter finden als die Artikel. Einige machen sich schon gar nicht mehr die Mühe, sich mit dem Ursprungstext zu befassen. Der Troll kriegt in der Regel die meisten positiven Bewertungen, der sich am lautesten verhält; damit ist er auf vertrackte Weise, so geht nun einmal marktwirtschaftlicher Populismus, für die Redaktionen wichtig. Dass man dann auch noch über Zensur und ihre Definition sprechen kann, macht die Sache noch heißer (und manchenorts noch verlogener). Umgekehrt muss der gewohnheitsmäßige Troll, der eben nie allein von der Empörung lebt, die er auslöst, sondern immer auch vom Zuspruch, den er sich ködert, eine eigene Sprachregelung entwickeln, die ihn genau an die Grenze führt zwischen dem, was von ihm erwartet wird, nämlich auf die Kacke hauen, und dem, was die Redakteure und Administrationen zum Eingreifen zwingen würde. Denn im Zweifelsfall sind sie mit verantwortlich für das Umkippen der Troll-Aktivität in die Hate Speech. Sie füttern die Bestie, damit aus den Trollen ein dunkles Heer namens VoxPopuli wird, vor dem sie uns zu verteidigen vorgeben. In einer durch und durch kommerzialisierten Medienlandschaft sind Trolle keine Störenfriede, sondern Teile des Unterhaltungskonzepts.

Die Freiheit der Meinungsäußerung im Netz ist deswegen nicht demokratisch legitimiert, weil sie immer auch eine ökonomische Seite hat. Wenn die Spielwiese oder der Aggressionsraum, den ein Medium zur Verfügung stellt, schon wichtiger ist als das Medium selbst, kann von einem Dialog ja nicht mehr gesprochen werden. Müssen wir nicht lachen angesichts eines Journalisten, der nur noch als Stichwortgeber für lukrative Shitstorms dient? Können wir uns nicht allzu gut eine Redaktionskonferenz vorstellen, bei der nur noch die Quantität der von trollings durchsetzten Reaktionen als Erfolg gewertet wird? Wenn wir Demokratie als eine Verbindung von Freiheit und Kontrolle auf der Basis der Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit, dann haben vertrollte Chats und Kommentarfunktionen die Gestalt von Wirtshausdiskursen kurz vor dem Ausbrechen von Schlägereien, kurz vor dem Eintreffen der Polizei. Dass es ein Grundrecht der Meinungsfreiheit gibt, heißt nicht, dass jeder ein Recht auf die ungefilterte Veröffentlichung seiner Meinung hat, natürlich schon gar nicht, wenn er oder sie nicht einmal ihren eigenen Autorennamen offenbaren. Dieses Recht leitet sich stattdessen ausschließlich aus der Aufmerksamkeitsökonomie ab. In Wahrheit produzieren viele Elche, Trolle etc. keinen Informations- und keinen Streitwert, sondern vor allem einen Unterhaltungswert. Und viele der Trolle sind sich dieser Tatsache mehr oder weniger bewusst. Hey, ihr Redaktionen von Internet-Zeitungen, in denen man so bequem vom Artikel auf die Werbungen klicken kann (oder muss, weil man es eigentlich gar nicht will): Könnt ihr nicht einen Autor von scripted reality-Troll-Blogs brauchen? In der Blogosphäre kursieren jedenfalls Variationen des Verdachts, dass derr Troll- bzw. Anti-Troll-Hype derzeit vor allem von den Vertretern der Online-Ausgaben der Print-Zeitungen befeuert wird, um auch eine ökonomische Restrukturierung zu ermöglichen.

Ob das ein Drahtseilakt oder doch ein Eiertanz ist, mag die Einzelfall-Analyse ergeben. Die Versuche einer Firewall jedenfalls werden offenbar nun forciert. Neben die beiden Methoden, entweder eine menschliche Redaktion einzubauen, die im Zweifelsfall ein Posting ablehnen muss, und der Algorithmen-basierten mechanischen Abwehr kursiert der Vorschlag, Postings bezahlen zu lassen, um eine Barriere zu errichten, eine Paywall. Natürlich ist dies ein schräger Vorschlag; sollen etwa auch auf dieser Ebene nur die Habenden ein Recht auf Veröffentlichung ihrer Meinungen und Interessen haben? Soll auch hier die Meinungsfreiheit eine Frage des Geldes werden? Auch die Forderungen, keine Maskierungen mehr zu dulden (was ist aus dem alten Zeitungsgesetz geworden, dass man keine anonymen Leserbriefe veröffentlicht), ist nur bedingt tauglich. Das Dilemma ist da, und es entfaltet sich, wie so oft, zugleich im Alleralltäglichsten und im Grundsätzlichsten.

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Der Troll, habe ich behauptet, ist nicht nur der Störenfried in der Welt der Netzkommunikation und der digitalen Demokratie, nicht nur der Energielieferant und Nachwuchs für organisierte Hate Speech-Kampagnen, sondern auch ein mehr oder weniger akzeptiertes Rollenmodell der Psychopathologie des Alltagslebens (mein Name ist Hans und ich bin trolling-süchtig) und ein ökonomisch nicht unbedeutendes Element der Blödmaschinen der medialen Unterhaltung.

Die F.A.Z. präsentiert in einem Artikel einen gewissen Frührentner namens Ostertag[4], der rund 200 „scharfe“ Kommentare ins Netz schickt, pro Tag wohlgemerkt, und die Stoßrichtung ist klar: „Gebt den Hartz-IV-Empfängern weniger Geld, dann hat sich auch das Drogenproblem bei Jugendlichen gelöst.“ Natürlich war dieser Uwe Ostertag „Grenzoffizier in der DDR“, natürlich hat ihn seine Frau verlassen, natürlich rächt er sich an der Welt dafür, dass seine Hüfte und sein Rücken kaputt und er ein „Krüppel“ ist, natürlich steht, mitten im Sommer, ein Plastik-Weihnachtsbaum mit „Fröhliche Weihnachten“ über der „Sofaecke“. Und natürlich ist seine Querulanten-Energie sexuell aufgeladen. „Provozieren, das ist wie ein Orgasmus.“, sagt Ostertag laut F.A.Z., und dazu dieses Foto: Mannomann! „In seinen grauen Augenhöhlen funkelt es hellblau, sein Gesicht verzieht sich zum Lächeln. ‚Wenn sich jetzt jemand aufregt, dann ist das mein Ejakulat.’“ Das ist Qualitätsjournalismus vom Feinsten, und jetzt wissen wir auch, wie so ein Troll aussieht und wie er tickt, nämlich genau so, wie wir es uns als F.A.Z.-Leser vorgestellt haben. Und gewiss würde ich, wäre ich ein schlechter „Tatort“-Autor, mir einen Uwe Ostertag ausdenken, um die Kommissarin auf eine falsche Fährte in den Sumpf des deutschen Kleinstbürgertums zu führen.

Bei diesem Uwe Ostertag ist es egal, ob er erfunden oder einfach nur ausgewählt worden ist. Zum Artikel über ihn gibt es viele Kommentare. Einer, der Zweifel an seiner Authentizität äußert, oder auch nur Zweifel daran, wie ein Menschenbild in ein Vorstellungsmuster eingepasst wird, ist nicht darunter.

Troll-Aktivität ist das paradoxe Ineinander von „anti-autoritärem“ und „rechtem“ Reflex. Und eine nicht minder paradoxe Mischung aus Ohnmachtserfahrung und Allmachtsphantasien. Einen Menschen wie Uwe Ostertag als „typischen“ Vertreter des Trolls darzustellen, sozusagen als legitimer, digitalisierter Nachfahr des allseits bekannten und verhassten „Querulanten“, als Projektionsfläche aller erdenklichen Klischees, ist offensichtlich Teil einer sozialen Erzählstrategie. Was ist ein Troll? Das Gegenteil eines F.A.Z.-Lesers. Hohoho!

Von den Trollen behauptet Sascha Pallenberg, dass es sich lohne, sie, statt sie einfach zu ignorieren, seinerseits zu attackieren: „Ein Profitroll ist nach spätestens einer Woche durch, wenn er merkt was für eine Ausdauer du hast und wie es dir sichtbar Freude bereitet seine Schimpftiraden zu ertragen. Er kommt danach nie wieder. Das ist wie eine Schocktherapie für ihn, die ihn Tage- und Nächtelang ‚auf 180′ hält. Das schlaucht ihn so richtig …
Dann noch 1, 2 Stündchen in eine kleine Recherche investieren (bei mindestens den Hälften aller Hardcore-Trolle die versucht haben mich richtig in den Dreck zu ziehen, konnte ich die wahre Identität rausfinden) und die Maske runterziehen und das Individuum mit Realnamen ansprechen. Ende der Story!“[5]

Wirklich? Der wirksamste Gegenschlag besteht jedenfalls wohl augenblicklich darin, dem Troll eine Art von Aufmerksamkeit zuzuwenden, die er eben nicht erwartet, sondern ihn nicht nur selbst zu trollen, sondern ihm das anzutun, was er vielleicht am wenigsten brauchen kann, ihn genauer anzusehen. Natürlich kann man dazu auch gleich einen Trollcon ausrufen, wie das in Mannheim durch das Hackerspace RaumZeitLabor geschieht. Eine Gruppe deutscher Journalisten mit „Migrationshintergrund“, darunter Deniz Yüzel von der taz und Özlem Topcu von der Zeit, tourt seit 2012 mit dem Programm „Hate Poetry” durch Deutschland. In dessen Rahmen werden die schlimmsten und dümmsten Beschimpfungen vorgelesen, die die Leser ihnen per Post, E-Mail, Kommentarfunktion oder Twitter sandten. Kann man lachen über„Surentochter eines Surensohns“?

Kann man, für den Augenblick. Tatsächlich aber wird die Erfahrung des bisschen Macht für den Troll mit einem heftigen Empfinden der Ohnmacht auf der anderen Seite bezahlt, was insbesondere dann gravierend scheint, wenn die attackierte Seite ohnehin zu den Machtloseren gehört. Auf jeden Fall müsste eine von vielen Antworten auf Troll- und Hate Speech-Angriffe solidarisches Vorgehen der Nutzergruppen sein: Jene, die über digitales know how und ausgeprägtes Netz-Bewusstsein verfügen, müssen ihre Fähigkeiten jenen zur Verfügung stellen, die als vermeintlich Schwache besonders drastische Angriffe erleiden. Nicht nur Strategien des Selbstschutzes sind gefragt, sondern auch solche der gegenseitigen Unterstützung.

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„Trolle füttern verboten!“

Hate Speech ist ein Verbrechen, auch im Internet. Aber wo fängt das an, und wo kommt das her? Der Troll jedenfalls sagt immer die Wahrheit. Nicht über die, die er attackiert, aber über sich selbst. Daher lohnt es sich, ihn genauer anzusehen.

Georg Seeßlen

zuerst gekürzt erschienen in konkret

 

[1] http://watch-salon.blogspot.de/2015/04/wessen-internet-genderhass-statt.html

[2] http://www.internetmarketingninjas.com/blog/social-media/awesome-internet-trolls/

[3] vergl. unter anderem http://blog.zdf.de/hyperland/2011/07/jetzt-endlich-auch-wissenschaftlich-belegt-dont-feed-the-trolls/http://www.zeit.de/digital/internet/2012-06/trolle-internet

[4] 08.09.2014, von TIMO STEPPAT: Hass im Netz. Ich bin der Troll.

[5] https://www.facebook.com/pallenberg/posts/10152767798337845

 

Bilder:

oben:

 124px-Licence_Art_Libre.svgKarikatur eines Internet-Trolls in Anlehnung an den mythologischen Troll.  

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unten: „Trolle füttern verboten!“ CC BY-SA 3.0   Hochgeladen von Trofobi