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Männlich- und Weiblichkeit

Sie ist kompliziert, die Sache mit den Geschlechtern. Und der Feminismus in seinen verschiedenen Ausprägungen auch. 

Diese Frage kann nicht mit einem einfachen „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden, sondern nur mit: Es ist kompliziert. Der Gegenschlag des „Maskulinismus“ macht sie aber dringlicher, als uns bewusst ist.

Zunächst einmal geht es nicht um Gesinnung oder Überzeugung. Es geht um schieren Egoismus: In einer gerechteren, weiblicheren, respektvolleren Welt lebt sich’s besser. Es geht, pathetisch gesagt, um das Glück.

Kompliziert wird die Frage dadurch, dass „Feminismus“ zwei widersprüchliche Elemente enthält, die auch feministische Theorien nicht auflösen können. Auf der einen Seite geht es um Integration, Emanzipation und Gleichstellung, also um die Aufhebung von Differenzen. Auf der anderen Seite geht es um die Konstruktion von Identität, um das Weibliche als Essenz (ob sie nun an das „biologische“ Geschlecht gebunden ist oder nicht), also um Differenz.

Natürlich ist das ein dialektischer Vorgang. Weiblichkeit wird neu definiert, in Prozessen, die so viel dekonstruktive wie konstruktive Elemente enthalten und die schmerzhaft nicht nur für die Antagonisten sind. Das führt zu zwei weiteren Widersprüchen. Der erste ist der zwischen der individuellen und der kollektiven Emanzipation. Im schlimmsten Fall kann eine Frau Karriere machen, indem sie sich mehr oder weniger gegen den Feminismus positioniert. Im zweitschlimmsten Fall verfehlt eine Frau eine Karriere, weil sie sich zu sehr für die Belange ihrer „Geschlechtsgenossinnen“ engagiert.

Der zweite Widerspruch liegt in der Frage, ob es sich um eine Emanzipation innerhalb der bestehenden Ordnungen handelt oder ob es darum geht, diese Ordnungen feministisch zu verändern. So viel ist sicher: Bestimmte Positionen ändern sich kaum, nur weil sie weiblich besetzt werden.

Neuordnung, so oder so

Bedingungslos feministisch kann ein Mann bei dem sein, was man den politischen Feminismus nennen kann. Die Voraussetzungen sind einfach: Gleiches Recht für alle. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Bedingungslose Chancengleichheit. Es gibt im öffentlichen Leben nichts, was ein Mann kann, soll oder darf, was eine Frau nicht auch kann, soll oder darf. Allerdings nutzt equal pay dort nichts, wo es auf eine generelle Abwertung der Arbeit trifft, und wo keine sozialen Bedingungen für eine Verwirklichung geschaffen sind. Mit Rechten und Freiheiten kann man sich nichts kaufen, solange man ökonomisch erpressbar ist.

In diesem politischen Feminismus spukt also ein Klasseninteresse. Ich gestehe es: Es macht mich wütend, wenn mehr von der weiblichen Besetzung von Vorständen die Rede ist als von der Situation in Supermärkten, Fabriken und Friseursalons. In bestimmten privilegierten Regionen in Politik, Kultur und Ökonomie helfen vermutlich nur Quotenregelungen. Aber ein Feminismus darf sich nicht politisch nennen, wenn er vergisst, für Gerechtigkeit auch in Ausbeutungsverhältnissen zu sorgen. Denn nicht nur die Macht, sondern auch die Ohnmacht ist ungerecht verteilt.

Zweitens haben wir den praktischen oder privaten Feminismus, der im zähen Kampf mit der Fortwirkung von Rollenverteilungen alltäglich neu entfaltet werden muss. Mit dem Kategorischen kommt man da nicht weiter, so wenig wie mit einer simplen Aufteilung der Haus- und Erwerbsarbeit. Denn auch dieser Innenraum ist ein Machtraum; neu verteilt werden muss nicht allein die Arbeit, sondern auch die Kompetenz. Der Alltag muss also, feministisch gesehen, nicht bloß neu organisiert, sondern auch neu erfunden werden. Vielleicht müsste es so etwas wie eine feministische Semantik des Alltagslebens geben, und vielleicht wären viele Menschen überrascht davon, was sie zutage brächte.

Es gibt zum Dritten einen mythologischen oder poetischen Feminismus. Weiblichkeit wird nicht nur sozial und individuell konstruiert und begrenzt, sie wird auch erzählt und abgebildet. Das heißt, dass es ein Recht auf eine Erzählung von Weiblichkeit gibt, das durch feministische Kritik gegen den männlich hegemonialisierten Mainstream verteidigt werden muss. Es gibt auch einen esoterischen, religiösen, mystischen und magischen Feminismus. Allerdings gibt es kein Recht auf eine repressive Entzauberung.

Wenn sich andererseits der Antifeminismus konsensfähig machen will, geht es darum, eine Widerstandslinie dazu zu ziehen. Nötig ist eine (Selbst-) Kritik der männlichen Erzählungen und Bilder. Critical Maleness als Gegenpol zu einer chauvinistischen Reaktion, etwa gegen jene „Männerrechte“, die in aller Regel nur von rechten Männern stammen, auch gegen konventionelle Codierungen männlicher Hegemonie. Mit der Political Correctness in der Sprache verhält es sich dabei wie mit der Quote: Es ist ein nicht wirklich glückliches Mittel gegenüber einer Situation zäher Behauptung. Political Correctness muss nur da verlangt werden, wo sich anders keine semantische Achtsamkeit bildet.

Phantasma der Überwindung

Vollends kompliziert wird es beim sexuellen oder biopolitischen Feminismus. So einfach die Etablierung und Respektierung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts und die Forderung nach einem gesellschaftlich garantierten Schutz gegen sexuelle Gewalt scheint, so kompliziert ist die Analyse von Bevölkerungspolitik, Reproduktionsmedizin oder Life Sciences. Denn von dort kommt noch einmal eine vollkommen neue Definition von Geschlecht als Sex und Gender, und möglicherweise entsteht dort auch das Phantasma einer Überwindung von Weiblichkeit durch Technologie. Und dann geht es noch um Begehren und Lust. Auch das ist so kompliziert, dass man es am liebsten im rein Subjektiven auflöst. Aber gewiss ist die Spaltung in Biopolitik und guten / schlechten Sex ein Trick der Entpolitisierung.

Kompliziert ist es auch beim interkulturellen Feminismus. Kann der Feminismus, der für die mitteleuropäische Mittelstandsfrau gilt, einer für die afrikanische Frau sein? Wann wird daraus ein Instrument des Postkolonialismus? Die Inszenierung von Männlichkeit und Weiblichkeit (and beyond) ist auf immer neue Art Teil der politischen, ökonomischen und kulturellen Macht. Es ist eben kompliziert.

 

Georg Seeßlen

Text zuerst erschienen in taz 17-06-2015

 

Bild: CC BY 3.0 Scott de Jonge