Georg Seeßlen: Eine kurze Geschichte der Bundeswehr
Nach der Katastrophe ging alles wieder von vorne los; zum Glück machten wir das hinter unserem eigenen Rücken ab. Es entstand die „Bundeswehr“, die so tat, als wäre sie die zivilisierteste, bürgerlichste und demokratischste Armee der Welt. Ihr seid jetzt Staatsbürger in Uniform, brüllte der Spieß freundlich, ihr milchgesichtigen Natozwerge! Bei Volksfesten zeigten sich Offiziere geschickt an den Gulaschkanonen, waren kinderfreundlich und präsentierten Broschüren über Verfassungsaufträge und Haubitzen. Kurz bevor die langen Haare in Mode kamen, war die Jugend nämlich „technikbegeistert“, und dementsprechend zeigte sich die Bundeswehr nicht als rüder Männerverein, sondern zweifach entbarbarisiert, politisch und technologisch. Die Bundeswehr hatte weder echten Glamour noch diesen schmutzigen Sex Appeal, den man aus dem Kino kannte, dafür aber war sie die vermutlich sauberste Armee der Welt. Die Uniformen waren immer hoch gestärkt, und wenn die Offiziere die Kaserne verließen, dann nicht um in den Puff zu gehen oder Menschen totzumachen, sondern um Weihnachtseinkäufe für die Familie zu tätigen. Man konnte sich auf diesen grauen Uniformen einfach keine Flecken vorstellen, schon gar keine Blutflecken. In den sechziger Jahren waren sogar die LKWs für die Truppentransporte so neu und kantig und frisch gewaschen, dass man nichts dagegen haben konnte, wenn sie vor der Haustüre das Einparken übten.
Bei den Amerikanern, das konnte man im Kino und in der Wirklichkeit sehen, war alles bullig, rund, massig und ein bisschen verschlampt. Dafür aber auch sehr laut. Bei der Bundeswehr herrschte dagegen die Gerade vor, die Kante war das Maß der Dinge, es schien als müsste der Auftrag Form werden. Als ginge es darum eine Semiologie des Militärischen zu schaffen, in der um jeden Preis der sexuelle Subtext unterdrückt würde. Vollständig konnte das nicht gelingen, aber die Bundeswehr war für eine Zeit verdammt nah dran. Eine Armee von Bausparern und Fahrlehrern, die mit bedächtigem Stolz Gerätschaften reinigt und in der Hose nichts als die Schlüssel für den Hobbyraum hat.
Die Idee dahinter, wenn es eine war, musste sein: Diese Armee ist neu, weder in den Gesichtern noch in den Uniformen, weder in der Technologie noch im Ritus durfte es irgendwelche Spuren des Gebrauchs geben. Unheimlich konnte es höchstens bei den Namen gewisser Kasernen werden, es konnte unheimlich werden, wenn bei Kameradschaftsabenden ein paar Gesänge aus dem Rahmen fielen, unheimlich waren vielleicht noch die „Gelöbnisse“, Zapfenstreich und Fackelzug, und natürlich die Prozesse um die „Schleifer von Nagold“, zum Beispiel. Es war unheimlich, weil es nicht zu den frisch gestärkten Uniformen und den Milchgesichtern passte. Statt des Männerbündischen wehte da ein Hauch des Päderastischen durch die Institution: Das Wirtschaftswunder hatte seine „Kindersoldaten“, die Werbung dieser neuen, demokratischen Armee mit ihrer „inneren Führung“ (was immer zum Teufel das sein mochte) richtete sich an Kinder und Omas, Spielzeug und Katastrophenschutz. Ein Starfighter war eine furchtbare, wenn auch irgendwie gerne einmal vom Himmel fallende Waffe, vor allem aber war es ein Kinderzimmer-Ikon. Wer Plastik-Starfighter klebt, treibt sich nicht auf der Straße herum.
Infantilisierung, kantige Sauberkeit und Verbürgerlichung mochten probate Mittel sein, die neue Armee in die Ära von Ludwig und Heinz Erhardt einzuschreiben. Dem entsprach auch das Echo (oder sollen wir sagen: die Propaganda) in der populären Kultur. Es gilt als abgemacht, dass die Welle der Kriegsfilme in den deutschen Kinos in den fünfziger Jahren ein indirektes Propagandamittel für das war, was unser detektivischer Freund Nick Knatterton ein „Wiederaufrüstungsfass“ nannte (Nick meinte: ein Fass ohne Boden). Und es stimmt wohl auch: In diesen Filmen wurde in der Regel der einfache Soldat gelobt und geliebt, das Militärische gegenüber dem Faschismus distanziert, die Tugenden von Gehorsam und Tapferkeit gefeiert. Joachim Fuchsberger in Stalingrad. Aber ikonographisch passte das nicht zusammen. Der neue Soldat durfte eben gerade kein „Landser“ sein. Aber die Sauberkeit des „Staatsbürgers in Uniform“ war und ist dialektisch verbunden einerseits mit der Schmutzigkeit seines faschistischen Vorgängers und andrerseits mit der absurden Inszenierung des amerikanischen Glamour-Soldaten, der sich so gerne „brechen“ lässt in der Ausbildung, um als Mensch zu verschwinden und als Soldat neu geboren zu werden.
Die einzige Verbindung über diesen ödipalen/kulturellen Bruch hinweg war das Komische. Zu den bizarrsten Hervorbringungen der populären Kultur in der Bundesrepublik gehörten neben den „Landser“-Heften Witzblätter mit Titeln wie „Humor in Uniform“. Was in der äußeren Erscheinung der Armee betont unterdrückt wurde, das wurde hier nachgeliefert: Die Sexualisierung des „Barras“. In der Verleihsaison 1960 fanden sich in den deutschen Kinos 31 Kriegsfilme und zehn „Militärschwänke“ im Angebot. Die Innenseite der sauberen Technologie und der infantilen Bürgerlichkeit (was man vom „Staatsbürger in Uniform“ mitbekam, war ja vor allem „Schulung“) lud sich derb mit Sex und Komik auf. Das Verdrängte kam da zum Vorschein. Die Tunte in Uniform! Die auf Sex mit Rekruten geile Frau des Feldwebels! Ruhe im Glied! Bruahaha! Und vor Stalingrad wurde, mit Verlaub Herr Major, so oft „Scheiße“ gesagt, wie es die unterdrückte anale Energie der Wiederaufbaugesellschaft nur wünschen konnte.
In den sechziger Jahren war die auch organisatorische Verbandelung von Armee und popular culture in der BRD ziemlich unübersehbar. Trotzdem blieb die Beziehung immer prekär (und heute liefert die Bundeswehr ihr Entertainment lieber gleich selber). Paul Mays Film BARRAS HEUTE zum Beispiel sollte 1963 die Geschichte der damals ungemein populären 08/15-Filme gleichsam in die Gegenwart fortsetzen; das Personal der Weltkriegs-Phantasien wurde in die Gegenwart der Bundeswehr verlängert: Wieder trifft man auf einen Schleifer mit dem schönen Namen Oberfeldwebel Knorr, auf menschenfreundliche Große-Brüder-Unteroffiziere und auf Joachim Fuchsberger (der diesmal einen Rechtsanwalt spielt). „So präsentierte“, hieß es damals im SPIEGEL, „die Münchner Gloria schließlich zum Jahresanfang den deutschen Kinogängern ein Bilderbuch mit – ihrer Meinung nach – typischen Szenen aus dem neudeutschen Soldaten-Alltag. BARRAS HEUTE ist bar jeder eigentlichen Handlung und beschäftigt sich, in einer Art Dokumentar-Klamotte‚mit einer Gruppe von Wehrpflichtigen und begleitet sie von ihrer Einberufung bis zum Tag ihrer Entlassung.“ Vorrangig behandelt der Film die damals scheinbar wichtigsten Probleme der jungen Arme. Die feindlichen Spionage-Agenten aus dem Osten (ein Agent schleust kommunistisches Schriftwerk in die Kaserne, was so schrecklich ist, dass sich der verantwortliche Offizier prompt im Bett erschießt), ein Fall von Befehlsverweigerung (ein Unteroffizier weigert sich, mit seinen Panzern durch ein Kornfeld zu brettern, was sympathisch aber letztlich unvernünftig ist). Die zweite große Gefahr war der Alkohol (und eine Szene wurde aus dem fertigen Film, der unter Beratung durch die Bundeswehr entstand, wieder herausgeschnitten, die sogar nach dem Urteil des Regisseurs „erschreckend harmlos gegenüber der Wirklichkeit“ war.). Schließlich wurde eine andere Handlung vollständig entfernt, in der es um die Bemühung einer Mutter ging, ihren Sohn vom Wehrdienst freizustellen, weil der Vater 1945 als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde. Man konnte hier der Bundeswehr bei dem Versuch zusehen, ein Bild von sich selber zu manipulieren. Und man machte das so schlecht und widersprüchlich, dass es bei diesem einen Versuch der direkten Verbindung von Militär und Pop-Kultur in diesem Jahrzehnt blieb.
So aber wurden am Ende der tapfere Opfergang der Väter und die uniformierte Biederkeit der Söhne wieder eine Einheit. In der Welle der Wiederbewaffnungsfilme aus der BRD ragen Filme wie HIMMEL, AMOR UND ZWIRN (1960) insofern heraus, als sie das „unheldische“ der neuen Institution betonen. Hier geht es um den Damenschneider Himmel, der ausgerechnet zu den Gebirgsjägern eingezogen wird. Seine Familie versucht den jungen Mann vor dem Militärdienst zu bewahren; seine Frau überlässt ihm das einjährige Kind und macht sich mit unbekanntem Ziel davon. Aber der Held ist fest entschlossen, den Dienst fürs Vaterland anzutreten und bringt das Söhnchen mit in die Kaserne. Schließlich wird die Presse aufmerksam und macht eine große Geschichte um das „Geheimnis des Bundeswehrsäuglings“. Der Mythos des blutenden und verdreckten Landsers auf der einen Seite und der des frisch geduschten Familienvaters in der Kaserne auf der anderen funktionierten nicht als Widersprüche, sondern als konsequente Ergänzung. Die Söhne standen so im Zeichen eines doppelten Opfers der Väter. Das Konzept war nicht, es ihnen gleich zu tun, sondern viel mehr. Und wie so oft war auch hier die Belohnung für die Bereitschaft zum sozialen Umbau auch die Sexualität.
In LILLI – DIE BRAUT DER KOMPANIE (1972) schleicht sich die Nichte eines Generals als Reporterin in eine Rekruten-Kaserne, um einen Artikel über das Liebesleben bei der Bundeswehr zu schreiben. Die saubere Armee war da endlich kenntlich als eine Maschine, die Sex & Drugs, die den Körper in das Leben des Bausparers einschrieb.
Dann geschah eine Zeit lang mehr oder weniger nichts. Jedenfalls nichts, was sich in die Bilder der populären Kultur übersetzen ließ. Ein paar Schamgrenzen fielen, na schön. Aber in der Zeit des Neoliberalismus, wo der Bausparer zur Witzfigur werden musste (bevor er glorreich in den 2005er-Jahren wiederauferstand, als Avantgardist des radical Spießer-Chic), war die Bundeswehr eher eine wärmende Verlierer-Nische als ein Karriere- und Mythenmotor für den Mainstream. Aber kaum war der Dicke weg, in dessen Schatten nur dieses „nichts“ geschehen konnte, da wurde es für die Bundeswehr zum ersten Mal ernst. Propaganda und Berichterstattung (und was so dazwischen liegen mag) dramatisierten sich nun drastisch. Die Armee ohne Glamour und ohne Schmutz war eine entscheidende Voraussetzung der Integration des Militärischen ins Rot-Grüne Projekt – vielleicht war es auch umgekehrt eine Integration des rot-grünen Projekts in die militarisierte Politik. Der Sandsack war das Ikon der Armee in der Schröder/Fischer-Ära, und ihre Erzählung die eines moralischen Eingreifens, dessen Ziel eben darin zu bestehen schien, anzuwenden, was man drei Jahrzehnte lang im Inneren trainierte: Die Kunst, sich nicht schmutzig zu machen.
Die beiden Verwandlungen der Institution in dieser Ära gingen erstaunlich reibungslos vonstatten, nämlich die „Verweiblichung“ und die Umwandlung von einer Verteidigungs- in eine Eingreiftruppe mit einer heimlichen Sehnsucht nach dem Hindukusch. Dort draußen verwandelt sich der Staatsbürger in Uniform in den abenteuernden Entwicklungshelfer. Wäre nicht der Greenpeace-Soldat das Ideal dieser Ära? Der Soldat, der mit seiner bedächtigen Technologie zwar schon einmal eine Brücke kaputtmacht, aber viel lieber hungrige Babys füttert und Wale rettet. Eine silberphallische Waffe wie der Starfighter jedenfalls wird nicht mehr als Verständigungs-Ikon benötigt. Im Mittelpunkt steht der Mensch. Der orbitale Blick der Weltmächte wird suspekt. Am Hindukusch werden die infanteristischen Tugenden benötigt; für den Soldaten der Bundeswehr kann es auch nicht in Frage kommen, sich in solch einen futuristischen „Krieg der Sterne“-Panzerklon-Soldaten zu verwandeln wie sein Kollege und seine Kollegin der US-Army im Irak (vom sexualisierten Folterspiel ganz abgesehen). Eine andere Verwandlung dagegen scheint ausgeschlossen: die Verwandlung von einer Armee der Wehrpflichtigen in eine Berufsarmee. Der deutsche Schuh wird umgekehrt: Die allgemeine Gesellschaftsdienstpflicht, mit einem militärischen Seitenzweig. Das passt!
Wenigstens für das deutsche Fernsehen gab es am Ende der neunziger Jahre wieder markige Helden, die stolz auf ihre militärische Herkunft waren. In DIE TODESFAHRT DER MS SEASTAR (1999) geht es um einen Luxusliner, der von einer Gruppe von Terroristen gekapert wird, deren Anführer Kranz ein Lösegeld von 50 Millionen Mark fordert. Doch an Bord befindet sich auch der Bundeswehrkampfschwimmer Sven Tauchert der in der Manier von DIE HARD die Terroristen, einen nach dem anderen, ausschaltet. Auch da realisiert sich etwas im „echten“ Einsatz, was in der sauberen Armee langsam aber gezielt aufgebaut wurde: Der Mythos des Einzelkämpfers (und jetzt auch der Einzelkämpferin) in netter Form. Nämlich als strahlender Sportler. Die Sportgeschichte der Bundesrepublik ist so wenig ohne die Armee zu schreiben, wie die Geschichte der Bundeswehr ohne Sport. Es ist, wohlgemerkt, der Einzelne, der da zugleich militarisiert und entmilitarisiert auftritt, der Ausdauer- und Konzentrationssportler.
Interessanterweise kommt uns derzeit die NVA komisch. Das Komische ist zwar nicht das einzige Mittel der Distanzierung, aber das erfolgreichste. Was auf der einen Seite dergestalt abgetan wird, erhält auf der anderen Seite seine Weihe. Über die Bundeswehr wagt unsere populäre Kultur in dieser Zeit keine Witze. In der Ära von SchröderFischer nämlich kam diese Armee zu sich, sie wurde in zwei großen Gesten „erwachsen“, in einer der militärischen Aktion im Osten und in einer Geste der „Verweigerung“ im Irak. Das war das entscheidende Mehr als das Bild der Gulaschkanone beim Volksfest und die warmen Decken beim Katastropheneinsatz. Der nächste Mythos der humanitären Kriegsführung gebar sich aus diesem Weg der neuen Generation in die Mitte; diese bürgerliche, infantile, desexualisierte, familienfreundliche, technikfreundliche und frisch gestärkte Armee integrierte noch den Pazifismus (wenn sie nur diese Zapfenstreiche lassen könnten!). In der Welt des Neoliberalismus ist sie eine „authentische“ Institution der öffentlichen Moral.
Alles in allem also war das Propaganda-Konzept der saubersten und langweiligsten Armee der Welt enorm erfolgreich. Und was gibt es heute? Sehen wir uns die offizielle Webseite der Bundeswehr an. Es sind die selben alten Geschichten. Das neue technologisch verbesserte U-Boot. Die humanistische, engagierte Hilfe für die Erdbeben-Opfer. Der Sieg der Militär-Angehörigen bei den Iron-Man-Weltmeisterschaften. Die Militärmusik zum Herunterladen. Das große Volksfest der Feldjäger in Sonthofen und der Segeltörn der Gorch Fock. Und ein Extra-Kapitel „Auslandseinsätze“. Diese Armee ist, unter anderem, eine Antwort auf das Grauen der verkommenen Spaßgesellschaft vor sich selber. Und ihre Fortsetzung mit anderen Mitteln.
Autor: Georg Seesslen
Bilder: Szenenfoto, Plakat: Lilli – Die Braut der Kompanie, Universum Film (UFA)
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12. Januar 2014 um 17:59 Uhr
Ich kenne den Autor dieser Zeilen und seinen Hintergrund nicht. Was er aber über die deutschen Streitkräfte schreibt ist Quark mit Soße. Ich weiß nicht, ob der „gedient“ hat, meine Erfahrungen (zugegebenermaßen nicht beim Heer, sondern bei der Marine) sind seinem Schreiben diametral entgegengesetzt.