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King Kong auf dem Berliner Fernsehturm

ART GIRLS ist ein cineastischer Versuch, Kunst Wirklichkeit werden zu lassen. Dazu hat sich Robert Bramkamp biotechnische Experimente und fliegende Frösche erträumt.

Alles liegt bei allem, kurz „Alba“. Die Dinge, die beieinander liegen und ein Neues bilden, einen Haufen, den man wahlweise Durcheinander oder Kunst nennen kann. Hier, in der Eingangseinstellung von Art Girls, liegt alles bei allem in einer Berliner Hochhauswohnung und wird fotografiert: CDs und Schmuckstücke, ein angebissener Apfel, Spielkarten, beschriebene Blätter. Was bedeutet das? Wo ist das System und wo das Chaos? Es ist zu spät, jetzt noch mit dem Aufräumen zu beginnen, aber alles kann man nicht behalten. Da fliegt eine Karte aus dem Fenster über Berlin. So fängt alles an. Die Kunst und das Leben.

Man könnte es beinahe eine Story nennen: Drei Künstlerinnen, so verschieden im Charakter wie im Karriere-Status, Nikita Neufeld (Inga Busch), Una Queens (Megan Gay) und Fiona da Vinci (Jana Schulz). Die eine lebt so prekär wie die Mehrzahl der Künstlerinnen, die andere behauptet sich, die dritte ist schon so etwas wie ein Star. Weil die Rivalitäten auch in den sogenannten privaten Bereich reichen, wäre das alles möglicherweise der Beginn einer wundervollen Künstlerinnen-Soap Opera. Die Gute, die Harte und die Smarte …

Da aber kommt etwas dazwischen, nämlich ein Projekt der Gebrüder Maturana (beide von Peter Lohmeyer gespielt), die einen Biotech-Konzern leiten und am Projekt einer „Biosynchronität“ werkeln, mit eher zweifelhaften Resultaten. Die zwei sponsern eine Ausstellung namens „Art Gate“, bei der die drei Künstlerinnern doch zusammen arbeiten müssen, ob ihnen das gefällt oder nicht, schließlich ergibt sich nicht so häufig eine Gelegenheit, die eigene Arbeit einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren. Und wieder spielt da der sehr private Eros mit hinein. Aber in Wahrheit ist dies nur die Maske für ein weiteres Experiment mit der Schöpfung einer neuen Wirklichkeit. Das hätte nun der Beginn einer wundervollen Mad Scientists-Science Fiction sein können, denn das Experiment beginnt gleich mal mit fliegenden Fröschen und könnte zum physisch entgrenzten Menschen führen.

Wenn nur das Scheitern nicht wäre! Die deutliche Erkenntnis: Es nutzt nichts, die Subjekte dieser Welt zu verändern, wenn man nicht zugleich die Wirklichkeit verändert, die sie umgibt. Dieser Film ist ein klarer Fall von Wahrnehmungsreflexion, eine Meditation über die Bild-Förmigkeit der Beziehung zwischen dem Menschen und der Welt.

Da kommt allerdings wieder etwas anderes dazwischen, denn nun brechen die Grenzen zwischen Kunst und Wirklichkeit zusammen, mit ebenso poetischen (die Sonne verändert ihre Farbe wie in einem Kinderbild) wie horriblen (ein Mecha-King Kong erklimmt den Funkturm und bringt ihn zum Einsturz) Folgen. Was ist das? Ein Katastrophenfilm? Jedenfalls befinden sich echte Rettungssanitäter im Einsatz.

Im Zentrum der Geschichte(n), die Robert Bramkamp in seinem Film Art Girls erzählt, stehen Installationen der Künstlerin Susanne Weirich, die auch für die Art Direction zuständig ist. Ist es also ein Film, der nicht nur von Kunst erzählt, sondern selber ein Kunstwerk ist, das mit den Mitteln des Films in eine weitere Dimension hin erweitert wird? Ein Zwischenschritt – kaum gebändigt durch die black box namens Kino – auf dem Weg der Kunst, zur Wirklichkeit zu werden.

So etwas kann natürlich nicht an jedem beliebigen Ort der Welt passieren. Es passiert in Berlin, mit seiner Dichte von Galerien und mehr oder weniger erfolgreichen Künstlerinnen und Künstlern, den Diskursen und Diskussionen, dem Glamour und dem Alltag, den Dramen und den Grotesken der ästhetischen Produktion. Ist Art Girls vielleicht auch ein Berlin-Film? Oder einer über den Kunst-Untergrund dieser Stadt? Auf jeden Fall kann man sehen, wie sich eine Stadt durch die Kunst verändert. Und umgekehrt die Drehorte: Bötzow Brauerei, unter Spreebrücken, leere Kühlschränke, Baustellen, Kellergalerien und Wohnungen in höheren Stockwerken. Was wäre die Kunst, wenn ihre Kehrseite nicht Berlins Schmutz wäre.

Wenn die Wirklichkeit zur Kunst geworden ist, ist das dann der Himmel oder die Hölle? Falsche Frage! Denn vielleicht ist Art Girls ja auch das Märchen der Kunst im Zeitalter der Posthumanisierung. Und ein Märchen versteht man nun einmal anders als einen realistischen Roman. Kinder können sich über die neue Schöpferfreiheit freuen, aber die miteinander verschalteten „Biosyncs“ stürzen ebenso ab wie vor ihnen die Frösche. Fiona verschwindet bei einem gewagten Happening, Una Queens tritt auf die andere Seite über und macht mit dem weniger wagemutigen und dafür geschäftstüchtigeren Maturana-Bruder gemeinsame Sache, der aus dem künstlerischen Sprung in eine neue Wirklichkeit und neue Kollektivität ein grandioses Geschäft aufziehen will. Am Ende bleibt es Nikitas Aufgabe, mit einem wirklichen Kunsttor die Welt zu retten. Ob das gelingen kann? Und ist Art Girls ein Film mit einem erlösenden Happy End?

Nackte Ausdruckstänze

Wo von oben die Biotech-Macht greift, greift von unten die Kraft der kollektiven Erzähler. Die treiben allerhand, von nackten Ausdruckstänzen bis Samurai-Jagden durch die Stadt. So könnte aus der Katastrophe ohne Weiteres die Revolution werden, denn wenn man etwas über die „Kunstwirkung“ sagen kann, dann dies, dass sie nicht zu kontrollieren ist von Konzernherren. Früher oder später muss also eine Kunstpolizei her. Scheitern muss auch sie.

„Art Girls“ (Trailer) © realeyz Arthouse Cinema 

Wovon immer Art Girls handelt, er handelt nicht nur davon, sondern ist es auch selber. Der Film ist Teil dessen, worüber er nachdenkt, und das ist, wenn ich mich nicht irre, Wesensmerkmal dessen, was man „Bewusstsein“ nennt. Es ist einer dieser Filme, die man nicht im herkömmlichen Sinne „versteht“ (und dann ist gut), sondern einer von denen, die im Kopf weiterleben und sich verselbständigen. Er ist nicht „einfach“ in der Art, dass er komplizierte Beziehungen auf irgendeinen Aspekt „herunterbricht“, wie es so viele Kunst- und Künstlerfilme machen. Er ist aber auch nicht „schwierig“ in der Art, dass er beim Zuschauen Barrieren aufbaut und sich wichtig macht. Man kann Art Girls einfach durch sich hindurchfließen lassen, satirische Szenen genießen, Kunst wirken lassen (es ist nichts Verwerfliches daran, in einen Film wie diesen zu gehen, nur um einmal die Schönheit fliegender Frösche zu bewundern), sich einem poetisch-diskursiven Flow überlassen. Genauso gut kann man ihn sich als Gedankenexperiment aneignen, als Film, der nichts „repräsentiert“, sondern eine Forschungsreise wiedergibt, in die Biologie der Erkenntnis, meinethalben. Oder in die Seele der Kunst. Man kann den Film auf mindestens ein Dutzend Arten anschauen, und er hat immer etwas zu sagen. Man darf nur nicht erwarten, dass die eine Art ihn anzuschauen reibungs- und widerspruchslos in der anderen aufgeht.

Wirkliche Erkenntnis, das wissen die meisten Forscher, und die ehrlicheren von ihnen geben es auch zu, entsteht hauptsächlich aus der Fähigkeit, dem Zufall eine Chance zu geben. Man kann das auch Freiheit nennen. Art Girls gehört zu den Filmen, die Zuschauerinnen und Zuschauer schon deswegen glücklich machen können, weil sie ihnen Freiheit geben.

Am Ende liegt alles wieder bei allem. Nur anders.

Georg Seeßlen

Text zuerst erschienen in ZEIT

 

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Art Girls – Der letzte Katastrophenfilm: Ein Gespräch zwischen Georg Seeßlen und Robert Bramkamp

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ZUM KINOFILM ART GIRLS

website artgirls.eu

Art girls Kino 680

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