Die süße Keimzelle der Gier
Anker in einer imaginären Kindheit
Wir leben, das ist das beste, was wir von uns sagen können, in der Epoche des Scheiterns. Alle großen Projekte der Menschheitsverbesserung sind gescheitert, so sagt man, alle Ideen und Konzepte, aber Scheitern gehört auch schon zum politischen und akademischen Mittelbau, und noch jeder einzelne Mensch scheitert ein Leben lang so vor sich hin, dass ihm nach nichts mehr der Sinn steht als nach jenen regelbaren, parallelen Welten der Zeichen und Wunder, in denen man nicht scheitern kann, weil sich das Ziel stets den Möglichkeiten anpasst und nur das quantitative Noch-nicht als Motor gilt. Nur erhebend sinnlos muss das ganze sein, kontrolliert regressiv, und tief drinnen ein vollständiges Weltmodell enthaltend, das Imanuel Kant mitsamt seinem Subjekt/Objekt-Problem für lange Zeit in Urlaub schickt: Das Subjekt frisst und baut zugleich seine Objekte zum inneren Zeichenkosmos. Früher mußte man vielleicht noch zum Schmetterlingsammeln und Krokodile-Totschießen nach Afrika, später reichte eine Plastilin-Menagerie oder eine in langen Stunden errichtete Modelleisenbahnanlage oder der Eiffelturm aus Streichhölzern erbaut. Dann kam das digitale Netz: Im Internet kann man sich verfangen, aber niemand ist darin gescheitert. Doch selbst dies ist ja noch ein komplexes, dialogisches Feld, in dem es immerhin so etwas wie Widersprüche gibt. Ein universales und unendlich verständliches System ist dagegen das Überraschungsei und sein Inhalt. Die globale kapitalistische Metapher auf das Subjekt, das nicht eins werden will.
Gewiss, die Verbindung von Süßigkeit und Spielzeug steht in altehrwürdiger Tradition in der Vermarktung, das Kindheitsglück wird erzeugt durch den kleinen Zuckerrausch und Welt-Objekt in den kleinen Schöpferhänden. Und früh schon drängte auf dem Markt das Nebeneinander zum Ineinander, schon in der Nachfolge der „Wundertüte“. „Cracker Jack“ war eine Mischung aus Popcorn und glasierten Nüssen, die, seit 1893 verkauft, kleine zusätzliche Spielzeug-„Preise“ in den Packungen enthielt. Schokoladetafeln wurden zu begehrten Spiel- und Sammelobjekten, zum Beispiel als Schiebespiele, mit denen man aus Kopf, Rumpf und Beinen immer neue Monster aus Mensch und Tier erzeugen konnte. Zu den beliebten Süßigkeiten der fünfziger Jahre gehörten Marshmallow-Tiere, denen Ringe und anderer Kinderschmuck ins süße Fleisch gezogen waren; und selbst der Kaugummi-Automat des nächsten Jahrzehnts versprach gelegentlichen Gewinn eines kleinen Spielzeugs, während andere Automaten in den sechziger Jahren plexigläserne Kugeln mit Spielzeug-Inhalten um jugendliche Konsumenten warben. Bevor man juristisch dagegen vorging, konnte man zum Beispiel bei Sanella Sammelbilder und Figurenserien als „Beigabe“ bekommen. Das Überraschungsei scheint alle diese Traditionslinien wieder aufzunehmen und in eine einzige, unschlagbare Marketing-Idee verwandelt zu haben.
Mittlerweile darf sich das Überraschungsei als das verbreitetste Kinderspielzeug der Welt bezeichnen. Man könnte also sagen: So neu war die Idee, auf die man vor nunmehr 25 Jahren bei der Firma Ferrero kam, und die 1972 in Italien und dann auf dem deutschen Markt erprobt wurde, gar nicht. Und niemand rechnete auch am Anfang mit dem fundamentalen Erfolg dieser Konzeption, die zunächst als österliche Sondervermarktung von Schokoerzeugnissen für kleinere Kinder gedacht war. Das Neue am Überraschungsei wurde gleichsam erst im Konsum selber erzeugt, und zwar durch einen Vorgang, den man in Sammlerkreisen gelegentlich mit dem rührend verräterischen Begriff der „Adoption“ beschreibt. Das Überraschungsei wurde nicht nur gekauft, es wurde in der Tat kulturell adoptiert.
Mittlerweile darf sich das Überraschungsei als das verbreitetste Kinderspielzeug der Welt bezeichnen. Jeden Tag werden 2,5 Millionen Figuren für die Schokoeier hergestellt, im Jahr sind es 1,2 Milliarden. Bislang sind über 3.000 verschiedene Figuren entwickelt worden. Damit ist, das kann man verstehen, nicht nur ein Segment eines Weltmarktes so monopolistisch besetzt, dass sich McDonald’s und Coca-Cola nur neidisch umsehen können, sondern auch eine universale Objekt-Sprache entwickelt, die auf das Weltverständnis nicht weniger wirkt als, sagen wir, Star Wars oder die Beastie Boys. Das Überraschungsei ist die europäische Antwort auf die Zeichenoffensiven der USA im globalen polit-ökonomischen Handelskrieg. Kein Wunder, dass die USA das einzige Land der Erde sind, in denen Überraschungseier noch nicht in jedem Supermarkt zu haben sind, sieht man einmal von Afrika ab: Dieser Kontinent wird ja auch im Zeichenkrieg ignoriert.
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Der Trick war eine Art von Rundum-Glücksversprechen
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Am Beginn der Überraschungsei-Geschichte dominierten die Steckfiguren, kleine Bausätze von Tieren, Automobilen, Flugzeugen und Raumstationen. Dann erst folgten die Hartplastik-Figuren, die es in verschiedenen Serien (eine Serie zwischen zehn und 12 Stück) gibt und die im Gegensatz zu den Bastelspielen den Sammel-Impuls und damit die Konsum-Gewohnheit verstärken. Dazu kommen Metallfiguren, meist historischer und militärischer Ausrichtung, die mehr oder minder zeitgemäße Form des standhaften Zinnsoldaten, und schließlich das Puzzle, das seinen Sammelwert dadurch erhält, dass im nächsten Überraschungsei vielleicht ein anderes Puzzle steckt, mit dem und zwei weiteren einer Serie wiederum ein Super-Puzzle zusammengesetzt werden kann. Kein Wunder also, dass sich ein zweiter Markt auftut, der die begehrten Objekte ohne Überraschung aber zu signifikant erhöhtem Preis anbietet, ein Markt, der sich aus fröhlichen Tauschbörsen zu einer nicht mehr ganz so fröhlichen Geschäftemacherei entwickelt hat.
Der Trick war zuerst einmal eine Art von Rundum-Glücksversprechen. Nicht nur hob sich damit die Alternative „etwas Süßes“ oder „etwas zum Spielen“ auf, es war auch die Hierarchie von Ware und Beigabe durchbrochen. Das Überraschungsei betont (zunächst) das gleichwertige der beiden Genüsse, das Konsumieren und das Besitzen. Und mehr noch, es verbindet sie in ein Ritual, dessen psychologische Tiefenstruktur jede und jeder rasch versteht, der einmal einen Überraschungsei-süchtigen Menschen dabei beobachtet hat, wie er sein „Geschenk“ ent-wickelt. Dieses Ei ist ihm, so scheint es, ein lebendiger Organismus, dem er zur Geburt eines ganz persönlich für ihn bestimmten Wesens verhilft. Diese „gestaffelte Verpackung“ ist Verlängerung des Rituals mit drei sehr distinkten Geräuschen: Knistern der Aluminiumfolie, das Knacken des Schokolade-Eis und das alles entscheidende „Plop“, mit dem das Innere Gehäuse geöffnet wird, um die wahre Überraschung freizugeben.
Am Anfang, wie gesagt, war das Überraschungsei, die kinder sorpresa, kinder surprise, kinder overraskelse eine österliche Marktidee zur Erweiterung der kinder-Schokolade-Palette. Das ganze erwies sich indes rasch als erfolgreich genug, um den saisonalen Aufhänger hintanzustellen. Dennoch blieb ganz offenkundig die Eiförmigkeit des universalen Glücksmetapher mitbestimmend für den Erfolg, was sich am mehr oder weniger kläglichen Scheitern aller Konkurrenzprodukte zeigt. Die Überraschungseier wurden zuerst einmal zum kleinen Geschenk par excellance, Mitbringsel, Belohnung und, man konnte damals schon hier und dort kritische Stimmen hören: „Ruhigstellung“ für Kinder. Doch recht bald schon kam zum doppelten Aspekt von Süßigkeit und Spielzeug ein dritter Anreiz, nämlich das Sammeln. Und wenn es erst einmal etwas zum Sammeln gibt, dann bemächtigen sich noch stets und gründlich Erwachsene den Objekten der Kinderkultur.
Fünf Jahre nach der Markteinführung begann das Überraschungsei bereits ein Doppelleben als Teil der quietschbunten Kinderkultur einerseits, der immer ausdifferenzierteren Sammelleidenschaft der Erwachsenen andrerseits. Die Eroberung dieses zweiten Marktes ging eher schleichend und vorerst wenig geplant vor sich. Man entdeckte das eine oder andere Stück aus einem Überraschungsei als Maskottchen auf dem Telefonbord, im Auto und schließlich, das war schon fast ein Massenphänomen, auf dem Bildschirm der schnell zunehmenden Computer-Arbeitsplätze: kein Bildschirm ohne seinen Zwerg, Schlumpf, Happy Hippo aus dem Überraschungsei. Natürlich träumte ein Teil vor allem davon, sich in einem oder anderen Schrein etwas vom Glück der, nun ja, unbeschwerten Kindheit bewahren zu können. Die forcierte Niedlichkeit insbesondere der Hartplastikfiguren trug dazu nicht weniger bei als die martialischeren Metallfiguren, die in noch tiefer versunkene Reiche der Kindheit zu führen versprachen. Aber wie es so geht, wenn ein neues Sammelgebiet entdeckt wird: Bald erzeugten fanatische Komplettisten eine rege Sammlerszene mit eigenen Zeitschriften, mit Vereinen, Börsen, Auktionen, Philosophien, und einem eigenen Jargon, und mittlerweile ist auch hier das Internet zur führenden und schnellsten Kommunikationsweise geworden, und die Sammler-Szene brachte, natürlich, ihre Geschäftemacher hervor.
Diese Doppelstrategie der Vermarktung war erheblich beteiligt an der Verbreitung des Überraschungseis in der Welt. Der Markt in Kanada zum Beispiel wurde zu nicht geringem Teil für ferrero-kinder surprise geöffnet, weil mitteleuropäische Einwanderer ihre Sammelleidenschaft in der neuen Heimat nicht aufgeben wollten. Ein Land nach dem anderen wurde erobert; seit 1990, zum Beispiel, gibt es die kinder prekvapeni in Tschechien, in jüngeren Jahren wurden neue Märkte in Lateinamerika mit dem Überraschungsei versorgt, Israel ist so wenig ohne das Überraschungsei geblieben wie Neuseeland.
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Das zerbrochene Schokoladenei neben der Figur
und dem technischen gadget ist ein überdeutliches Todesbild
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In Rußland kann man neben den neuen Überraschungseiern für sündteure Preise Objekte der vergangenen Perioden aus dem Westen erwerben, die durch spezialisierte Kuriere ins Land gebracht werden. Immer universaler wird dabei die Sprache des Eis, seiner Adoption und der „geborenen“ Objekte. Wenn es ein Zeichen auf der Welt gibt, das beinahe alle Menschen, arm und reich, in Krieg und Frieden, „verstehen“, dann ist es das Überraschungsei. Die Dansk Kinderaeg-forening darf nun mit Stolz vermelden, dass am 14. April dieses Jahres (2001) in Faro das erste Überraschungsei-Museum der Welt eröffnet wird. Es wird Zeit.
Überraschungseiersammeln ist eine getreue Abbildung, lustiger und gefahrloser, zum Aktienboom der letzten Jahre. Der fetischistische Wert und die wundersame Wertvermehrung gingen Hand in Hand. Der Marktwert selbst einer neueren Figur beginnt bei zwei DM, ist nach einem Jahr bei vier bis fünf DM angelangt und steigert sich dann langsam aber kontinuierlich. Da es in der Regel keine Neuauflagen einer Figuren-Serie gibt, bleibt der Sammler-Wert auch einigermaßen konstant. Die Metallfiguren (bislang ungefähr 200 Modelle) können auch schneller im Wert steigen. zu den begehrtesten gehören Figuren aus der amerikanischen Geschichte, aber auch eine deutsche „Balletttänzerin“. Die großen Summen werden erzielt durch Figuren aus den ersten Jahren, in denen es noch keine organisierten Sammler und kleinere Auflagen gab. Aber schon der „Eierlauf-Schlumpf“ aus der „Olympiade der Schlümpfe“-Serie erzielt Preise zwischen 300 und 350.- DM. Problematisiert wird der Sammler-Markt im übrigen durch legale Nachschöpfungen der Objekte, die ferrero zuläßt, die aber für einen Sammler nicht den geringsten Wert haben, „weil sie nicht aus dem Ei sind“. Es ist der heilige Wert dieses Objekts, dass es „aus dem Ei ist“, auch wenn man selber nicht mehr die Geburt des Objektes mit dem Schokoladenverzehr eines real existierenden Überraschungseis geheiligt hat. Schlimmer als die Nachahmungen, die der Kenner etwa an fehlenden Nummern rasch erkennt, sind die wirklichen Fälschungen. Beinahe noch übler ist die Täuschung eines Sammlers durch unter solchen „Fremdfiguren“ genannten Mini-Spielsachen, unter denen man sich irgendwelchen Wundertüten-Plunder vorstellen muss, von dem der kriminelle Ü-Ei-Objekt-Händler behauptet, sie stamme aus einer sehr frühen Serie oder aber aus einer Serie, die, zum Beispiel, nur in Liechtenstein gefertigt wurde. Am Ende jeder Vermarktungskette steht die Erzeugung krimineller Energien, selbst bei einer Ware, die sich so unschuldig gibt. Die semiotische Universalität der Ü-Ei-Objekte wird mehr oder weniger kreativ durchbrochen durch eine Aufsplitterung in „Dialekte“. So gibt es zum Beispiel Figurensets, die in allen Ländern angeboten werden (insbesondere jene, die nach bereits vorhandenen Serien der populären Kultur gefertigt werden, etwa „Mickey Mouse“, „Asterix“ oder „Die Schlümpfe“), andere, die nur – oder zuerst – auf einem speziellen Markt vertreiben werden wie die „Bill Body“ – Serie aus Österreich, was den Sammler zu internationalen Kontakten oder gar zu „Beutefahrten“ ins Ausland animiert.
Im Gegensatz zu den frühen Jahren ist dieser internationale Markt der Sammler mittlerweile durchstrukturiert und kontrolliert. Neben den privaten Sammlern auf den Flohmärkten, die mit den mittlerweile umfangreichen Preiskatalogen (wie zum Beispiel „Spielzeug aus dem Ei“) unter dem Arm auf „Schnäppchenjagd“ sind, strukturieren vor allem Versandgeschäfte den Markt, die sich immer weiter spezialisieren. Vor allem gibt es Anbieter, die die Hartplastikfiguren vertreiben, daneben aber auch solche, die ausschließlich die Beipackzettel vertreiben oder das notwendige und nützliche Zubehör für eine gepflegte Ü-Ei-Sammlung: Sortimentskästen, Sortierboxen, Stecksysteme. Spezialisierte Ladengeschäfte wie das Maxi-Muss in Berlin bieten Figuren-Sets aus anderen Ländern an, ständig das Neueste erfährt man als Abonnent der Ü-Ei-Newsletters, und der Computerfreak wird sich seine Sammlung mit der „Ü-Base“-Dateiverwaltung (Preis zwischen 30 und 40,-DM) in Ordnung halten lassen.
Wo die Verschwörung von Markt, Kapital und Paranoia in einem geschlossenen System so übermächtig zu werden droht, da wächst das rettende auch in Form von lauteren und kritischen Gegenverschwörungen. Da sind zum beispiel die „hEIligen hEIden“, die sich radikal gegen die Geschäftemacherei unter den Sammlern wenden und von allen verlangen, die Erlöse der Wertsteigerungen ihrer kleinen magischen Objekte sozialen Zwecken zuzuführen. Allerdings nimmt man hier, daher der Name, das Ritual der Enthüllung wichtiger als das Objekt selber: Das Überraschungsei ist, im Kanon der hEIigen hEIden, ein Orakel, dessen Befragung man sich mit der ensprechenden Würde und Gelassenheit widmen soll.
Was das Überraschungsei so universal erfolgreich macht, ist nicht nur das Formen-Esperanto seiner kleinen Objekte, die sich zu einer Sprache der Meta-Kindheit finden, und es ist nicht nur das genialisch konstruierte Ritual der „Ent-Wicklung“ des magischen Objekts, das den guten alten Jäger und Sammler in uns freisetzt mit der zusätzlichen, mythischen Beigabe eines entschlüsselten Rätsels. Dieses Ei ist in gewisser Weise zu einer Keimzelle des Kapitalismus geworden; an ihm transformiert sich, Schritt für Schritt, und beinahe ohne ein Gefühl und Bewusstsein von Schuld und Verlust zu erzeugen, ein „ursprüngliches“, kindliches Verlangen – zugleich nach Tröstung und Welt, nach Abenteuer und Geborgenheit – in alle erdenklichen Phasen der Gier: aus der kleinen Fressgier entwickelt sich Neugier, daraus Besitzgier und von dieser ist es nur noch ein kleiner Schritt aus der Kindheit zur Geldgier, die ihr Hauptaugenmerk auf die Wertsteigerung der eigenen Schätze richtet. Das Objekt hat dabei seinen Symbolwert (Ausweis der Kindlichkeit und Unschuld) nicht verloren. So ist aus dem Kindheitstraum die Parodie der Aktie als Teilhabe am irrealen Geldfluss geworden, und das Überraschungsei war das beste Lehrbuch für ein Kind, das, wenn es einmal groß ist, zugleich ewig kindlich und marktwirtschaftlich tückisch denken will.
Diese vernetzte Verbindung von Kindheit und Marktwirtschaft ist materiell wie mythisch vollständig abgesichert. So wie es, anders als bei den richtigen Aktien, keinen dramatischen Wertverfall geben kann, so kann der Weg jederzeit zurück in die vollständige Regression, vom Tauschwert zum Schmuse-Wert, gegangen werden.
Die magischen Objekte der Überraschungseier sind Anker in einer imaginären Kindheit, und Ahnungen der erbarmungslosen Aneignung der Welt. Die Zeichenwelten wollen immer vollständiger werden, die Gier ist groß. Aber die entwickelte Sprache der kleinen Dinge, die nur von Glück, Glück und nochmals Glück sprechen können, und dabei umso sprachloser werden, je mehr von ihnen beieinander sind, behauptet, der Welt ein vollständig sinn- und problemfreies Feld abgerungen zu haben. In Wahrheit verspricht sie uns, den Weg jederzeit zurückgehen zu können, von der mörderischen Gemeinheit des Marktes zur Schokoladentröstung der Kindheit. Vielleicht öffnen wir immer wieder das magische Ei, um im stellvertretenden Objekt „geboren“ zu werden, um, wie man es beim Ü-Ei-Oraklespiel macht, so etwas wie ein Totem zu erhalten (und wie sollte es in der Akkumulationsphantasie des Kapitalismus anders sein, als dass wir uns dann nach einer kaufbaren Totemisierung einer ganzen Welt sehnen). Vielleicht aber sehnen wir uns in der endlosen Wiederholung des Ritus auch danach, selber in das Ei zurückzukehren, das so sorgsam und mehrfach umhüllt und geschützt ist. Wenn man jemandem dabei zusieht, wie er Überraschungseier aufmacht, sieht man bei etwas sehr leidenschaftlichem, zärtlichem, etwas sehr erotischen und dann auch wieder sehr traurigen zu. Das zerbrochene Schokoladenei neben der Figur und dem technischen gadget ist ein überdeutliches Todesbild. So muss das nächste Ei herbei, und auch in dies muss man hinein. Scheitern kann man nur draußen.
Autor: Georg Seesslen
Text veröffentlicht in Freitag, 13.04.2001
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